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Herthas Finanzlage: Aus der Tiefe der Kasse

Ein geheimer Investor will den Berlinern acht Millionen Euro zukommen lassen. Die prekäre Finanzlage des Zweitligisten verbessert das kaum – zu schwer wiegen Sünden der Vergangenheit. Eine Analyse.

Für den Zweitligisten Hertha BSC steht in diesem Halbjahr mehr auf dem Spiel als die Rückkehr in die Bundesliga. Es geht zwar nicht um Herthas Existenz, wie Ingo Schiller sagt. „Das Fortbestehen ist sicher, auch wenn wir nicht aufsteigen“, sagt der 45-jährige Betriebswirt, der seit 2001 Herthas Finanzgeschäftsführer ist. Aber es geht darum, wie diese Existenz kurz- und mittelfristig aussehen wird: wieder ein bisschen glänzender und Herthas eigenen Ansprüchen angemessen – oder doch eher trostlos.

Bliebe der Mannschaft der Aufstieg verwehrt, würde Hertha BSC eine andere Dimension bekommen, eine kleinere. „Wir sind in dieser Saison wie ein Erstligist aufgestellt“, sagt Schiller. „Aber wir haben immer gesagt, dass wir denselben Aufwand nicht noch einmal betreiben können.“ Das heißt: Es würde massive Einschnitte geben. Herthas Präsident Werner Gegenbauer spricht für diesen Fall von einer Redimensionierung des Klubs, die alle Bereiche treffen würde: „Hertha wäre dann erst einmal ein normaler Zweitligist, aber es würde natürlich weitergehen.“

Nur wie?

Selbst der in Aussicht stehende Zufluss von acht Millionen Euro von einer bislang unbekannten Investorengruppe noch in diesem Jahr erleichtert zwar nach Schillers Dafürhalten die Planungen für die kommende Spielzeit, doch Herthas wirtschaftliche Situation bleibt weiterhin angespannt. Wenn Herthas Manager Michael Preetz jetzt ankündigt, dass die Mannschaft selbst für die Bundesliga nicht großartig verändert werden würde, ist das keine rein sportliche Entscheidung, sondern auch finanziellen Zwängen geschuldet. Herthas Sünden der Vergangenheit wiegen schwer, und sie werden noch sehr lange nachwirken.

Der größte Fußballverein Berlins befindet sich seit mehr als einem Jahrzehnt in finanzieller Schieflage. Seitdem Hertha die Lizenzmannschaft 2001 aus dem eingetragenen Verein in die „Hertha BSC GmbH und Kommanditgesellschaft auf Aktien“, kurz KGaA, ausgegliedert hat, hat sie in fast allen Geschäftsjahren ein Minus erwirtschaftet. Bei Gründung der KG betrug das Eigenkapital 2,6 Millionen Euro, zum Abschluss des vergangenen Geschäftsjahres am 30. Juni hatte Hertha ein negatives Eigenkapital von 6,5 Millionen Euro. Und auch dieser Minusposten ist schon gestützt, beispielsweise durch Genussrechte. Auf diesem Weg sind Hertha von einer „F.U.G.E. Beteiligungen GmbH“ Ende 2007 vier Millionen Euro zugeflossen, vor einem halben Jahr dann noch einmal 500 000 Euro. Der Genussscheininhaber kann frühestens 2016 sein Kapital zurückverlangen, vorausgesetzt, Hertha hätte dann entsprechende Mittel zur Verfügung.

Dass Hertha Geld braucht, zeigt die Ausgabe einer zweiten Anleihe, die maximal sechs Millionen Euro erbringen soll. Der Großteil des Erlöses ist zur Rückführung von Kreditlinien eingeplant – Hertha hatte am 30. Juni allein bei den Banken Verbindlichkeiten von 23 Millionen Euro. Derzeit aber sieht es nicht so aus, dass der Klub aus der Ausgabe der Anleihe den Maximalbetrag von sechs Millionen Euro erwirtschaftet; bisher sind Anleihen lediglich über 2,2 Millionen Euro gezeichnet, was enttäuschend ist. Intern plant Hertha nur noch mit einem Erlös von vier Millionen Euro.

Im Wertpapierprospekt für die Anleihe heißt es, dass Hertha nur über geringe Liquiditätsspielräume verfüge und auch künftig auf Fremdfinanzierung angewiesen sei. Das hört sich dramatisch an und nährt die Vermutung, dass die Finanzsituation in Wirklichkeit noch viel schlimmer ist, als sie nach außen dargestellt wird.

Ähnlich wie andere Profi-Fußballklubs haben sich auch die Berliner auf ein Spiel eingelassen, das fast nicht mehr ohne Bilanztricks auskommt, die für Laien schwer zu durchschauen, aber rechtlich kaum zu beanstanden sind. Hertha war in dieser Hinsicht in der Vergangenheit sehr erfinderisch. So hat die KGaA Vermarktungs- und Verwertungsrechte im Wert von 38 Millionen Euro in zwei eigens gegründete Tochtergesellschaften ausgegliedert. Auf die Frage, warum Hertha das getan habe, antwortet Ingo Schiller: „Wir haben dadurch stille Reserven des Vereins gehoben und gleichzeitig die damalige Kapitalauflage der DFL erfüllt.“ Der Vorteil: Eigentlich stille Reserven konnten auf diese Weise auf der Habenseite in die Bilanz eingestellt werden. Reales Kapital ist nicht geflossen.

Dieses Buchungsmanöver war unter anderem deshalb notwendig, um eine Auflage der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zu erfüllen: Herthas negatives Eigenkapital durfte nicht anwachsen, sonst hätte der Klub keine Lizenz bekommen. Inzwischen hat die DFL diese Regel sogar noch verschärft: Künftig muss sich das negative Eigenkapital verringern.

„Im Fußball wird getrickst auf Teufel komm raus“, sagt Professor Karlheinz Küting, Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes, über derartige Praktiken. Der Bilanzexperte beziffert Herthas Schulden auch nicht mit 37 Millionen Euro, sondern mit 61 Millionen – weil er unter Schulden nicht nur die Verbindlichkeiten (37 Millionen) und Rückstellungen (7 Millionen) versteht, sondern auch die in der Bilanz ausgewiesenen Rechnungsabgrenzungsposten (16,7 Millionen). Küting spricht von sogenannten Leistungsschulden. Die Berliner haben bereits Geld bekommen (und ausgegeben), für das sie die entsprechenden Leistungen erst noch erbringen müssen. Dabei handelt es sich um Erlöse aus sogenannten Signing Fees, also Einmalzahlungen bei Abschluss langfristiger Verträge wie mit dem Ausrüster Nike und dem Rechtevermarkter Sportfive. Für die vorzeitige Verlängerung der Zusammenarbeit mit Sportfive von 2014 bis 2018 erhielt Hertha vor zwei Jahren auf einen Schlag 25 Millionen Euro. Im Gegenzug bekommt Sportfive von allen aus der Vermarktung erzielten Einnahmen 20 Prozent – und zwar nicht nur bis 2018, sondern sogar bis 2019. Durch Herthas Abstieg hat sich der Vertrag automatisch um ein Jahr, nämlich die Zeit in der Zweiten Liga, verlängert.

Dass die Berliner sich diverse zu erwartende Zahlungen vorab haben ausbezahlen lassen, beeinträchtigt die Einnahmesituation noch auf absehbare Zeit. Auch Schiller unterscheidet hierbei zwischen Geld- und Leistungsschulden, verweist in diesem Zusammenhang aber darauf, dass die Menge der Rechnungsabgrenzungsposten im vergangenen Geschäftsjahr von 27 Millionen auf knapp 17 Millionen zurückgeführt worden ist.

Trotzdem muss auch Hertha zugeben, dass die KGaA bilanziell überschuldet ist. Küting sagt über die Gewinn-und-VerlustRechnung des Geschäftsjahres 2009/10: „Das ist eine schlechte Bilanz. Aber Kaiserslautern und Schalke haben noch eine viel schlechtere. In der Privatwirtschaft müsste man erhebliche Zweifel und Sorgen haben, aber im Fußball ist alles anders.“ Da springe in höchster Not eben die landeseigene Lottogesellschaft ein (Kaiserslautern) oder eine Tochter der Stadt (Schalke). Hertha konnte für die Zweitligasaison beim Senat eine Stundung der Miete fürs Olympiastadion erwirken. Die Summe beläuft sich, inklusive einer noch ausstehenden Zahlung aus der vorigen Saison, auf 3,5 Millionen Euro. Das ist zufälligerweise exakt so viel, wie Hertha im Sommer für die Transfers neuer Spieler ausgegeben hat.

Fakt ist, dass die Ertragslage des Vereins beeinträchtigt ist. Selbst als die Mannschaft sportlichen Erfolg hatte wie vor zwei Jahren, als sie lange sogar um die Meisterschaft mitspielte, machte Hertha knapp zwei Millionen Euro Verlust. In der vergangenen Spielzeit, der Abstiegssaison, waren es sogar gut sechs Millionen. Hertha hat die Schwierigkeit, dass das Eigenkapital zu Teilen aus Werten besteht, die schwanken, wie Transferrechte an Spielern. Einige Transferrechte bestimmter Spieler dienen den Banken bereits als Sicherheit. Durchaus vorstellbar, dass der neue Investor als Gegenleistung für die acht Millionen Euro hier Beteiligungen an Spielern erhält, die Hertha noch nicht als Sicherheit abgetreten hat. Über Inhalte des Deals will Hertha sich erst äußern, wenn der Vertrag wirklich unterschrieben ist. Wie zu hören ist, wird das noch ein paar Tage dauern. Die Annahme jedenfalls, dass es sich hierbei um einen selbstlosen Gönner handeln könnte, ist völlig abwegig. Das Geld ist keine Schenkung, sondern wird zudem verzinst. Nur ist Hertha eben auf Kapitalzufluss permanent angewiesen, da der Verein unter chronischen Haushaltsdefiziten leidet. Die in Aussicht stehenden acht Millionen sollen helfen, die Verbindlichkeiten zu senken und somit die Lizenz für die nächste Spielzeit sichern.

Nach dem Abstieg kam Hertha mit drei Gläubiger-Banken überein, die Kreditlinien aufrechtzuerhalten respektive zu verlängern. Darauf wird Hertha auch in Zukunft angewiesen sein. Andererseits sind auch die Banken darauf angewiesen, dass der Klub überlebt, damit sie ihr Geld nicht vollständig abschreiben müssen. Ein gewisser wirtschaftlicher Spielraum wird Hertha BSC also bleiben. Es ist jetzt an der Mannschaft, diesen Spielraum zu nutzen.

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