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Hertha BSC - 1. FC Köln

© dpa

Herthas Image: Gefangen in Berlin

Hertha BSC will ein neues, reines Fußballstadion - dabei braucht Berlins Bundesligist vor allem ein Image. Ein Essay.

Jack White lebt. Eine gefühlte Ewigkeit ist es her, dass der Musikproduzent aus Berlin mit Tony Marschall („Schöne Maid“) und Roberto Blanco („Heute so, morgen so“) Hits landete. Der Fußballklub Hertha BSC hat den 68-Jährigen beauftragt, eine neue Hertha-Hymne zu produzieren. Spieler und Fans singen zur Musik des Gefangenenchors der Verdi-Oper Nabucco „Blau und weiß sind unsere Farben, die Farben von Hertha BSC“. Das wird vor den Spielen im Olympiastadion gespielt. Mit überschaubarem Erfolg.

„Ich glaube, dass wir da einen schönen Song aufgenommen haben“, hat Dieter Hoeneß unlängst gesagt und unachtsamerweiser hinterhergeschoben: „Wir haben ja angekündigt, etwas mehr Aufbruchstimmung zu erzeugen.“

Kein Gesicht

Im Produzieren von Aufbruchstimmung hat der Verein so seine Erfahrungen gemacht. Im Sommer waren 50000 Menschen da beim Testspiel gegen Liverpool; von der Aufbruchstimmung wurde so viel erzählt bei Hertha, bis auch der Letzte im Verein glaubte, dass es sie gibt. Zum ersten Punktspiel kamen dann 36000 Zuschauer, zum zweiten, dem flächendeckend promoteten „Familienspieltag“ gegen Wolfsburg, waren es beinahe 39000. Die Steigerung entsprach in etwa der Zahl an Eintrittskarten, die der Verein im Vorfeld verschenkt hatte an Einrichtung wie die Arche und das Diakonische Hilfswerk. Vor einem Jahr hatte Hertha gegen denselben Gegner 42000 Zuschauer.

Schon im vorigen Jahr glaubte der Verein mit der Verpflichtung Lucien Favres eine Aufbruchstimmung erzeugt zu haben. Ah, ein Trainer aus der Schweiz, hieß es. Ein neues Gesicht in der Liga, einer, der anders spricht. Berlin war neugierig auf die neue Hertha mit ihrem neuen Trainer. Wer ist der Neue, wie lebt er, was hat er vor? Heute fragt sich das niemand mehr. Es heißt: Ach, der Schweizer. Denn irgendwann ist das Interesse an dem interessanten Trainer verloren gegangen. Favre könnte heute ungestört über den Tauentzien spazieren gegen. Für viele in dieser Stadt hat Favre kein Gesicht. Wie die Mannschaft. Wer weiß schon, wie Raffael aussieht, der teuerste Spieler seit 2002.

Dieter Hoeneß reicht nicht

Hertha hat in zwölf Monaten Spieler für zwei komplette Mannschaften ausgetauscht. Mit wem will man sich identifizieren? Mit Jaroslav Drobny, dem tschechischen Torwart, oder mit Andrej Woronin. Die frische Leihgabe aus Liverpool hat einen vergleichsweise bekannten Namen. Das Gesicht Herthas kann er noch nicht sein, aber wenigstens hat Hertha schon mal Haare. Das Gesicht des Vereins seit dem Aufstieg ist Dieter Hoeneß.

Nach dem Sturm in die Champions League vor fast zehn Jahren ist Hertha heute ein regionales Phänomen. Und es scheint, dass die allgemeine Euphorie, die die Weltmeisterschaft vor zwei Jahren ausgelöst hat, an Berlin vorbeigegangen ist. Die Bundesliga boomt, vielerorts musste der Dauerkartenverkauf gestoppt werden. Die meisten Vereine verzeichneten Zuwächse. Hertha verhält sich gegen den bundesweiten Trend, sagen Untersuchungen. Woran liegt’s? Ist der Berliner so anders? Das Management sagt jetzt, es liegt am Stadion.

Eine Stadt wie Berlin mit diesem Umland sollte ein volles Olympiastadion hergeben, sagen die Kritiker. Das habe sogar der 1. FC Köln in der Zweiten Liga geschafft. Ohne Aufbruchstimmung.

Beckenbauer ohne Angst

Genau genommen versuchen die Verantwortlichen Herthas seit Jahren jene Stimmung zu erzeugen, die den Verein zur Jahrtausendwende umwehte. Hertha stürmte damals die Champions League. Der schlafende Riese von der Spree, von dem Franz Beckenbauer damals ehrfürchtig sprach, war erwacht. Inzwischen hat er wieder ein Nickerchen eingelegt.

„Hertha wirkt blass“, sagte der ehemalige Vereinspräsident und heutige Aufsichtsratsvorsitzende, Bernd Schiphorst dem Tagesspiegel. Wie soll es anders sein nach zuletzt zwei zehnten Plätzen. Berlin ist schneller. Die Stadt ist arm, aber sexy. Hertha ist nur das eine. 30 Millionen Schulden drücken den Verein, zwischenzeitlich waren es fast doppelt so viel. Heute stehen Hertha viele Menschen, vor allem bundesweit, gleichgültig gegenüber. Hertha taugt nicht als Feindbild, ruft aber auch keine Sympathien hervor wie einst Freiburg oder Mainz. Vor allem aber fehlt Hertha die Aura eines Spitzenklubs. In überregionalen Zeitungen findet der Hauptstadtklub in Meldungsgröße statt.

Berliner lieben eher Werder als Hertha

Selbst im Einzugsgebiet hat es Hertha schwer. Laut einer „Fußball-Studie 2007“ von Sportfive ist Werder Bremen nicht nur der sympathischste Klub Deutschlands, sondern besitzt in Berlin bessere Werte als Hertha. Auf bestimmte Milieus in der Stadt übt der Klub keinen Reiz aus. Ihnen wirkt der Verein zu fertig, ohne Platz für Entwicklung und Mitwirkung, auf sie wirkt Hertha bisweilen arrogant und ignorant.

Wo ist die Botschaft Herthas, wo Vision? Wie schafft der Klub Identifikation, wofür steht er? Mal wurden teure Altstars wie Bobic und Kovac geholt, dann sollten es Talente wie die Boateng-Brüder oder Dejagah richten, die dann als Problemfälle vom Hof gejagt wurden. Jetzt probiert es Hertha mit fünf Brasilianern. Ausgang offen.

In der öffentlichen Wahrnehmung hat Hertha wenig von Berlin. Die Stadt ist lebendig, frech, unfertig, kreativ – kurz, Berlin ist spannender Aufbruch. Was von dem trifft auf Hertha?

Große Verdienste, großartige Fehler

Dieter Hoeneß hat schon oft von der Meisterschaft gesprochen und hinterher beklagt, dass man Geduld nicht bekomme in einer Stadt wie Berlin. Dafür jede Menge Undankbarkeit. Noch öfter hat der Manager auf die Verdienste der vergangenen Jahre hingewiesen. Er erzählt dann die Geschichte von der Schreibmaschine, die er damals, als er anfing, auf der Geschäftsstelle vorfand. Niemand möchte die Geschichte mehr hören. Natürlich hat Hoeneß Verdienste um den Klub, große sogar. Aber es unterliefen auch großartige Fehler.

Bei Hertha suchen sie die Fehler gern außerhalb des Vereins: Teilung der Stadt, jahrelange Unterklassigkeit – es gibt Gründe. Der speziellste Standortnachteil Herthas seien die eine Million Neuberliner. Bei den Zugereisten halte sich eine verblüffende Antipathie gegenüber dem Verein. Warum wohl schaut von denen, etwa ein Drittel der Bevölkerung, nicht bei Hertha vorbei? Andere Klubs hätten diesen Standortnachteil gern.

Hertha allein muss die Leute überzeugen

Neuerdings ist es das Stadion. Tatsächlich wollte Hoeneß das Olympiastadion nie. Er wollte ein reines Fußballstadion, ohne Laufbahn und mit steilen Rängen. Hoeneß hatte Angst vor der vierjährigen Umbauzeit bei gleichzeitig laufendem Spielbetrieb. Zweifel aber, das Stadion hinterher nicht voll zu kriegen, gab es keine. Vor der Sanierung hatte der Klub einen Zuschauerschnitt von 52000. Diese Marke wurde nie wieder erreicht.

Es ist völlig legitim, dass Hertha über ein neues Stadion nachdenkt. Die Akustik und Stimmung im Olympiastadion sind nur dann gut, wenn es voll ist wie etwa beim alljährlichen Pokalfinale oder bei Länderspielen. Beteiligte schwärmen von der einmaligen Atmosphäre.

Hätte Hertha ein neues Stadion, kämen die Zuschauer dann wegen Hertha? Der eigenen Theorie folgend, kämen sie wegen des neuen Stadions. Dabei geht es darum: Wie kann der Verein die Entscheidung, zu Hertha zu gehen, unabhängig vom Stadion und vom Gegner machen? Eine neue Hymne wäre nicht schlecht.

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