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Sport: Herzlich hart

Der neue Bundestrainer Jürgen Klinsmann hat den ersten Machtkampf mit dem DFB gewonnen

Der schöne Festakt der Harmonie und guten Laune wird doch noch durch einen Misston gestört. Aus nicht erfindlichen Gründen fängt die Mikrofonanlage in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) plötzlich an zu schrillen. Die Bediener der mehr als 20 Fernsehkameras nehmen ihre Kopfhörer ab. Jürgen Klinsmann redet einfach weiter, so schnell ist er nicht aus der Ruhe zu bringen. Selbst in diesen aufregenden Zeiten nicht. Vor anderthalb Wochen ist sein Vater nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus gekommen, heute feiert der frühere Nationalspieler seinen 40. Geburtstag, und am Montag wird Klinsmann seinen neuen Job als Bundestrainer der Nationalmannschaft antreten.

Um kurz nach zwölf ist gestern Mittag in Frankfurt die lähmende Suche nach einem Nachfolger für Rudi Völler offiziell beendet worden. DFB-Sprecher Harald Stenger begrüßt Klinsmann als „neuen Bundestrainer“, sein früherer Mitspieler Oliver Bierhoff als Manager der Nationalmannschaft. Beide erhalten Verträge bis zum 30. Juli 2006. Drei Wochen zuvor wird im Berliner Olympiastadion das Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen, und das ist der Termin, auf den in den nächsten beiden Jahren alles fixiert sein wird. „Ich habe die große Hoffnung, dass wir 2006 Weltmeister werden“, sagt Jürgen Klinsmann.

Wenn die live vom Fernsehen übertragene Pressekonferenz ein bestimmtes Bild in die deutschen Haushalte tragen soll, dann das, dass wieder Optimismus und gute Laune eingekehrt sind in den zuletzt so verzagten Verband. Klinsmann lächelt sogar, als DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder eine fast viertelstündige Regierungserklärung abgibt, die in erster Linie dazu dient, den Verband und sich selbst zu rechtfertigen.

Im Grunde spielt Gerhard Mayer-Vorfelder an diesem Mittag in Frankfurt die Rolle des Seniorchefs eines Unternehmens, der viel zu spät erkannt hat, dass die modernen Zeiten über ihn hinweggerollt sind, und der jetzt widerwillig den Wandel einleitet. Demnächst werden die smarten Managertypen das Sagen haben, Jungs wie Bierhoff und Klinsmann, der Begriffe wie „Human Resources“ verwendet, „happy“ ist und alle Probleme erst einmal weglächelt. Etwa die Kritik von Rekordnationalspieler Lothar Matthäus: „Der Lothar hat alles Recht, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.“ Oder den Vorwurf, dass ihm die Erfahrung als Trainer fehle: „Darüber bin ich froh, weil nur Kritik mich weiterbringt.“ Ratschläge seien ihm immer willkommen, „und wenn der Ratschlag vom Lothar kommt, bin ich auch happy“. Dass er nur dritte, vierte oder fünfte Wahl als Bundestrainer gewesen sei: auch überhaupt kein Problem.

Hinter dieser kalifornischen Sonnenscheinfassade aber verbirgt sich ein Jürgen Klinsmann, der genau weiß, was er will. Der eine Vorstellung von seinem neuen Job besitzt, „die anders ist, als wir es generell vom DFB gewohnt waren“. Den ersten Machtkampf mit dem Verband hat Klinsmann gewonnen. Sonst würde Holger Osieck bei dieser Pressekonferenz neben ihm sitzen, den der DFB als Assistenten für den Trainerneuling vorgesehen hatte. Zwei Tage zuvor hatten Klinsmann und Osieck „ein absolut tolles Gespräch“ – und daraufhin beschlossen, nicht zusammenzuarbeiten.

Offensichtlich gab es nicht nur fachliche Differenzen. Klinsmann ging es ums Prinzip. Schon am Tag nach dem ersten Sondierungsgespräch mit der DFB-Führung in New York sei er mit dem Trio Klinsmann-Bierhoff-Osieck konfrontiert worden, als sei die Personalie bereits geklärt. „Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass wir so nicht anfangen wollen“, sagt Klinsmann. Die Suche nach dem Kotrainer ist jetzt Chefsache, und Chef ist Jürgen Klinsmann. Auch Ralf Rangnick kommt nich in Frage. Er teilte gestern mit, dass er noch nie als Kotrainer gearbeitet habe und auch nicht vorhabe, dies zu tun. Der Assistent soll jedenfalls jemand sein, „dem ich 100 Prozent vertrauen kann, mit dem ich mich blind verstehe“, sagt Klinsmann. Der DFB wird die Personalie dann abschließend abnicken dürfen.

Vermutlich ist das erst der Anfang und die Vorstellung des designierten Kopräsidenten Theo Zwanziger, dass Klinsmann sich nur um die A-Nationalmannschaft zu kümmern habe, ein unrealistischer Wunsch. Der neue Bundestrainer will sich zwar zunächst einen Überblick verschaffen, doch schon jetzt reicht ihm der Einblick, um Zweifel am Sinn des so genannten Teams 2006 zu äußern. Diese B-Nationalmannschaft ist einst von Mayer-Vorfelder erfunden worden und bisher gegen alle Kritik verteidigt worden. „Ich weiß nicht, ob so ein Team uns weiterhilft“, sagt Klinsmann. Mayer-Vorfelder sitzt still daneben. Er lächelt nicht.

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