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Es war ja seiner... Diego Maradona und der WM-Pokal. Foto: dpa

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Sport: Herzliches Glücksleid!

Es muss 1988, 1989 gewesen sein, in der D-Jugend. Zu einer Zeit, als wir Jungs so sein wollten wie Maradona.

Es muss 1988, 1989 gewesen sein, in der D-Jugend. Zu einer Zeit, als wir Jungs so sein wollten wie Maradona. Souleyman, der Spielmacher vom SC Ehrenburg, wollte nicht nur so sein wie Maradona, er war Maradona, in meinen Augen, damals. Ich trug die Vier, kein Mensch, kein Tier, Mann fürs Grobe schon mit zehneinhalb Jahren, und sollte auf Souleyman aufpassen in diesem Kreispokal-Halbfinale.

Souleyman war klein, er war ein bisschen dick, er hatte schwarze Haare (sogar im Gesicht), er trug die Zehn – und machte schon beim Aufwärmen vor dem Spiel Tricks, die ich nicht verstand. Wir verloren dieses Spiel 0:4. Ich war so viel gerannt wie nie zuvor, aber der Ball war Souleymans bester Freund, sein kleiner, treuer Hund, der ihm überallhin folgte.

Was aus Souleyman geworden ist, weiß ich nicht. In einem Bundesligakader habe ich ihn nie gesehen. Aber ich denke an ihn, von Zeit zu Zeit. Dank ihm habe ich eine ungefähre Ahnung, wie es sich anfühlen musste, gegen Maradona zu spielen. Zeuge zu sein von etwas Großem, Überlebensgroßem, von Fußball als Kunst.

Maradona sein zu wollen, das war für Wolfgang Rolffs wie mich eine nur allzu verständliche Versuchung. So wie ein Esel davon träumt, ein Rennpferd zu sein. Und doch war es, lange bevor der Fußball globalisiert wurde und die Steppkes mit Trikots von Real Madrid und Manchester United rumrannten und sich auf der Spielekonsole selbst der Weltstars bemächtigten, eine heimliche Liebe zu einem, der, genau genommen, ein Gegner war. Maradona! Diesen Namen raunte man sich zu. Diego Armando. Wie verbotene Musik. Manche von uns sagten „Madonna“. Sie hatten da was verwechselt, aber sie meinten denselben: den besten Spieler der Welt.

Einen besseren haben wir jedenfalls nicht gesehen, Papa erzählte von Pelé, von 1958, aber das war schon damals weit, weit weg. Unser Turnier war die WM 1986 gewesen, als wir schon um sechs Uhr aufgestanden waren und uns, Corn Flakes essend, die Zusammenfassungen der Partien reingezogen hatten, die in der Nacht zuvor in Mexiko gelaufen waren. Es war wie die Übertragung der Mondlandung. Guadalajara, ein fremder Planet. Maradona, ein Alien.

Das Solo gegen England! Zwei Tore im Halbfinale gegen Belgien! Und dann – das Finale! Gegen uns! Kann man für Deutschland sein und zugleich für Maradona? Sein Pass auf Burruchaga in der 84. Minute. Aus dem Nichts ins Alles. 2:3, ein süßer Schmerz, den wir nie vergessen würden, bis heute nicht. Er hat uns an Maradona gefesselt, für immer. An ihn, den geliebten Feind. Schöner hielt keiner mehr den WM-Pokal in Händen. Es war ja seiner.

Als Lothar Matthäus ihn vier Jahre später bekam, war das die Revanche des Fußballarbeiters. Es war ein schlimmes Finale gegen diese seltsam lustlosen Argentinier. Jeder durfte mal. Buchwald wurde hinterher „Diego“ getauft, noch heute klopft man ihm für seinen ungelenken Übersteiger auf die Schulter. Die Säkularisierung des Fußballs begann am 8. Juli 1990. Und Gott weinte auf dem Rasen von Rom.

Was danach passierte, in all den blöden Jahren, als ein Alpen-Maradona (Andreas Herzog) auf den Plan trat, ein Karpaten-Maradona (Gheorghe Hagi), ein Wüsten-Maradona sogar (Saeed Owairan), all die Epigonen, und der Maradona-Maradona selbst als kokssüchtiger Clown noch einmal zurückkam, als er verfettete, mit Luftgewehren rumballerte und sich mit Fidel Castro anfreundete – geschenkt!

Diego Armando Maradona, der beste Fußballer aller Zeiten, ist längst auf dem Boulevard angekommen, und dort ereignet sich, bis hin zum Viertelfinale der WM 2010 und all dem voyeuristischen Drumherum, die immer noch andauernde Rache für 1986: Man will ihn fallen sehen. Maradona, der Ikarus. Flieg, schreien sie, flieg! Die Sonne scheint so schön.

Er hat ihnen nie den Gefallen getan, sich komplett zu verbrennen. Heute feiern sie also seinen 50. Geburtstag, obwohl sie schon Wetten laufen hatten, dass er ihn nicht mehr erleben würde. Nachrufe, die in der Schublade lagen, werden zu Gratulationsartikeln umgeschrieben. Herzliches Glücksleid!

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