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Sport: Herzrasen auf Hawaii

Alexander Mügge aus Berlin gab beim Ironman auf

Berlin. Er versuchte es ein letztes Mal. Das war er sich schuldig. Ein letztes Mal alle Kraft in die Beine, Druck auf die Pedale, den Oberkörper noch weiter nach vorne, die Arme noch mehr anwinkeln. Vergiss, wie hart deine Muskeln sind, wie sehr sie schmerzen! Vergiss, dass deine Arme so wehtun, dass du eigentlich kaum noch aus dem Sattel kommst! Vergiss auch diese brutale Hitze, die 38 Grad, und dass es keine einzige Wolke gibt! Und vergiss diesen Wind, der dich von der einen auf die anderen Straßenseite schiebt, so plötzlich, dass du nichts dagegen machen kannst! Vergiss das alles!, sagte er sich. Du darfst nicht aufgeben.

In Wirklichkeit hatte Alexander Mügge schon verloren. Bei Kilometer 75, irgendwo zwischen den Lavasteinen auf der fast endlos langen Asphaltpiste auf Hawaii. Er war am Ende, er wusste es auch. Aber er wollte nicht als Weichei vom Rad steigen, als einer, der nicht an seine Grenzen gegangen war. Er war Gefangener dieser Sprüche, die er selbst fast schon pathetisch verkündet: „Aufgeben ist das Schlimmste.“ Aber was taugen schon solche Heldensätze, wenn der Körper am Ende ist? Bei Kilometer 90, der Wendemarke auf der Radstrecke beim Hawaii-Triathlon, gab Alexander Mügge aus Berlin geistig auf. „Auch wenn man mir mit Geldbündeln zugewinkt hätte, wäre ich nicht weitergefahren.“ Ich hätte nicht weitergekämpft, meinte er. Er ist dann 30 Kilometer weitergerollt. Dorthin, wo seine Freunde standen. Sie brachten ihn im Auto zurück ans Ziel.

Alexander Mügge, 28, Diplom-Bauingenieur, ist kein dramatisch Gescheiterter. Aber seine Geschichte zeigt, wie hart dieser Ironman, der heute zum 25. Mal ausgetragen wurde, auch für Topleute ist. Und Mügge war ein Topmann, als er auf Hawaii startete, vor drei Jahren. Beim Langstrecken-Triathlon in Roth hatte er 2000 Platz fünf belegt, 1998 war er Siebter geworden. Er war in Berlin jahrelang die Nummer eins, er lag in Deutschland unter den Top Ten. Und nun wollte er endlich mal nach Hawaii. Der Mythos reizt, die Legenden, der Name. Sicher, auch der sportliche Reiz. Schwimmen in einer Dünung, in der Leute reihenweise seekrank aufgeben, Radfahren bei sengender Hitze, Laufen bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Aber, wenn er ehrlich war, der Mythos reizte mehr als die körperliche Herausforderung.

Die Probleme begannen beim Flug. Mügge zog sich im Flugzeug eine Erkältung zu, hatte Fieber, Schnupfen und Ohrenschmerzen und konnte nur unregelmäßig trainieren. Dann, so sieht er es jedenfalls, lief noch etwas besonders schief. Ein Sportwissenschaftler, der ihn begleitete, gab ihm ein Mittel gegen seine Stirnhöhlenentzündung. Ein Stoff, der eigentlich gegen Allergien helfen soll. Mügge fühlte sich danach hundemüde. Und beim Einschwimmen, vor dem Wettkampf, bemerkte er, dass ihm die übliche Kraft fehlt. „Ich hatte Zweifel, aber ich hatte Angst vor einem Ausstieg.“ Sollte das Training vergeblich gewesen sein? Und die Reisekosten? 5000 Mark? Und was würde mit seinem Sponsorenvertrag sein? Er hatte vage Aussichten auf einen Geldgeber.

Also startete er. Am Ufer, unmittelbar vor dem Schwimmen, sah er eine ältere Dame neben sich. Sie sah aus wie 60. Es war Paula Newby-Frazer aus den USA. Sie hatte den Ironman siebenmal gewonnen. Einmal hatte sie sich so überfordert, dass sie kurz vor dem Ziel geglaubt hatte, sie müsse sterben. Paula Newby-Frazer war 40 Jahre alt. Der Anblick hätte seine eigenen Zweifel vergrößern können. Er fühlte sich nicht hundertprozentig fit. Und Hawaii verzeiht keine Schwächen. Mügge wollte ja schon einen der vorderen Plätze belegen.

Im Schwimmen ging es noch einigermaßen. 53 Minuten für die 3,8 Kilometer, 90 Sekunden langsamer als gedacht, aber es war noch okay. Er war ungefähr auf Platz 50. Auf dem Rad überholte er gleich zehn Athleten, er dachte, „jetzt fängt der Wettkampf erst an“. In Wirklichkeit war es nur der Anfang vom Ende. Denn nach ein paar Kilometern begannen die nächsten Probleme. Sein Puls raste wie wild. Mügge hatte seit Jahren Herzrhythmusstörungen. Oft stört es ihn nicht. Aber Hawaii war anders. In Hawaii litt er unter den Folgen einer Erkältung, und vermutlich verstärkten die Belastungen seine Herzprobleme. „Auf der Kurzstrecke steckst du so etwas weg“, sagt Mügge. Aber die Langstrecke ist anders. „Dort hat jedes Problem viel größere Auswirkungen.“

Und jetzt litt Mügge unter dieser Kombination von Problemen. Er verringerte das Tempo, der Puls ging runter, er zog an, der Puls raste mehr als normal, und Mügge hatte plötzlich Angst. „Wenn mit dem Herz etwas passiert, kann es aus sein“, sagt er. 50 Kilometer später stieg er ab.

Den Sponsorenvertrag erhielt er aber doch. 2003 startete er dann in Klagenfurt. Er hatte wieder Herzrasen. Er stieg wieder aus. Diesmal endgültig. Am 6. Juli endete die Karriere des Alexander Mügge. In Hawaii war er nie mehr.

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