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Sport: Hetze am Spielfeldrand

Lange haben sich Rassisten und Antisemiten beim Fußball unbehelligt breit gemacht – jetzt soll es härtere Strafen geben

Berlin - Bei einem Einwurf in der 78. Minute beim Stand von 1:4 hatte die Mannschaft vom TuS Makkabi II genug. Und ging vom Platz. Im Spiel der Kreisliga B am 26. September beim VSG Altglienicke II sollen die Spieler des jüdischen Vereins zuvor massiv beschimpft und bedroht worden sein. „Es herrschte eine pogromartige Stimmung, 10 bis 15 Zuschauer haben die übelsten Sprüche abgelassen“, berichtet Tuvia Schlesinger, der Vorsitzende des TuS Makkabi.

Bekannt sind die Krakeeler in Altglienicke angeblich nicht, Trainerin Kerstin Forchert spricht auch nur von einem Störenfried: „Der muss wohl gezielt gekommen sein, um Krawall zu machen.“ Ähnliche Vorfälle habe es in Altglienicke noch nie gegeben. Spieler von Makkabi gaben an, Parolen wie „hier regiert die NPD“, „vergast die Juden“ und „Auschwitz ist wieder da“ seien gegrölt worden. Schiedsrichter Klaus Brüning ließ die Partie laufen, bis Makkabi das Spielfeld verließ. Er habe von den Pöbeleien nichts mitbekommen: „Auf dem Spielfeld war alles fair, das ist für mich das Wichtigste.“ Brüning zeigte einem Makkabi-Spieler die Gelb-Rote Karte wegen Unsportlichkeit, als dieser seine Mannschaftskameraden dazu aufforderte, das Spiel abzubrechen.

Am 13. Oktober beschäftigt sich ein Sportgericht mit dem Fall. Bei der Bewertung wird es die neuen Regularien gegen Rassismus im Fußball berücksichtigen müssen. Sie sind einfach und die Strafen hart: „Verhalten sich Spieler, Offizielle oder Zuschauer in irgendeiner Form rassistisch oder menschenverachtend (…), werden der betreffenden Mannschaft, sofern zuordenbar, beim ersten Vergehen drei Punkte und beim zweiten Vergehen sechs Punkte abgezogen. Bei einem weiteren Vergehen erfolgt die Versetzung in eine tiefere Spielklasse.“

So steht es im neuen Disziplinarreglement des Fußball-Weltverbandes Fifa, der sich den Kampf gegen Rassismus auf die Fahne geschrieben hat. Und zwar mit null Toleranz. Vor einem Monat hat auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die entsprechenden Paragrafen, wie von der Fifa vorgeschrieben, in seine Rechts- und Verfahrensordnung übernommen. Theoretisch könnte es also ausreichen, wenn wenige Menschen in einem Fußballstadion oder auf einem kleineren Fußballplatz üble Parolen skandieren oder entsprechende Transparente entrollen, um einem Verein nachhaltig Schaden zuzufügen. In der Praxis stellt sich natürlich die Frage der Verhältnismäßigkeit von Tat und Bestrafung, denn eine Handvoll Rechtsradikaler soll ja auch nicht die Macht bekommen, dem FC Bayern die Meisterschaft wegzunehmen.

Denn der Rassismus ist an vielen Orten und in allen Ligen präsent, auch in Zeiten des friedlichen und positiven Fußball-Patriotismus, der gerade im Kino in dem WM-Film „Deutschland. Ein Sommermärchen“ noch einmal zu bestaunen ist. Die zweite Mannschaft von Hansa Rostock musste beispielsweise 20 000 Euro Strafe zahlen und ein Meisterschaftsspiel vor leeren Rängen austragen, weil im DFB-Pokalspiel Schalkes Gerald Asamoah mit Affenlauten verhöhnt worden war. Ein Strafmaß, das den neuen Regeln entspricht, denn vor dem oben aufgeführten restriktiven Paragrafen der Fifa ist auch noch einer mit dieser Mindeststrafe aufgeführt. Der Bundesligaverein Alemannia Aachen musste 50 000 Euro zahlen, als vor ein paar Wochen „Asylant“ im Fanblock skandiert wurde, gemeint war wohl Gladbachs brasilianischer Stürmer Kahe. Aus dem Block der Gladbacher wurde Aachens sambischer Verteidiger Moses Sichone beschimpft, das kostete den Verein 19 000 Euro.

Beim nächsten Heimspiel präsentierten die Aachener einen Anti-Rassismus- Spot der Mannschaft, sicher aus ehrlicher Überzeugung. Im Wiederholungsfalle droht den Aachenern allerdings auch bereits ein Punktabzug. Zumindest bei strenger Auslegung der Regeln, denn der europäische Verband Uefa und auch der DFB erwirkten eine Erweiterung: „Eine Strafe (…) kann gemildert werden oder von einer Bestrafung kann abgesehen werden, wenn der Betroffene nachweist, dass ihn für den betreffenden Vorfall kein oder nur geringes Verschulden trifft.“

Bei der VSG Altglienicke entschuldigte sich der Jugendkoordinator noch am Abend des Spiels beim TuS Makkabi, nachdem er von den Vorfällen gehört hatte, mit einer E-mail. „Die kommen hier von der Straße, überfallen den Verein und sind nächste Woche wieder woanders“, sagt Sven Klebe. „Am Tag darauf waren wir dann aber darauf vorbereitet, dass sie wiederkommen.“

Es gibt bei vielen der größeren Vereine schon seit langer Zeit Fanprojekte gegen Rassismus, und unter den Stadionbesuchern in den höheren Ligen soll mit Durchsagen und Spots ein Bewusstsein geschaffen werden. Beim deutschlandweiten Bündnis Aktiver Fußball-Fans Baff hofft man darauf, dass „vernünftige Fans die anderen übertönen“, wie Christopher Zenker sagt. „Auch wir sind für eine Verhältnismäßigkeit. Wenn drei oder fünf rufen, darf dafür nicht ein ganzer Verein bestraft werden. Bei 50 sieht die Sache schon anders aus, weil sich auch die Vereine kümmern müssen.“

Durch die Möglichkeit zur Strafmilderung soll es den Sportgerichten möglich sein, im Einzelfall mehr Entscheidungsspielraum zu gewinnen. Ein Nazi-Shirt bedeutet nicht gleich Punktabzug. „Es besteht nur geringe Erfahrung mit den neuen Regeln. Unsere Rechtsprechung muss im Laufe der Zeit eine Linie entwickeln, die Berücksichtigung der Individualschuld und die Verhältnismäßigkeit müssen gewahrt werden“, sagt Goetz Eilers, der Chefjustitiar des DFB.

Diese große Linie gibt es noch nicht. Die Aufmerksamkeit für rassistische Vorfälle ist mit den neuen Regeln und den ersten Strafen aber größer geworden. DFB-Präsident Theo Zwanziger hat in seinem Urlaub Hans-Georg Moldenhauer kontaktiert, den Chef des Nordostdeutschen-Fußballverbandes. In Moldenhauers Zuständigkeitsbereich fällt, dass am vergangenen Wochenende wie schon ein halbes Jahr zuvor beim Spiel zwischen Sachsen Leipzig und dem Halleschen FC Leipzigs Spieler Adebowale Ogungbure rassistisch beleidigt wurde. Vor sechs Monaten war er sogar tätlich angegriffen worden. „Es wird ein Verfahren geben. Dem Halleschen FC droht eine empfindliche Strafe“, sagt Moldenhauer.

Da Halle bislang für die Vorfälle vor einem halben Jahr nur wegen des Abschießens von Leuchtraketen 600 Euro zahlen musste, ist der Verein kein Wiederholungstäter. Wenn die einzelnen Täter keinem Verein zuzuordnen sind, ist nach den Regeln der Heimverein zu bestrafen, der den Rassismus nicht unterbunden hat. In solchen Fällen sind laut Justitiar Eilers „sorgfältigste Ermittlungen“ gefragt. Die Strafen für die Vereine können laut der erweiterten Regel milder ausfallen oder nicht ausgesprochen werden, „insbesondere dann, wenn Vorfälle provoziert worden sind, um gegenüber dem Betroffenen eine Bestrafung zu erwirken“.

Das Spiel in Altglienicke wird wohl gegen Makkabi gewertet werden, weil nicht der Schiedsrichter, sondern Makkabi selbst das Spiel abgebrochen hat. Der Berliner Fußball-Verband gab nach mehreren Aufforderungen durch den Verein am 2. Oktober eine Pressemitteilung heraus, in der er auf den Fall Bezug nimmt und ankündigt, stärker gegen Rassismus vorzugehen. BFV-Präsident Bernd Schultz war gestern nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz wegen Volksverhetzung und Beleidigung.

„Von mir aus soll das Spiel 0:10 gegen uns gewertet werden“, sagt der Makkabi- Vorsitzende Schlesinger, „die sportliche Seite ist uns völlig egal.“ Einen so schlimmen antisemitischen Vorfall habe es im deutschen Sport seit Ende der Hitlerdikatur nicht gegeben, so Schlesinger.

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