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Sport: „Heute schon getippt?“

In Lehrgängen werden junge Schiedsrichter auf die neue Realität nach dem Wettskandal vorbereitet

Der „Raum Dortmund“ liegt im ersten Stock der Sportschule Kaiserau. Dunkelbraune Vorhänge und Tische schlucken das künstliche Licht der Neonröhren, der ockerfarbene Teppich versprüht den Charme der frühen Siebzigerjahre. Als dieser Raum eingerichtet wurde, waren die Männer, die hier sitzen, noch nicht geboren. 19, 20, einige sind vielleicht 25 Jahre alt. Junge Schiedsrichter aus Westfalen. Sie leiten Spiele in der Bezirksliga, für einige wird es bald eine Klasse höher in der Landesliga weitergehen. Und irgendwann pfeift einer von ihnen vielleicht auch mal in der Bundesliga.

Für die jungen Spielleiter ist es die erste Schulung nach dem Wettskandal um Schiedsrichter Robert Hoyzer. „Wir befinden uns in einer schwierigen Situation“, sagt Gundolf Walaschewski. Er ist Vorsitzender des Verbandsschiedsrichterausschusses in Westfalen. Mit ruhiger Stimme spricht er vom „größtmöglichen Unfall“ für die Schiedsrichter. „Der Fall Hoyzer wird sich auf euch auswirken“, sagt Walaschewski in die Runde.

In Deutschland gibt es etwa 80 000 Schiedsrichter. Im Landesverband Westfalen pfeifen etwa 6800 Männer und Frauen die Spiele von der Kreisliga bis zur Bundesliga. Für sie alle hat sich seit dem Fall Hoyzer einiges verändert. Andrea Rath kann das ganze Theater nicht mehr hören. Die einzige Frau in der Runde ist, wie ihre Kollegen auch, auf ihren ehemaligen Kollegen Hoyzer nicht gut zu sprechen. Eine Zeit lang fand die 25 Jahre alte Arzthelferin die Sprüche, die ihr in der Praxis oder daheim im Gespräch mit Bekannten und Freunden entgegen geschleudert wurden, ja noch witzig. „Aber irgendwann hört der Spaß auf“, sagt sie. Vor allem, wenn man ständig dieselbe Frage gestellt bekommt: „Heute schon getippt?“

In Westfalen haben die Verantwortlichen die berechtigte Befürchtung, dass sich nun deutlich weniger junge Menschen für diesen Job auf dem Fußballplatz interessieren. „In den Großkreisen Bochum und Hagen haben wir erstmals seit langem nicht genügend Teilnehmer für einen Anwärterkurs zusammen bekommen“, erklärt Walaschewski. „Ich glaube schon, dass momentan keine große Neigung besteht, Schiedsrichter zu werden.“ Wer sich dennoch dazu entscheidet, kann jung Karriere machen. Wie Robert Hoyzer, der mit 25 vor dem Aufstieg in die Bundesliga stand. Während ein Schiedsrichter für die Leitung eines Bezirksligaspiels gerade einmal 18 Euro erhält, sind es in der Bundesliga mehr als 3000 Euro.

Dennoch erlag Hoyzer der Versuchung des schnelleren Geldes. Auch im Amateurbereich gebe es immer mal wieder Versuche, Einfluss auf den Schiedsrichter zu nehmen, erzählt ein Kursteilnehmer in Kaiserau. Meist subtil oder halb im Spaß werden kuriose Angebote gemacht. Da geht es um eine Verabredung mit einer hübschen Frau oder ein anschließendes Trinkgelage. „Das sind meist dumme Sprüche“, sagt der 19-Jährige. Sonntag für Sonntag pfeift der junge Mann in der Bezirksliga. Seit dem Wettskandal hat er sich selbst des Öfteren hinterfragt. Wäre auch er schwach geworden? Ganz ausschließen mag er das nicht, da ist er ehrlich. „Die Schiedsrichter werden immer jünger und die Versuchungen immer größer“, sagt Gundolf Walaschewski. In intensiven Einzelgesprächen versuchen die Ausbilder der Sportschule Kaiserau deshalb, die Kaderschiedsrichter näher kennen zu lernen – ihren Charakter, ihre Stärken und Schwächen, ihre Probleme.

Die jungen Schiedsrichter sollen schon früh auf mögliche Schwierigkeiten vorbereitet werden. Video-Schulungen und praktische Übungen sollen ihnen helfen, die Leistung zu steigern und dem Druck standzuhalten. Beschimpfungen von Zuschauern müssen sie mit „breiter Brust“ hinnehmen, sagt Walaschewski. Für einen Fall aber „sind unsere Schiedsrichter angewiesen, Spielern oder Funktionären sofort die Rote Karte zu zeigen“: Wenn sie als „Hoyzer“ bezeichnet werden.

Jürgen Bröker[Kaiserau]

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