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Sport: „Hier glaubten einige, sie seien viel besser“

Trainer Hans Meyer über Hertha BSC, den glücklichen Klassenerhalt und sein Verhältnis zu Manager Dieter Hoeneß

Herr Meyer, graut es Sie vor dem Samstag und dem ganzen Brimborium um Ihre Person?

Es geht hier weniger um irgendwelche Einzelpersonen. Es geht darum, dass die Anhänger und Fans für diese enttäuschende Saison entschädigt werden. Aber noch einmal einen Entlastungsschrei kann man eine Woche später sowieso nicht bringen. Das ist alles schon passiert, und es mehren sich ja auch Stimmen, die sagen, es ist ja schön, dass der Verein es gepackt hat, aber man sollte jetzt schnell und gründlich alles analysieren, was nicht so gelaufen ist.

Werden Sie an dieser Aufarbeitung noch beteiligt sein?

Nein, es gibt genügend Leute, wie den Dieter Hoeneß oder meinen Kotrainer Andreas Thom, die nah genug dran waren und weiter nah genug dran bleiben. Ich werde dem Falko Götz drei, vier Zettel hinlegen, eine Art Auswertung des halben Jahres mit Einschätzungen zu Spielern geben, aber ich könnte die Zettel auch zerreißen. Wer was geleistet hat und was wer nicht, wie oft einer gespielt hat und wer welche Sperren abgesessen hat oder verletzt war, diese Daten kann man sich ja aus dem Internet herunterladen. Ich werde dem Falko sicher keine Tipps geben, wie er die nächsten Gegner schlagen kann.

Wozu hat man denn Sie hier ein halbes Jahr gebraucht?

Dass ein neues Gesicht kommt, einer, der drei, vier Veränderungen vornimmt, einer mit einer anderen Trainingsmethodik und mit einer anderen Ansprache an die Mannschaft. Aber genauso gut kann Meyers Ansprache beschissen sein, und der Stevens kann kommen, und alles wird gut. Man holt einen neuen Trainer, weil man glaubt, dass ein bestimmter Typ Trainer gut passt in einer bestimmten Situation. Oder soll ich sagen, ich bin geholt worden, weil ich so schön bin?

Warum spielen Sie Ihren Wert immer herunter?

Ich spiele meinen Wert nicht runter. Aber man sollte hier den Wert des einzelnen Spielers runterspielen, weil Fußball ganz anders läuft, als er von den Medien gebracht wird. Es werden aus ganz normalen Fußballspielern, die nur ihre Leistung bringen, die im Vierteljahr mal drei Tore machen, Helden, Titanen und Halbgötter stilisiert. Da werden Spieler zu etwas gemacht, das sie menschlich gar nicht rechtfertigen. Das sind normale Menschen, die auch mal danebengreifen.

Hätten Sie sich denn einen anderen Spieler gewünscht, der das entscheidende Tor gegen 1860 zum Klassenerhalt schießt, als Alexander Madlung?

Überhaupt nicht. Das war mir schnurzegal. Wenn die Karriere dieses Jungen scheitert, weil er einmal ein Tor in einem wichtigen Spiel für Hertha erzielt hat, dann hat er es nicht verdient, dann wird er es auch nicht schaffen.

In der allgemeinen Wahrnehmung wird Madlung der sein, der Hertha vor dem Abstieg gerettet hat.

Da war Fredi Bobics Tor gegen Stuttgart eindeutig wichtiger. Denn es fiel nach dem bösen 0:4 in Bremen. Aber noch einmal, es geht nicht um Einzelne, sondern um Teamarbeit. Das geht nicht mit Quatschen: Ich sag, was ich denke. Oder dass es einer ist, der aneckt. Ja, wo soll er denn anecken? Er soll auf dem Spielfeld mit seinem Gegner anecken und nicht mit seiner Umgebung. Aber unsere Gesellschaft fördert in einer unglaublichen Art und Weise dieses Denken, diesen Egoismus. Der, der austeilt, der Geld hat, der ein wichtiges Törchen schießt, genießt Anerkennung. Diese Menschen werden in ihren Stärken, aber auch in ihren Schwächen gefördert, in ihrer Eitelkeit, in ihrer Missgunst, ihrem Neid auf Spieler, die mal besser wegkommen. Ich denke, dass ein richtiger Star mit dieser Problematik besser umgeht als der Halbstar.

Hat Hertha zu viele Halbstars?

Das weiß ich gar nicht. Dazu war ich zu kurz hier, um das abschließend einschätzen zu können.

Wann waren Sie das erste Mal davon überzeugt, dass Hertha die Klasse halten kann?

Ich habe es nie echt bezweifelt. Zu 70 Prozent war ich mir anfangs sicher, dass wir es schaffen. Aber das erste Mal, dass ich zu 100 Prozent davon überzeugt war, war, als ich zum 65. Geburtstag meines Bruders war und Hansa Rostock 1860 München 3:0 geschlagen hat. Damit hatten wir zwei Spieltage vor Schluss vier Punkte Vorsprung auf 1860. Das ist eine Situation, die sich nicht so ohne weiteres auflöst im Sinne derjenigen, die vier Punkte hinter dir liegen.

Hatten Sie jemals einen Anflug von Zweifel?

Ja, hatte ich. Gleich nach dem ersten Rückrundenspiel in Bremen. Nach dem 0:4. Du hattest nur 13 Punkte aus der Hinrunde und hast ein weiteres Spiel abgegeben, und das Torverhältnis ist noch grausamer geworden. Und jeder draußen fragt sich: Hat der denn überhaupt etwas gemacht? Denn alles, was der Mannschaft im Herbst vorgeworfen wurde, kam wieder hoch. Denken Sie an den katastrophalen Fehler von Marcelinho.

Wie oft sind Sie mit Manager Hoeneß aneinander geraten?

Nie. Er hat mich in einer von mir erwarteten Weise unterstützt. Er hat gewusst, dass von mir, von meiner Art und meiner Akzeptanz bei der Mannschaft sehr viel abhängen wird. Dieter hat in jeder Situation zu mir gestanden.

Was war das größte Problem, gegen das Sie anzukämpfen hatten?

Wenn ich nur das beurteile, was ich in der kurzen Zeit gesehen habe, sage ich, dass die Zielstellung Champions League viel zu hoch war. Aber wer wusste schon im Sommer, dass wir die Rückrunde mit Cagara, Fathi, Madlung und Chahed spielen? Das ist keine Basis für solche Ziele. Hätte Hoeneß gesagt, wir wollen den fünften Platz angehen, hätten alle doch gesagt: Weichmacher. Oder haben Sie vorher gewusst, dass Bobic nicht das bringt, von Kovac ganz zu schweigen? Oder nehmen Sie Reina. Da haben die meisten gesagt, was wollen die denn mit diesem Blinden?

Haben Sie Reina geholt?

Nein. Wenn der Dieter mir drei Wochen eher gesagt hätte, komm, wir holen den Reina, hätte ich gesagt, lass uns noch mal schauen, Dieter. Aber es war alles schief gegangen. Luizao und Wichniarek verletzt, zwei Tage vor Ablauf der Wechselfrist. Plötzlich kommt der Dieter mit Reina. Ich habe gesagt: Klar, Dieter, müssen wir machen. Und: Reina hat richtig hingehauen, es hat mir wehgetan, als er sich verletzte und ausfiel.

Nach dem Jahr der allgemeinen Selbstüberschätzung: Was halten Sie in der kommenden Saison für möglich?

Viel ändern wird sich nicht. Es kommen vielleicht zwei Neue. Ich halte Dieter Hoeneß für analysefähig. Es wird im Denken Veränderungen geben. Das Problem hatte nichts mit fußballerischer Klasse zu tun, sondern dass einige glaubten, sie seien viel besser. Und das glaubten das Umfeld, das Publikum und die administrative Ebene des Vereins. Das passiert überall, wo Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander liegen.

Am 30. Juli werden in Berlin und in Mönchengladbach die neuen Fußballstadien eingeweiht. Wo werden Sie an diesem Tag sein?

Muss ich mal den Dieter fragen. Wenn ich im Olympiastadion einen schönen Platz ganz weit oben mit etwas Essbarem in der Nähe bekomme, werde ich hier sein. Aber in Gladbach kennen sie meine Schwächen auch.

– Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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