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Sport: Hinter jedem Pfosten lauert ein Feind

Der tägliche Kampf von Hollands Coach Advocaat

Der Arbeitstag des Roy Makaay endete mit einem Scheinerfolg. Zum Trainingsspiel der holländischen Fußball-Nationalmannschaft durfte sich der Stürmer des FC Bayern München eines der gelben Leibchen überziehen. In Deutschland gilt so etwas als Beleg für die Aufnahme in die Stammelf, bei den Holländern aber trug an diesem Abend die B- Mannschaft Gelb. Wenn am Dienstag für die Holländer mit dem Spiel gegen Deutschland die EM beginnt, wird Makaay also nur auf der Bank sitzen. „Ich habe die Mannschaft schon im Kopf“, sagt Trainer Dick Advocaat.

Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass bis vor wenigen Tagen nicht einmal klar war, mit welchem System die Niederlande überhaupt spielen wollen. Advocaat hatte eine Variante mit vier Mittelfeldspielern und zwei Stürmern favorisiert, mit diesem Experiment jedoch den Widerstand seiner Landsleute hervorgerufen. Der Versuch wurde jetzt mit einem formell basisdemokratischen Akt beendet. Gleich nach der Ankunft an der Algarve berief Advocaat seine Führungsspieler Cocu, Davids, van Nistelrooy und de Boer zusammen, um über die Systemfrage zu debattieren. Das Resultat: Die Holländer kehren zu ihrer traditionellen Ordnung mit drei Angreifern zurück.

Es gibt unterschiedliche Versionen über den Ablauf der Taktikbesprechung. Kapitän Phillip Cocu berichtete von einer lebhaften Diskussion; Advocaat hingegen sprach davon, dass er zu drei Vierteln einen Monolog gehalten habe. Aus solchen Sätzen spricht eine gewisse Enttäuschung. Als Advocaat vor knapp drei Jahren, nach der verfehlten Qualifikation für die WM 2002, sein Amt antrat, hing er noch der Idee nach, seine Spieler wie mündige Menschen behandeln zu können. Heute sagt er: „Ich habe das Gefühl, dass die Spieler weniger über taktische Dinge nachdenken als früher.“

Advocaats Amtsführung ist das Resultat dieser Erkenntnis, in der holländischen Öffentlichkeit aber hat er zuletzt den Eindruck eines gefährlichen Schlingerkurses hervorgerufen. Dabei galt der 56-Jährige einmal als Glücksfall, als niederländische Version von Rudi Völler gewissermaßen. Nach dem Überregulierer van Gaal, der im September 2001 als Bondscoach zurücktrat, traf Advocaat mit seiner Laisser-faire-Haltung genau den Nerv der Nationalspieler.

Inzwischen aber erinnert Hollands Nationaltrainer immer stärker an Berti Vogts. Selbst auf normale Journalistenfragen reagiere er gereizt, hat „De Volkskrant“ über ihn geschrieben. „Advocaat wittert hinter jedem Torpfosten einen Feind.“ Der Bondscoach wird als altbacken gescholten, als konservativ und wenig inspirierend. Wenn er aber etwas Neues ausprobieren will, wie zuletzt beim Spielsystem, meutern auch in Holland die Traditionalisten.

Advocaat ist wie Vogts ein Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater starb früh, seine Mutter musste fünf Kinder durchbringen. Außerhalb des Fußballplatzes war der kleine Dick ein schüchterner Junge mit Minderwertigkeitskomplexen, der sich nicht einmal getraut hat, seine Mutter zu duzen. Als Profi in Den Haag ist Advocaat häufig durch ein Fenster in die Kabine geklettert, weil er Angst davor hatte, den honorigen Herren des Vorstands zu begegnen und ihnen die Hand geben zu müssen.

Auf die Kritik an seiner Person reagiert Advocaat, wie er es als Jugendlicher auf den Straßen seines Viertels gelernt hat: Er schlägt zurück. Als Co Adriaanse, Trainer von AZ Alkmaar, dieser Tage verkündete, Holland werde mit diesem Coach niemals Europameister, kündigte Advocaat nicht nur seine Mitgliedschaft in der Trainervereinigung, sondern erklärte auch, dass er es nicht nötig habe, auf die Entschuldigung eines mittelmäßigen Trainers zu warten. Die Mannschaft versucht er, so gut es geht, aus den Querelen herauszuhalten. „Ich werde die Schläge abfangen“, sagt Advocaat. Das hat er gelernt.

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