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Toni Kroos, Miroslav Klose und Sami Khedira beim 7:1 gegen Brasilien.

© Marcus Brandt/dpa

Historische Spiele: WM-Halbfinals, die Geschichte schrieben

Deutschland gegen Frankreich 1982, Brasilien gegen Deutschland 2014: Einige Halbfinal-Begegnungen werden für immer in Erinnerung bleiben. Ein Blick in die Historie.

2006: Deutschland – Italien 0:2 n.V.

So klar, wie es war, dass diese WM im eigenen Land den Deutschen zu einem neuen Nationalstolz verhalf, so klar war auch: Diese Nationalmannschaft ist Italien unterlegen. Und trotzdem, es hätte reichen können. Die Uhr in der Verlängerung war schon fast abgelaufen, irgendwo bereitete sicher gerade jemand den Spickzettel für Jens Lehmann vor, damit er beim Elfmeterschießen ja wieder in die richtige Ecke springen würde. Da drückten die Italiener ein letztes Mal. Coach Marcello Lippi hatte drei Stürmer auf dem Platz, aber es war Linksverteidiger Fabio Grosso, der den Ball von rechts ins lange Eck schlenzte. Das Sommermärchen: vorbei. Del Pieros 2:0 ging da schon im Tränenmeer unter.

1954: Ungarn – Uruguay 4:2 n.V.

Die Wachablösung des Weltmeisters Uruguay durch die als unbesiegbar geltenden Ungarn wurde erwartet. Das vorweggenommene Finale, wie alle sagten. Und kein Spiel für schwache Nerven: Ungarn ging früh mit zwei Toren in Führung, doch der Titelverteidiger wollte sich so nicht verabschieden. Als Überlebensretter erwies sich Juan Hohberg. In der Schlussphase erzielte er beide Tore, beim anschließenden Jubel erlitt er eine Herzattacke. Neben dem Platz wurde er erfolgreich reanimiert, erhielt ein südamerikanisches Medikament gegen Höhenkrankheit und spurtete zurück auf den Platz. Dort schoss Ungarns Torjäger Nandor Hidegkuti das 3:2 und 4:2.

1958: Deutschland – Schweden 1:3

Wie ein Gewitter donnerten die Rufe der schwedischen Fans über das Stadion von Göteborg. „Heja, Heja!“ Das aggressive Auftreten der Fans wird nur von der schwedischen Mannschaft überboten. Beim Stand von 1:1 hatte Schiedsrichter Istvan Zsolt bereits ein schwedisches Handspiel zum Ausgleich übersehen und dem Weltmeister einen fälligen Elfmeter vorenthalten. In der 59. Minute wird es Erich Juskowiak, dem Verteidiger von Fortuna Düsseldorf, zu viel, er revanchiert sich mit einem harten Einsteigen gegen Kurt Hamrin – und wird des Feldes verwiesen. Auf der anderen Seite wird Fritz Walter zusammengetreten. Er humpelt über den Platz. Schweden gewinnt in der Schlussphase mit 3:1. Das Spiel hat diplomatische Folgen. Die DFB-Delegation reist entrüstet ab. Bei der Kieler Woche wird eine schwedischer Kinderkapelle mit Pfiffen empfangen. In Hamburg verschwinden die „Schwedenplatten“ von der Speisekarte, und die „Saar-Zeitung“ tritt übel nach: „Es ist der Hass eines Volkes, dem man das Schnapstrinken verbieten muss, weil es sonst zu einem Volk von maßlosen Säufern wird.“

Das epische Duell zwischen Deutschland und Italien in Mexiko-Stadt im Jahr 1970.
Das epische Duell zwischen Deutschland und Italien in Mexiko-Stadt im Jahr 1970.

© Lothar Heidtmann/dpa

1970: Italien – Deutschland 4:3 n.V.

Das Spiel der rasselnden Lungen. So erinnerte sich jedenfalls Gianni Rivera, Stürmerstar der Italiener, an das Halbfinale von 1970. Die Hitze in der Nachmittagssonne und die Höhenluft ließen das Duell zu einer Tortur für jeden Raucher auf dem Platz werden. Das 1:0 der Italiener nach neun Minuten schien Deutschland schon nicht mehr ausgleichen zu können, da traf Karl-Heinz Schnellinger („… ausgerechnet Schnellinger!“) in der Nachspielzeit. Sein einziges Länderspieltor. In der Verlängerung kämpften beide Mannschaften bis zur totalen Erschöpfung, Franz Beckenbauer spielte trotz Schultereckgelenksprengung durch. Zweimal traf Gerd Müller, zweimal die Italiener. Doch Gianni Rivera, der Golden Boy Italiens, schoss in der 111. Minute das entscheidende 4:3. Vier Tage zuvor hatten die deutschen Journalisten bereits das Viertelfinale gegen Weltmeister England, das die deutsche Elf nach einem 0:2-Rückstand mit 3:2 in der Verlängerung gewonnen hatte, als Jahrhundertspiel bezeichnet. Nach dem Italienspiel mussten sie diese Einschätzung noch einmal revidieren. Am Azteken-Stadion erinnert mittlerweile eine Gedenktafel an die „Partido del Siglo“.

1998: Brasilien – Niederlande 5:3 n.E.

Dieses Spiel sollte entscheiden, wer der beste Stürmer seiner Generation werden würde. Das Wunderkind aus Rio de Janeiro, Ronaldo. Oder die Skandalnudel aus Amsterdam, Patrick Kluivert. Für viele Beobachter galt es als vorgezogenes Finale. Und zumindest Ronaldo hatte vor, auf dieser großen Bühne zu brillieren. Mehrfach setzte er zu Sololäufen an, die einem den Atem raubten. Beim 1:0 setzte er sich gegen den herauseilenden Edwin van der Sar durch. Doch Kluivert glich per Kopfball aus. Was folgte, war ein Elfmeterschießen, das als „Thriller im Vélodrome“ in die Geschichte einging. Im Stadion von Olympique Marseille verloren Philipp Cocu und Ronald de Boer die Nerven – und verschossen.

1990: Deutschland – England 5:4 n.E.

Dramen verstecken sich manchmal in den kleinsten Augenblicken. Oder in den Tränen eines Mannes, der noch gar nicht verloren hat. Weinend stand Paul Gascoigne in der 98. Minute vor Schiedsrichter José Roberto Wright. Er konnte es nicht fassen: Gelbe Karte. Damit wäre Gascoigne für ein mögliches Finale gesperrt. Nicht dass es dazu kommen würde, vorher hätte sich England im Elfmeterschießen gegen Deutschland durchsetzen müssen. Doch Stuart Pearce scheiterte an Illgner, und Chris Waddle schoss übers Tor – war das schon Protest? Egal. Gascoigne weinte schon wieder.

1982: Deutschland - Frankreich 8:7 n.E.

Ein Jahrhundertspiel? Nicht schon wieder! O doch. Pierre Littbarski trifft zum 1:0, Michel Platini gleicht aus. Schumacher nagelt Battiston um („Es war wirklich keine Absicht“), Amoros trifft in der 90. Minute nur die Latte, und Fischer scheitert auf der Gegenseite. In der Verlängerung führen die Franzosen schon mit 3:1 nach Toren von Marius Tresor und Alain Giresse. Was dann folgt, soll der ehemalige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach erzählen, der zu dieser Zeit noch als Journalist für den Sport-Informationsdienst tätig ist: „Niemand merkt, dass sich auf der Gegenseite ein Mann namens Rummenigge die Trainingsjacke auszieht und mit seiner Einwechslung den vierten Akt einleitet. Er steht unter dem Motto der Auferstehung einer fast schon aussichtslos geschlagenen Mannschaft. Rummenigge und Fischer schaffen das, was niemand für möglich hielt und Portugals ehemaligen Weltstar Eusebio sagen lässt: ‚Die Deutschen besitzen eine Kondition aus Stahl.'“ Nicht nur das: Die Deutschen gewinnen auch im Elfmeterschießen.

2014: Brasilien – Deutschland 1:7

War das noch real oder nur die Wiederholung? Nur der Spielstand gab Gewissheit in diesen irren fünf Minuten. Thomas Müller und Miroslav Klose, der damit zum besten WM-Torjäger der Geschichte wird, hatten schon getroffen. Und jetzt rollte der Zug bestehend aus Toni Kroos, Sami Khedira und Mesut Özil schon wieder auf einen Haufen desillusionierter Brasilianer zu. Am Ende steht ein 1:7, dass sich als „Mineiraço“ tief in die Seele des Gastgebers brennt. Nur eine interne Absprache in der Halbzeit, beim Stand von 5:0, soll dafür gesorgt haben, dass diese Klatsche nicht noch härter ausfiel.

Tobias Ahrens

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