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Hopp

© Imago

Hoffenheim & Co: Die Tradition der Retorte

Bundesliga-Emporkömmling Hoffenheim wird angefeindet, weil der Klub keine große Geschichte hat. Dabei vergessen viele Fans, dass auch die Wurzeln anderer Vereine künstlich oder wenig schmeichelhaft sind.

Marcel Reif hat vor ein paar Tagen in dieser Zeitung geschrieben: „In der Angelegenheit Hoffenheim setze ich auf den großen Fußballgott.“ Herr im Himmel, hol diesen neureichen Aufsteiger weg von Platz eins, lass ihn stolpern, lass ihn straucheln und schick ihn zurück, wo er hingehört, weit nach unten, raus aus der Bundesliga! Der erfolgreiche Saisonstart der TSG 1899 Hoffenheim hat Argwohn geweckt und Ablehnung. Nicht immer wird die so philosophisch formuliert wie vom Fernsehmann Reif. Und auch nicht immer so primitiv wie vom Mönchengladbacher Anhang, der Hoffenheims milliardenschweren Mäzen Dietmar Hopp vor einer Woche im Stakkato als „Sohn einer Hure“ begrüßte. Der Fan in der Kurve sieht in Hopp den Teufel, der ihm mit viel Geld und einem Kunst-Event-Produkt die Seele rauben will. Den Fan in der Kurve interessiert es wenig, dass Hopp seinen Heimatverein nicht aus einer Laune heraus, sondern schon seit 1990 unterstützt, dass Hoffenheim das mit Abstand jüngste Team der Liga stellt und auch noch begeisternd schönen Fußball spielt.

Dem Fan in der Kurve geht es nicht um schönen Fußball.

Was ihn umtreibt, hat seine Kaiserslauterer Interessensvertretung vor einem guten Jahr in einem offenen Brief an Hopp formuliert: „Über mehr als ein Jahrhundert hat der Fußball Geschichten geschrieben, Legenden hervorgebracht und Generationen in seinen Bann gezogen. Über Jahre und Jahrzehnte haben sich einzigartige Vereine im deutschen Fußball entwickelt. Vereine standen im ehrlichen Wettkampf miteinander und Vereinsmitglieder steckten viel Herzblut in ihre jeweiligen Klubs und Fanszenen entwickelten sich“ ... „Ihr Verein, Herr Hopp, hat alle Evolutionsstufen eines Traditionsvereins ausgelassen, kann keine Wurzeln im Fußballsport vorweisen und tritt alle Werte, die Millionen Fußballanhänger im Herzen tragen, mit Füßen“ ...

Ach ja, die Tradition. Mystische Heimat des Fans in der Kurve. Es gibt in der Bundesliga eine Handvoll Vereine, die Kraft ihrer Aura und – gewiss! – Tradition, auch in der dritten Liga in ausverkauften Stadien spielen würden. Bayern, Schalke, Gladbach, Köln, vielleicht noch der HSV. In Stuttgart würde das schon nicht mehr funktionieren und ganz bestimmt nicht bei Hertha BSC.

„Ist man nach 30, 40 oder erst 80 oder 160 Jahren ein Traditionsverein?“, fragt „Zweikopfjunge“ im Dortmunder Online-Fanzine Schwatz-Gelb.de. „Zeichnen gewachsene Strukturen einen Traditionsverein aus? Oder 40 000 Mitglieder? Oder große Erfolge? Ist Hoffenheim dann also in 100 Jahren auch Traditionsverein? Oder ist das so ein geschlossener Club von ein paar Teams, die zufällig (oft auch durch Mäzenen-Knete) zur richtigen Zeit hochklassig Fußball gespielt haben und in die niemand Neues mehr aufgenommen wird?“

Tradition wird erarbeitet, sie fällt in den Schoß, und manchmal entsteht sie auch aus der Retorte. Zum Beispiel in Köln. 1948 fusionierten der KBC und Sülz 07, zwei dem Mittelmaß verpflichtete Regionalklubs, zum Effzeh. Vier Jahre später stand der schon in der Endrunde um die deutsche Meisterschaft, 1962 gewann er den Titel. In den Archiven findet sich reichlich über die vier Tore im Finale gegen den 1. FC Nürnberg – und wenig Klage darüber, dass ein Retortenklub die Meisterschaft gestohlen hatte. Heute zählt der 1. FC Köln zu den Traditionsklubs, die eigentlich schon immer welche waren.

Der 1. FC Kaiserslautern pendelte jahrelang zwischen den Ligen, bis 1938 die Jahrhundertgestalt Fritz Walter in der ersten Mannschaft debütierte. Um Walter herum baute der Klub in der gottverlassenen Westpfalz eine Mannschaft von Weltruf auf, von dem er bis weit in dieses Jahrtausend hinein lebte. Fritz Walter war Kaiserslauterns Hauptargument für die erfolgreiche Bewerbung als Standort für die WM 2006. Ironie des Traditionsschicksals war, dass der dafür notwendige Stadionausbau den FCK beinahe in den Ruin gestürzt hätte.

Den FC Hansa Rostock würde es heute wahrscheinlich gar nicht geben, wäre Harry Tisch nicht so ein großer Fußballfan gewesen. Harry Tisch führte in den Fünfzigerjahren die Rostocker SED. Weil es im Norden der DDR keinen höherklassigen Klub gab, ließ Tisch den SC Empor Lauter aus dem mit Erstligaklubs reichlich gesegneten Erzgebirge an die Küste verpflanzen. Hansa Rostock ist ein Traditionsklub von Gnaden der SED, wie übrigens auch Dynamo Dresden. Der populärste Klub der DDR wurde als Betriebssportgruppe der Volkspolizei gegründet.

Mit der Tradition ist das so eine Sache. 1860 München legte die Basis für seine Stellung als deutscher Spitzenklub der Sechzigerjahre in der Nazizeit. Auf dem Vereinsgelände trainierte die SA, die auch den Vorsitzenden stellte, einen üblen Antisemiten. Lokalrivale FC Bayern galt den braunen Machthabern als Judenklub. Der VfB Stuttgart überließ den Nazis gern sein Stadion, das in den tausend Jahren zwischen 1933 und 1945 Adolf-Hitler-Kampfbahn hieß. Werder Bremen ließ schon im April 1933 verlauten, der Verein habe „nicht erst jetzt nach der Umwälzung sein nationales Herz“ entdeckt. Dieser braunen Traditionen erinnern sich die Fans der Traditionsklubs aus München, Stuttgart und Bremen nicht so gern.

Hertha BSC, beheimatet im roten Wedding, entzog sich dem braunen Werben und überstand die Nazizeit schadlos. Nach dem Krieg pflegte der Verein über Jahrzehnte die Tradition eines Skandalklubs, der sich die Aufnahme in die Bundesliga 1963 mit gefälschten Bilanzen ermogelte, deswegen zwei Jahre später ausgeschlossen wurde und 1971 maßgeblich am Bestechungsskandal beteiligt war. Auch heute spielt ein Verein namens Hertha BSC in der Bundesliga, die Spieler tragen wie früher blau-weiße Leibchen und haben doch wenig zu tun mit dem, was damals war. Die seriöse Hertha ist sozusagen eine Neugründung, Taufpate war Ende der Neunziger Jahre der Sportrechtevermarkter Ufa (heute Sportfive). Mit dessen millionenschweren Zuwendungen gelang der Aufstieg in die deutsche Spitze.

Mit dem Arbeiterverein der Zwanziger- und Dreißigerjahre hat die Hertha BSC Kommanditgesellschaft auf Aktien auch räumlich nichts mehr zu tun. Vor ein paar Jahren ist der Verein vom Gesundbrunnen nach Charlottenburg umgezogen – kein Einzelfall in der Liga. Das Stadion von Schalke 04 trägt zwar den Namen „Arena auf Schalke“, liegt aber nicht im gleichnamigen Gelsenkirchener Stadtteil, sondern ein paar Kilometer weiter in Erle. Sponsor des einstigen Kohlekumpelklubs ist der russische Gasprom-Konzern. Die einstigen Skandalvereine Hertha und Schalke stehen für die Loslösung von Traditionen, die neuen Herausforderungen nicht mehr gerecht werden. Vor ein paar Jahren noch machte sich der deutsche Fußball mit seiner „Das haben wir immer so gemacht“-Mentalität lächerlich. Bis 2004 der aus den USA heimgekehrte Anti-Traditionalist Jürgen Klinsmann kam. Anregungen für das, was er jetzt beim Traditionsunternehmen Bayern München umsetzt, hat er sich bei Leuten geholt, die jetzt für Hoffenheim arbeiten.

Vielleicht ist Hoffenheim auch deswegen ein so beliebtes Feindobjekt, weil Dietmar Hopp als Einzelperson angreifbarer ist als eine anonyme Institution. Der VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen werden von den Traditionalisten nicht gerade geliebt, aber akzeptiert und bewundert für professionelle Arbeit. Es soll sogar Fußballfans geben, die im Golf zum Stadion fahren und ihren Kater mit Aspirin bekämpfen.

(www.tagesspiegel.de kooperiert mit www.11freunde.de)

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