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© Imago

Hoffnung: Herthas Ziel nach dem Ziel

Nach dem Erreichen des Uefa-Cups darf Hertha BSC jetzt auch offiziell mehr wollen. Doch auch die Zweifel wurden durch den Erfolg in Köln genährt.

Akribie kann einem manchmal gehörig auf die Nerven gehen. Andrej Woronin fühlte sich regelrecht verfolgt. Der Spielverlauf brachte es mit sich, dass er sich oft in der Nähe seines Trainers aufhielt, und Lucien Favre nutzte die Gelegenheit, um den Ukrainer immer wieder zu maßregeln und ihm die richtigen Laufwege zuzuweisen. Irgendwann hatte Woronin genug. „Halt die Fresse!“, brüllte er im Affekt zur Seitenlinie, und dann schüttelte er fortwährend den Kopf. Woronin wollte Favre einfach nicht verstehen. 2:0 führte Hertha BSC beim 1. FC Köln, das Spiel war so gut wie abgeheftet, und eigentlich hätte sich der Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten beruhigt zurücklehnen können. Aber das ist nichts Favres Art.

Es geht dem Schweizer nicht darum, jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser zu machen; es geht ihm darum, jeden Spieler in jeder Minute noch ein bisschen besser zu machen. Dass Herthas Mannschaft da steht, wo sie steht, hat auch etwas mit der peniblen Art ihres Trainers zu tun. Mit dem 2:1 (1:0) beim 1. FC Köln, dem 19. Sieg dieser Spielzeit, haben die Berliner bereits zwei Spieltage vor Schluss ihr Saisonziel erreicht. Die Qualifikation für den Uefa-Cup, der im nächsten Jahr Europa League heißt, ist ihnen nicht mehr zu nehmen. „Ich freu mich sehr darüber“, sagte Herthas Manager Dieter Hoeneß. „Das haben uns vor der Saison viele nicht zugetraut.“ Das stimmt. Und noch viel weniger haben der Mannschaft noch mehr zugetraut. Aber das ganz große Ding ist weiterhin möglich. Ob es jetzt ein neues Ziel gebe, wurde Manager Hoeneß gefragt. „Ja, die Champions League“, antwortete er. „Zumindest die Qualifikation haben wir in der eigenen Hand.“

Alles andere nicht mehr, aber das vermag die Zuversicht der Mannschaft nicht zu schmälern. „Wir wären keine Sportler, wenn wir nicht das Maximale wollen“, sagte Marko Pantelic. Und zweifelt wirklich jemand daran, dass Hertha die beiden ausstehenden Spiele gegen Schalke und in Karlsruhe gewinnt? Wenn man die Spieler reden hört, geht es nie darum, ob ihnen noch zwei Siege gelingen, es geht nur um die Frage, was ihnen diese beiden Siege am Ende einbringen. „Ich hoffe, dass es für die Meisterschaft reicht“, sagte Verteidiger Josip Simunic.

So paradox es sich anhören mag: Der Erfolg in Köln hat Herthas Hoffnung genauso genährt wie die Zweifel. Souverän war der Sieg gegen den Tabellenzwölften keineswegs. Die Berliner spielten vorsichtig, fast ein bisschen nervös, aber sie trafen zum richtigen Zeitpunkt. Das 1:0 fiel unmittelbar vor der Pause, das 2:0 kurz danach, noch dazu durch einen glücklich abgefälschten Schuss von Patrick Ebert. Und obwohl die Kölner nie wirkliche Gefahr ausstrahlten, gestand ihnen Hertha in der zweiten Halbzeit ein paar Möglichkeiten zu viel zu. „Wenn du so gewinnst, hast du immer Chancen, etwas ganz Besonderes zu schaffen“, sagte Simunic.

Allerdings wurde den Berlinern auch die eigene Machtlosigkeit deutlich vor Augen geführt. Unmittelbar nach ihrem 2:0 leuchteten auf der Anzeigetafel Tore für Bayern und Wolfsburg auf: Die Konkurrenz siegt mit. Die vorzeitige Qualifikation für den Uefa-Cup gelang Hertha nur, weil die Dortmunder in Wolfsburg verloren. Man kann sich leicht ausmalen, dass die Berliner in der aktuellen Konstellation insgeheim mit etwas anderem gerechnet hatten. Und so euphorisch die Stimmung derzeit ist: Sollte Hertha am Samstag nicht gegen Schalke gewinnen, ist der große Traum aller Wahrscheinlichkeit ausgeträumt.

„Wir werden versuchen, unser Bestes zu geben“, sagte Trainer Lucien Favre. Sie werden kämpfen bis zur letzten Minute, so wie er selbst das an der Seitenlinie vorgemacht hatte. Nachlässigkeiten sind schon deshalb nicht zu erwarten, weil auch der interne Konkurrenzkampf noch einmal an Schärfe gewonnen hat. Im furiosen Finale einer außergewöhnlichen Spielzeit kann Favre über beinahe sein komplettes Personal verfügen. Kapitän Arne Friedrich durfte nach seiner Meniskusverletzung in Köln wieder ein wenig Spielpraxis sammeln, und im Sturm stand der Trainer vor der Alternative: Pantelic oder Woronin? Er entschied sich für Pantelic. „Das war mein Gefühl“, sagte Favre. Sein Gefühl trog nicht.

Woronin wurde 20 Minuten vor Schluss eingewechselt, er lief ein paar Mal ins Abseits und geriet nur einmal in die Nähe des Kölner Strafraums. Als er zum Dribbling ansetzte, rutschte Woronin auf dem glitschigen Rasen aus. Ganz anders Pantelic. „Marko hat uns mit einer tollen Einzelleistung auf die Siegerstraße gebracht“, sagte Hoeneß. Der Serbe bereitete das 1:0 von Cicero vor, doch genauso bemerkenswert wie sein Solo vor dem Tor, mit dem er sich seines Bewachers McKenna entledigt hatte, war sein Spurt danach. Pantelic scheuchte die komplette Mannschaft zur Bank der Berliner, damit auch die Ersatzspieler das Gemeinschaftsgefühl auskosten konnten. „Es gewinnt nicht nur ein Spieler, es gewinnen alle“, sagte Pantelic. „Jeder kann sehen, dass wir eine richtige Truppe sind.“

Nur einer hatte an diesem Abend keine Lust auf Lagerfeuerromantik. Als das Spiel zu Ende war und die Berliner sich zum gemeinsamen Jubel auf dem Rasen versammelten, stürzte Andrej Woronin in die Kabinen. Hertha musste an diesem Abend ohne ihn feiern.

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