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Hürden im Anti-Doping-Kampf: „Die Leute wollen den Sport nicht entzaubern“

Der Dopingexperte Perikles Simon kritisiert im Interview ineffektive Tests und fehlendes Engagement. Verantwortlich dafür macht er das Versagen der Politik. Außerdem hat er Zweifel an angeblich sauberen deutschen Athleten.

Von Christian Hönicke

Perikles Simon ist Sportmediziner an der Gutenberg-Universität in Mainz. Bis Ende 2013 war er in der Gendoping-Expertenkommission der Welt-Anti-Doping- Agentur (Wada). Im Interview kritisiert er fehlende Transparenz und mangelnden Erfolgswillen bei der Dopingbekämpfung.

Herr Simon, ist das Anti-Doping-System in seiner jetzigen Form gescheitert?

Das kann und soll ja gar nicht funktionieren. Die Wada hat das mal von einer Expertengruppe analysieren lassen. Die sagen, da ist einfach überhaupt kein Appetit vorhanden, in ausreichendem Umfang positive Proben herbeizuführen. Die menschliche Schwäche, die Interessenskonflikte im System, das höhlt das System aus.

Es gibt im Sportsystem eine breite Front, die kaum Interesse an Dopingfällen hat: Sportler, Verbände, Trainer, Zuschauer, Sponsoren, Medien. Wie motivieren Sie sich da für Ihre Arbeit als Dopingbekämpfer?

Ich bin einerseits Experte für Leistungsphysiologie, das interessiert mich. Die andere Frage, die mich interessiert, ist: Kann man ein System, in dem ein extremer Druck zum Betrug herrscht, annähernd sauber kriegen? Ich glaube, dass diese Frage immer wichtiger wird. In den 60er und 70er Jahren gab es im Grunde nur die Angst vor der Atombombe. Heute gibt es die Möglichkeit, in einem Labor ein Virus zu erzeugen, das die Menschheit ausrottet. Das ist schon geschehen, vor zwei Jahren. Und die Forscher standen vor der Frage: Sollen wir das jetzt wissenschaftlich publizieren oder nicht? Und diese Frage lässt sich nur ganz, ganz schwer beantworten.

Die dunkle Seite der unbegrenzten Möglichkeiten reizt Sie?

Ja. Bei diesen gesellschaftlichen Problemzonen, ob NSA oder Biotechnologie, da landen wir immer wieder bei der Frage: Wie schränkt man etwas ein, das so potent und mächtig ist? Doping im Leistungssport ist ein solcher Bereich, über den wir historisch bedingt schon sehr viel wissen. Man kann hier wunderbar exemplarisch lernen, wie es nicht funktioniert. Und das ist wichtig.

Fühlen Sie sich bei Ihrem Kampf von der Politik unterstützt oder behindert?

Konkrete Unterstützung oder nicht, das ist ja die eine Sache. Auf der guten Seite der Macht geht es sehr vielen Leuten gar nicht ums Geld. Aber wenn einem natürlich unter fadenscheinigen Argumenten Felsbrocken in den Weg gerollt werden, gibt es offensichtlich größere Probleme.

Perikles Simon.
Perikles Simon.

© imago

Zum Beispiel ist die von der Wada beauftragte anonyme Umfrage bei der Leichtathletik-WM 2011 in Daegu immer noch nicht offiziell veröffentlicht. 29 Prozent der Athleten gaben darin zu, gedopt zu haben. Wieso greift die Politik in so einem Fall nicht ein?

Das ist eine sehr gute Frage. Die Politik ist immerhin Finanzier des Anti-Doping- Kampfs. Man muss nicht bei jedem Fehler fundamental eingreifen. Aber wenn etwas schiefläuft, dann erwartet man schon, dass es aufgearbeitet wird. Man hat das Gefühl, es werden da sehr viele Hausaufgaben nicht gemacht. Die Athleten wissen immer noch nicht, wie viele fäschlich positive Tests entstehen können. Man weiß noch immer nicht, wie unreif oder reif bestimmte Testverfahren sind. Es sind viele Punkte, über die wir sehr wenig erfahren.

In Deutschland ist das Bundesinnenministerium für den Sport zuständig. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus?

Ehrlich gesagt habe ich gar keinen Kontakt dorthin. Das ist Jahre her, dass ich mal angesprochen wurde, von einem aus dem Dienst ausscheidenden Staatssekretär. Da mache ich mir auch keine Illusionen, dass dort jemand mit offenen Armen auf mich zukommt. Ich glaube tatsächlich, es handelt sich hier um Systeme, die gar keine kritische Betrachtung von draußen brauchen. Da ist es im Gegenteil lästig, wenn von außen noch draufgeguckt wird.

Politiker beschäftigen sich nur mit Sport, wenn es etwas zu feiern gibt?

Ja, natürlich. Da muss man doch mal ehrlich sein: Sie müssen schon ein großer Idealist sein, wenn Sie als Bundestagsabgeordneter statt in den Wirtschaftsausschuss in den Sportausschuss gehen. Der Sport ist einfach so eine lockere, liebe Nebenbeschäftigung der Welt. Da hört die Ernsthaftigkeit manchmal zu schnell auf. Das ist schade, denn der moderne Hochleistungssport ist von Geld durchtränkt.

Wie kann man diese Ernsthaftigkeit herstellen? Im Symposium des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins am Dienstag war kein hochrangiger Politiker, auch der DOSB-Generaldirektor Vesper hatte Besseres vor.

Es ist schwierig, das zu ändern. Ich glaube, in dem Moment, in dem Sie das ändern, entzaubern Sie den Sport. Sie nehmen ihm so viel von seinem Charme, seiner Natürlichkeit, seinem Ursprung, dass es die Leute gar nicht wollen. Diese ernsthafte Auseinandersetzung ist auch für den reinen Zuschauer hart. Im Grunde will man, dass das hinter verschlossenen Türen stattfindet. Das ginge auch, wenn man zumindest so mal aufeinander zugehen würde. Aber das erkenne ich nicht.

Der Großteil des Geldes kommt von Sponsoren. Müsste man die nicht in die Pflicht nehmen, um den Sport zu säubern? Bisher wollen sie mit den Nebenwirkungen nichts zu tun haben.

Richtig, und so wird es bleiben. Der Sponsor macht eben im Zweifel seine eigene Sportshow ohne Dopingtests, so eine Art „Deutschland sucht den Superstar“ im Sport. Wenn der Staat nicht eingreift und sagt: Passt mal auf, dann gibt’s irgendwann keine Sportförderung mehr, dann sehe ich schwarz. Rein über die private Wirtschaft sehe ich keine Möglichkeit.

Sie gehen davon aus, dass 60 Prozent der Spitzensportler gedopt sind. Wie sähe denn Ihr Modell aus, um diese Zahl zumindest zu reduzieren?

Ich würde alles neu aufziehen. Ich würde eine Struktur entwickeln, die einen unabhängigen Anti-Doping-Kampf durchführen möchte. Bei der Leute vertreten sind, die fachliches Know-how haben, Biomediziner, Chemiker, frühere Sportverbandsmitarbeiter. Die aber mit dem aktuellen Sportgeschehen gar nichts zu tun haben. Die US-Anti-Doping-Agentur Usada weist so eine Grundstruktur schon auf.

Und was soll diese Organisation dann konkret machen?

Ich denke, dass man extrem gute Tests, aber auch Präventionsverfahren durchführen muss. Man muss den mündigen Sportler auf Sport loslassen, der weiß und versteht, was mit ihm alles passiert, wenn er dopt. Ich würde deshalb dafür plädieren, Sportler und auch Eltern sehr früh darüber aufzuklären. Im Schullehrplan würde es Sinn machen, sehr viel Sinn sogar.

Die Erfolgsquote bei Dopingtests liegt Ihren Berechnungen nach bei unter einem Prozent. Das gibt einem wenig Argumente, um in der Schule von einem flächendeckenden Dopingproblem im Sport zu sprechen.

Viele unabhängige wissenschaftliche Studien belegen, dass wir über 14 Prozent und mehr gedopte Spitzensportler reden. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann realistische Quoten auf dem Tisch liegen. Die Wissenschaft ist unbequem, sie bohrt – irgendwann wird Gewissheit herrschen. Darauf muss man sich einfach seelisch einstellen.

Angesichts der vergleichsweise seltenen Dopingfälle und der eher wenigen Goldmedaillen neigt man in Deutschland zum Glauben, unsere Athleten seien weitgehend sauber.

Wenig Goldmedaillen? Ich würde sagen, beziehen wir es doch einfach mal auf die Bevölkerungszahl und die Sportförderungssummen im Vergleich zu anderen Ländern. Gemessen daran sind wir sehr erfolgreich, wenn wir als kleines Land im Medaillenspiegel so weit vorn landen. Es kann sein, dass darunter sehr viele saubere Athleten sind. Ich denke aber, die niedrige Quote liegt eher an den Substanzen. Ich gehe nicht davon aus, dass bundesdeutsche Athleten noch Substanzen einsetzen wie russische Athleten. Da gibt es ein gewisses Zerrbild, weil man mit Nachtests meistens die erwischt, die in ihrem Land noch ungestört dopen.

Herr Simon, können Sie eigentlich noch unbedarft Sport im Fernsehen anschauen?

Ja. Es gibt schon Momente, wo ich mir auch mal ein unterklassiges Fußballspiel ansehe und das genieße. Wenn es natürlich Auffälligkeiten gibt, werde ich hellhörig. Zum Beispiel bei körperlichen Veränderungen in der Leichtathletik oder wenn ein Schwimmer seinen Schwimmstil komplett ändert.

Der Dopingtest in Ihrem Kopf läuft immer?

Der läuft im Hintergrund immer mit.

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