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Sport: Hummel, Hummel, Werder, Werder

Aller Rivalität zum Trotz: Hamburg und Bremen verbindet auch eine Geschichte der Gemeinsamkeiten

Wenn heute die Anhänger des SV Werder Bremen am Hauptbahnhof oder im Altonaer Volkspark zum Derby beim Hamburger SV anreisen, wird sie ein stattliches Polizeiaufgebot erwarten. Das Ereignis gilt als brisant – was man von früheren Spielen eigentlich nicht behaupten konnte. Und ob tatsächlich eine Rivalität der beiden Hansestädte besteht, sei einmal dahingestellt. Natürlich sieht man dieser Tage auch in Hamburg wieder T-Shirts mit dem platten Witz: „Was ist das Schönste an Bremen? – Die Autobahn nach Hamburg!“ Und manche Hanseaten, denen das eher provinzielle „Abendblatt“ einreden will, sie würden in einer „Weltstadt“ leben (der eigentlich nur noch die Olympischen Spiele fehlen...), charakterisieren Bremen als „Dorf mit Straßenbahn“. Zu unterschiedlich sind die Dimensionen, dort 1,7 Millionen Einwohner, 120 Kilometer weiter deren 546 000. Will man die Rivalität historisch ableiten, so hat sie damit zu tun, dass ehemals geistliche und weltliche Macht stritten: Bremen war seit dem 11. Jahrhundert Sitz des auch für Hamburg zuständigen Bischofs, die Hamburger aber ließen den Dom 1807 abreißen. Daran erinnert hat sich 2003 im Streit um den Staatskirchenvertrag Polit-Desperado Ronald Schill: „Ein Hamburger kniet vor niemanden nieder, auch nicht vor der Kirche!“ Eine „Gesellschaft für Hamburgisch-Bremische Freundschaft“ ist über den Status „in Gründung“ seit 1999 jedenfalls nicht hinausgekommen, ihre Parole „Hummel, Hummel! Werder, Werder!“ blieb unerwidert.

Fußballerisch hatte Werder zwar bereits 1930 hohe Ansprüche postuliert („aus der Beengtheit eines fast doch nur provinziellen Lebens heraustreten“), doch den großen Namen besaß im deutschen Fußball nach 1945 im Norden der Hamburger SV. Da hatte der SV Werder noch mit Lokalrivalen wie dem Bremer SV und Bremerhaven 93 zu kämpfen. Werder aber unternahm erhebliche Anstrengungen, zeitweise hieß das Oberliga Nord-Team in Anlehnung an eine Zigarettenmarke des Hauses Brinkmann „Texas-Elf“. Und heftig stritten beide Vereine, als es 1953 um Willi Schröder, nach Fritz Walter damals der sicherlich beste Spielmacher, von Bremen 1860 ging. Der HSV steckte dem späteren Nationalspieler im Bremer „Ratskeller“ 15 000 DM Handgeld zu, bald darauf hing im Schaufenster eines lokalen Autosalons das Plakat: „Dieses Auto kaufte Willi Schröder.“ Der Handel flog auf, es hagelte Strafen und der Bremer Sportsenator wurde vorstellig: „Willi, wenn Du schon wechselst, dann nur zu Werder!“ Die Vereinsspitze kasernierte Schröder auf der Nordseeinsel Wangerooge, bis der Tag der Vertragsunterzeichnung nahte – Schröder unterschrieb, Bremen kam mit ihm und unter Trainer „Schorsch“ Knöpfle dem HSV von 1958 bis 1963 recht nahe, wurde hinter dem fast ewigen Oberliga-Nord-Meister stets Vize. Der HSV setzte auf den Nachwuchs, Werder dagegen nutzte seine Verbindungen zu Schalke (unter anderen kamen Jagielski und Soya, beide von Beruf Gastwirt!), verpflichtete spätere Stützen wie „Pico“ Schütz, Max Lorenz, Sepp Piontek und Horst-Dieter Höttges. Und siehe da: Der zweite Bundesliga-Meister hieß 1965 SV Werder Bremen.

Inzwischen ist man mit dem Rivalen von der Elbe fast gleichauf, der in 21 von 41 Spielzeiten besser platziert war. Eine Saison nämlich verbrachten die Bremer 1980-81 in der Zweiten Bundesliga Nord an Orten wie Bocholt, Erkenschwick, Herford und Hannover-Oststadt. Als Trainer Kuno Klötzer bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, löste ihn in der Saison der bis dahin arbeitslose Coach Otto Rehhagel ab. Der blieb bis 1995, war Mitglied des „Dreigestirns“ mit Präsident Franz Böhmert (1970-1999) und Manager Willi Lemke (1980-1999). In Hamburg trugen sie zu der Zeit den Kopf noch zu Recht hoch: dreimal Deutscher Meister (1979, 1982, 1983) und Europacup-Sieger (1983). Kargus, Kaltz, Keegan, Magath, Hrubesch, die Trainer Zebec und Happel, Manager Netzer waren die Heroen jener Tage. Bremer Fan-Veteranen beschrieben das Verhältnis bis dahin als „fast freundschaftlich“ bis „na ja...“.

Am 16. Oktober 1982 aber kam einer der ihren vom Fan-Club „Die Treuen“ ums Leben, als rechtsradikal orientierte Mitglieder der „Löwen“ des HSV und Skinheads die Bremer beim Volksparkstadion angriffen. Der 16-jährige Adrian Maleika wurde von einem Mauerstein am Kopf getroffen und zusammengetreten. Er erlitt einen Schädelbasisbruch und Gehirnblutungen, an deren Folgen er am darauffolgenden Tag im Krankenhaus Hamburg-Altona verstarb. Die Werder-Fan-Kurve zeigte bald darauf ein Transparent: „Fußball ist Kampf um den Ball – und nicht Kampf zwischen den Fans“. Im Dezember 1982 schlossen 200 Fan-Delegierte beider Klubs auf halber Strecke zwischen den Städten den „Frieden von Scheeßel“, eine Art „Stillhalteabkommen“ im Beisein der Manager Netzer und Lemke. Der Tod von Adrian Maleika aber ist bei vielen nicht vergessen. Eine Bremer Fan-Page widmet ihm eine ganze Seite, und beim Werder-Spiel 2004 in Hamburg sollen HSVer die Parole skandiert haben: „Adrian Maleika – die Steine fliegen weiter.“ Die Rivalität der Vereine mag auch darin begründet sein, dass der HSV ein ganzes Jahrzehnt lang, von 1984 bis 1995, hinter Meister und Europacupsieger Werder hinterher hinkte. Damals outeten sich per Leserbrief sogar Fußball-Freunde aus dem Hamburger Umland, sie würden das Weserstadion dem Volksparkstadion vorziehen. Zusätzlich ärgerte die HSV-Gemeinde, dass Bremen auf Hamburger Talente baute: Frank Neubarth (317 Bundesliga-Spiele), Norbert Meier (242), Thomas Wolter (312), und heute Ivan Klasnic und Patrick Owomoyela.

Als legendär gelten inzwischen die Choreographien der Ultras beider Vereine. „Ihr seid das Tor zur Welt – aber wir haben den Schlüssel“, dichteten die Bremer in Anlehnung an die Stadtwappen, lagen aber völlig daneben, als sie 2004 auf einem Transparent Bomben auf Hamburg fallen ließen. Nachdem 2005 am Hamburger Hauptbahnhof Polizei und Bremer Fans („67 Gefangene, 1 Festnahme“) zusammenstießen, zeigten die inzwischen aufgelöste „Eastside“ aus Bremen und die „Chosen Few“ vom HSV im Stadion gemeinsam Flagge: „Rivalität gehört zum Derby – Willkür nicht“, eine Parole, mit der man „gemeinsam gegen polizeiliche Repression“ vorgehen wollte. Die Polizei jedenfalls hat für den heutigen Samstag schon wieder „die höchste Sicherheitsstufe“ ausgerufen.

Werner Skrentny[Hamburg]

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