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Sport: „Ich beneide Jürgen Klinsmann“

Ex-Teamchef Rudi Völler über die neuen Methoden des Bundestrainers, die Verjüngung des Kaders und Michael Ballacks Bedeutung

Herr Völler, am Mittwoch beginnt der KonföderationenPokal. Denken Sie manchmal daran, dass Sie noch für die deutsche Nationalmannschaft verantwortlich sein könnten?

Nein, so denke ich nicht. Sonst müsste ich mich ja auch ärgern, dass ich nicht als Trainer beim AS Rom geblieben bin. Die stehen jetzt im Pokalfinale. Obwohl 2004 ganz bestimmt nicht mein Jahr war, habe ich nur einen einzigen Fehler gemacht.

Dass Sie zu früh bei der Nationalmannschaft aufgehört haben?

Glauben Sie mir, diesen Schritt habe ich zu keiner Zeit bereut. Mit keiner Silbe, keinem Komma. Der Fehler war auch nicht, dass ich in Rom aufgehört habe. Der Fehler war, überhaupt dort zugesagt zu haben. Das habe ich noch vor dem ersten Spiel gemerkt. Aber der Verein wollte mich unbedingt haben. Das war eine rein emotionale Geschichte.

Das heißt, wenn der DFB Sie richtig bearbeitet hätte, wären Sie auch Teamchef der Nationalmannschaft geblieben.

Nein, keine Chance. Egal, was erzählt wird. Der Franz Beckenbauer hat ja behauptet, wenn er dabei gewesen wäre, hätte es keinen Rücktritt gegeben. Aber da kennen mich die Leute schlecht: Wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, gibt es kein Pardon. Natürlich hätte ich auch nach dem Negativerlebnis Europameisterschaft weitermachen können. Aber man darf in einer solchen Situation nicht zu egoistisch sein. Trotz meiner positiven Außendarstellung wären das zwei sehr schwierige Jahre bis zur WM in Deutschland geworden. Ich kenne die Mechanismen doch.

Aber die Kritik ging nie direkt gegen Sie.

Weil ich sofort zurückgetreten bin. Wenn ich vier Wochen gewartet hätte, hätte das ganz anders ausgesehen. Nicht, dass ich davor Angst gehabt hätte. Aber es wäre nicht gut gewesen für die Mannschaft, vor allem nicht in einer Situation, in der es zwei Jahre nur Freundschaftsspiele gibt. Für mich wäre es schwierig geworden, die Euphorie zu entfachen, die bei einer WM im eigenen Land einfach notwendig ist.

Sie hätten doch wunderbar neue Dinge ausprobieren können, so wie es jetzt Ihr Nachfolger Jürgen Klinsmann tut.

Der Jürgen macht das auch richtig: zum Beispiel, dass er jedes Freundschaftsspiel zum WM-Finale hochpusht. Nur wäre das für mich schwierig gewesen, weil ich in den vier Jahren davor immer deutlich unterschieden habe zwischen Qualifikations- und Freundschaftsspielen. Für mich war das nie das Gleiche. Ich wollte in den Freundschaftsspielen auch ein bisschen was ausprobieren, habe auch mal Spieler pausieren lassen, die in ihren Vereinen stark belastet waren. Da war mir das Ergebnis manchmal nicht so wichtig. Ich hätte mich also total umstellen müssen, um von dieser Linie abzuweichen. Es wäre gegangen – wenn die EM vernünftig verlaufen wäre.

Der offensive, aggressive Stil, den Klinsmann der Mannschaft verpasst hat, wäre der für Sie auch eine Option gewesen?

Wir haben ja auch Spiele gehabt, in denen wir offensiv waren. Gegen Israel haben wir in einer Halbzeit sieben Tore geschossen. Aber Sie haben Recht: Meine Philosophie und Strategie ist es oft gewesen, eine zusätzliche Absicherung im Spiel zu haben. Du musst dich aber auch immer an den Möglichkeiten orientieren, die dein Kader hergibt. Wenn wir bei der WM in Asien nur nach vorne gerannt wären, wären wir mit Sicherheit nicht ins Endspiel gekommen. Da mussten wir erst mal in der Defensive gut stehen. Jetzt in den Freundschaftsspielen kannst du vieles ausprobieren. Bis jetzt ist das okay. Ich hoffe, dass das bei der WM auch so klappt.

Gefällt Ihnen der Fußball, den die Nationalmannschaft im Moment spielt?

Ja, die Nationalmannschaft macht Spaß, und so muss es auch sein.

Man hat aber zurzeit ein bisschen das Gefühl, dass die Ära Völler angesichts der Veränderungen unter Jürgen Klinsmann zunehmend kritisch gesehen wird. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Nein, da bin ich selbstkritisch genug. Im EM-Jahr haben wir einige Spiele abgeliefert, von denen ich selbst sage: Was haben wir da für einen Schrott gespielt? Das war richtig schlecht. Aber im Fußball zählen die Erfolge. Ich habe mich für zwei große Turniere qualifiziert, was längst nicht mehr selbstverständlich ist. Bei der WM war ich Zweiter. Nur die EM ist leider in die Hose gegangen. Und da habe ich meine Schlüsse draus gezogen.

Kannten Sie eigentlich Per Mertesacker und Robert Huth?

Natürlich kannte ich die. Es war eigentlich auch schon klar, dass Mertesacker nach der EM zur Nationalmannschaft stoßen würde. Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski haben übrigens bei uns ihre ersten Schritte in der Nationalmannschaft getan. Da fing die Verjüngung an.

Richtig forciert hat sie dann aber erst Jürgen Klinsmann.

Aber nehmen Sie den Didi Hamann. Alle Experten haben nach der EM gesagt: Hamann muss raus. Und jetzt? Obwohl nur die Jugend zählt, hast du das Gefühl: Didi ist neben Michael Ballack der Einzige, der gesetzt ist. Dabei hat er noch gar kein Länderspiel unter Jürgen Klinsmann gemacht. Es gibt Spieler, die einfach wichtig sind, unabhängig von ihrem Alter. Der Didi wird für die WM noch ein ganz großes Thema. Davon bin ich überzeugt.

Wenn Sie als Teamchef weitergemacht hätten, hätten Sie sich dann trotzdem für ein wagemutigeres Spiel entschieden?

Natürlich hätte ich einige Dinge anders machen müssen. Aber für einen neuen Trainer ist es viel einfacher, einen Schlussstrich zu ziehen, auch personell. Der Jürgen mit seinem amerikanischen positiven Denken verkündet eben: Wir wollen Weltmeister werden. Das hätte ich doch gar nicht sagen können – als Trainer, der gerade bei der EM in der Vorrunde ausgeschieden ist. Du musst das auch glaubhaft rüberbringen. Beim Jürgen sieht vieles sehr gut aus.

Hat Klinsmann Sie mal um Rat gefragt?

Gleich nach seinem Amtsantritt hat er mich zu Hause besucht. Da haben wir ein paar Stunden zusammengesessen und über alles geredet. Aber jetzt muss der Jürgen sein eigenes Ding machen. Warum sollst du dir da überall Ratschläge einholen? Das ist ja Blödsinn. Du hast schließlich deine eigene Philosophie.

Ratschläge bekommt er auch ungefragt, etwa den, dass er nach Deutschland ziehen soll. Bewundern Sie ihn dafür, dass er sich davon nicht beirren lässt?

Ich kenne ihn nicht anders. Und ich beneide ihn wirklich, dass er nach Länderspielen mal wegtauchen kann. Ich will gar nicht beurteilen, ob das so sein sollte oder nicht. Aber das ist eine Sache, die dir persönlich einfach gut tut: dass du nicht erreichbar bist und erst einmal nichts von dem Ganzen hören musst.

Glauben Sie, dass Jürgen Klinsmann im Umfeld der Nationalmannschaft ganz bewusst Reizpunkte gesetzt hat?

Das weiß ich nicht. Er hat ganz einfach Leute um sich geschart, zu denen er großes Vertrauen hat. Ich habe es genauso gemacht. Michael Skibbe war als Kotrainer meine Geburt. Du brauchst Leute um dich herum, die deine Philosophie mittragen und loyal sind. Keine, die an dir kratzen. Und der Jürgen ist eben so, der war schon als Spieler immer der etwas andere Profi. Dass er auch als Trainer anders sein würde, war mir immer klar. Das ist sein gutes Recht. Nehmen Sie die Geschichte mit den Fitnesstrainern aus den USA. Ich bin zuletzt häufiger danach gefragt worden, ob ich das auch so machen würde. Ich habe immer geantwortet: Die Fitnesstrainer können auch aus Holland, China oder Japan kommen: Das Wichtigste ist, dass Michael Ballack sich nicht verletzt.

Gegen Argentinien hat Ballack gefehlt, und die deutsche Mannschaft hat trotzdem ein ausgezeichnetes Spiel gemacht.

Aber sie hat nicht gewonnen. Michael Ballack ist ein Weltklassespieler. Heute sagen das alle. Aber ich habe ihn auch verteidigt, als er noch regelmäßig in der Kritik stand. Michael Ballack ist in Deutschland sehr oft Unrecht getan worden.

Ihm wird oft vorgeworfen, dass er in entscheidenden Spielen abtaucht.

Das stimmt nicht. Es gab zwei wirklich wichtige Spiele für den deutschen Fußball in den letzten zehn Jahren. Das waren die beiden Relegationsspiele gegen die Ukraine. In beiden war Michael Ballack der überragende Mann. Über die WM müssen wir uns gar nicht unterhalten. Ich würde das Endspiel gerne noch mal sehen, wenn Michael Ballack dabei ist. Er war bei der WM die entscheidende Figur. Michael ist ein Ausnahmespieler. Er macht Kopfballtore, wie sie viele Stürmer nicht machen. Er hat eine überragende Schusstechnik, rechts wie links. Und dann ist er noch einer, der sich den Hintern für die Mannschaft aufreißt. Einen solchen Spieler dürfen wir doch nicht so niedermachen.

Das Gespräch führten

Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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