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Sport: „Ich bin dabei“

Christoph Metzelder über seine Chancen auf eine WM-Teilnahme, den Wahlkampf in der Kabine und seinen Besuch beim Papst

Herr Metzelder, kriegen Sie die Elf noch zusammen, die im WMFinale 2002 gespielt hat?

Oh, mal sehen. Im Tor Kahn, in der Abwehr haben wir mit Dreierkette gespielt, Linke, Ramelow und ich, rechts Frings, links, äh… Hat Bode links gespielt? Ja, Bode. Im Mittelfeld Hamann, Schneider, vorne Klose und… Wer war der Zweite? Jancker?

Nein, Jancker nicht.

Ja, klar: Neuville. Fehlt noch einer im Mittelfeld. Richtig, Jens Jeremies.

Haben Sie sich das Finale noch einmal angeschaut?

Ich habe noch kein einziges Spiel von mir gesehen.

Nicht einmal Ihr erstes Bundesligator vom vorigen Wochenende?

Auch nicht. Ich muss sogar ganz ehrlich sagen: Ich kann mich nicht mal erinnern, wie es gefallen ist. Ich weiß nur, dass ich den Ball mit der Brust angenommen habe. Ab diesem Zeitpunkt habe ich keine Erinnerung mehr. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich das Tor gemacht habe – weil ich nicht nachgedacht habe.

Hat sich das Tor so angefühlt, wie Sie sich das immer vorgestellt haben?

Na ja, es war ja nicht mein erstes Tor überhaupt, sondern nur das erste in der Bundesliga. Aber es ist schon komisch. Wenn ich während meiner Verletzung auf der Tribüne gesessen und mir innerlich ausgemalt habe, auf den Fußballplatz zurückzukommen, ist diese Vorstellung immer verbunden gewesen mit einem Tor. Obwohl das angesichts meiner bisherigen Quote nicht sehr wahrscheinlich war.

Haben Sie auch schon eine Vorstellung davon, wie die deutsche Elf bei der WM im kommenden Sommer aussieht?

Schwierig, das fängt schon im Tor an...

Sie kneifen.

Ja, aber wenn man sich die letzten Monate anschaut, muss man einfach sagen, dass die Situation sehr offen ist. Das sage ich nicht nur nach außen, das ist wirklich mein Gefühl. Ich sehe nicht, dass acht, neun Positionen schon fest vergeben sind. Michael Ballack ist natürlich gesetzt. Im Tor Kahn oder Lehmann, wobei Kahn wohl die besseren Karten hat. Podolski wird sicher eine bedeutende Rolle spielen. Vielleicht noch Mertesacker. Aber der Rest scheint mir sehr offen zu sein.

Erkennen Sie in Per Mertesacker den jungen Christoph Metzelder wieder?

Ja, er scheint mir vom Charakter her ähnlich zu sein, ein eher ruhiger Typ. Seine Entwicklung erinnert mich an meine eigene. Obwohl sich das blöd anhört für einen, der gerade mal 24 ist.

Passt das denn zusammen: zwei Abiturienten in der Innenverteidigung?

Manche sehen es als Vorteil an, wenn jemand ruhig und eher Kopfmensch ist. Es gibt auch Leute, die sagen, dass Abwehrspieler eher nicht so viel nachdenken sollen. Aber ich kann auch dazwischenhauen, selbst wenn es eigentlich nicht meiner Mentalität entspricht.

Das Problem könnte sein, dass weder Sie mit Dortmund noch Mertesacker mit Hannover im Europapokal spielen. Ihnen fehlt die internationale Erfahrung.

Ich möchte das nicht unbedingt als Nachteil sehen. Sicher wäre es ein Vorteil, in dieser Saison international zu spielen. Aber ich habe ja schon internationale Erfahrung gesammelt. Ich habe Champions League und Uefa-Cup gespielt.

Kommt Ihre Nominierung für die Nationalmannschaft zu früh?

Ganz klar: nein. Ich habe in den vergangenen Wochen unterbewusst auf dieses Ziel hingearbeitet. Für mich ist jetzt die Zeit gekommen, um mit ein paar Dingen abzuschließen. Ich muss aufpassen, dass ich die Vergangenheitsbewältigung nicht übertreibe. Wenn ich auf dem Platz stehe und die Nationalhymne höre, schließt sich ein Kreis. Die Hymne war für mich immer der emotionalste Moment. Dafür habe ich gekämpft. Die Nominierung ist auch ein persönlicher Sieg über einige, die vielleicht nicht mehr an mich geglaubt haben.

Haben Sie selbst jemals gezweifelt?

Es gab einen Moment, als es so aussah, dass eine dritte Operation nötig werden würde. Das wäre das Karriereende gewesen. Wir haben dann noch mal einen Spezialisten konsultiert. Der hat gesagt, dass es gar nicht so schlecht aussehe. Und weil ich nach der zweiten OP eine relativ aggressive Reha gemacht habe, damit ich es vielleicht doch noch irgendwie zur EM 2004 schaffe, haben wir gesagt: Wir machen einen absoluten Schnitt, ich fahre in Urlaub und fange danach von vorne an. Das war für mich der Durchbruch.

Als zum ersten Mal von Ihrem Karriereende die Rede war – waren Sie da schon bereit, das zu akzeptieren?

Im Rückblick frage ich mich, wie ich den einen oder anderen Tag in diesen 21 Monaten überstanden habe. Aber das war der schwerste überhaupt. Mir standen die Tränen in den Augen.

Hatten Sie einen Plan B?

Nein, ich war mit 23 Jahren noch nicht bereit, mit dem Fußball abzuschließen. Wenn man einmal fast ganz oben war, kann das noch nicht alles gewesen sein. Vielleicht war das für meine Genesung genau richtig.

Sie sind jetzt das, was Sie vorher noch nie gewesen sind: ein Hoffnungsträger.

Das stimmt. Nach dem Confed-Cup ist mir das richtig bewusst geworden, und damit hatte ich in den ersten Saisonspielen unterbewusst auch ein bisschen zu kämpfen. Ich habe geglaubt, Dinge erfüllen zu müssen, die ich vielleicht noch nicht erfüllen konnte. Da muss ich jetzt, bei allem Selbstbewusstsein, auf die Bremse treten. Aber die Leute, die sich vernünftig damit beschäftigen, wissen auch, dass ich nicht von Anfang an in der Nationalmannschaft die Rolle einnehmen kann, wie ich sie bei der WM 2002 hatte.

Was ist wahrscheinlicher, dass Sie in der WM-Startelf stehen oder dass Deutschland Weltmeister wird?

Beides hat eine hohe Wahrscheinlichkeit. Es gibt Mannschaften, die eine viel höhere Qualität haben als wir. Aber die reicht nicht, ein Turnier zu gewinnen. Es sind auch andere Dinge erforderlich. Und da sind wir im Vorteil: Wir spielen zu Hause, haben einen sehr guten Teamgeist und eine Mannschaft, die eine Begeisterung entfachen kann. Damit kann man auch getragen werden. Nicht auf Dauer, aber in diesen isolierten vier Wochen ist alles möglich.

Und Ihre eigene Chancen?

In den vergangenen Wochen habe ich immer in Konditionalsätzen gesprochen; Wenn, dann… Inzwischen habe ich den Optimismus und das Selbstbewusstsein zu sagen: Ich bin dabei.

Sie haben die Neuerungen von Bundestrainer Jürgen Klinsmann bisher nur als Zuschauer erlebt. Würden Sie sagen, dass es eine Weiterentwicklung der Arbeit von Rudi Völler ist? Oder ein völliger Bruch?

So wie ich das bisher mitbekommen habe, ist vieles neu. Jürgen Klinsmann trägt dem Rechnung, was im nächsten Jahr passieren wird. Viele Spieler können noch gar nicht überblicken, was hier los sein wird. Der Bundestrainer hat sehr früh versucht, uns auf das Ereignis und das Ziel einzustimmen, er hat sich Spezialisten geholt, um vorzuleben: Ich versuche und mache alles, um die Mannschaft optimal auf das große Ziel Weltmeisterschaft vorzubereiten.

Sie sagen so selbstverständlich wir. Fühlen Sie sich immer noch als fester Bestandteil der Mannschaft?

Irgendwie schon. Aber der Fan auf der Straße sagt ja auch: Wir wollen Weltmeister werden.

Wie werden Sie im Kreis der Nationalmannschaft auftreten? Wie einer, der fast Weltmeister geworden ist, oder wie einer, der froh ist, überhaupt dabei zu sein?

Ich werde mich einordnen in das Gefüge Nationalmannschaft. Ich war lange nicht mehr dabei, aber ich habe erfolgreich ein großes Turnier gespielt. Die Leute wissen auch, dass da kein Frischling kommt. Ich werde meinen Platz schon finden.

Was erwartet Jürgen Klinsmann von Ihnen?

Perspektivisch: Dass ich Verantwortung übernehme, so wie es meine Art ist und meinem Charakter entspricht. Aber das wird nicht schon in den nächsten anderthalb Wochen passieren. Jürgen Klinsmann hat mir gesagt, dass ich erst mal einen Einblick bekommen soll.

Waren Sie aufgeregt, als Klinsmann am Telefon war?

Ja, schon. Das bin ich aber auch, wenn ich mit meinen ehemaligen Vereinstrainern telefoniere. Für mich ist das einfach eine Frage des Respekts.

Sie sind bei der letzten Audienz von Papst Johannes Paul II. gewesen. Von wem haben Sie sich beraten lassen, wie man sich dabei verhält?

Der Kaplan Jochen Reidegeld, mit dem wir bei Roter Keil…

…einer Organisation gegen Kinderprostitution…

…zusammenarbeiten, hat mir ein paar Dinge erklärt. Aber es war ja auch keine Privataudienz, wie sie Michael Schumacher zwei Tage vorher hatte, sondern eine Generalaudienz mit mehreren tausend Menschen. Und es waren dann 20, 30, die zum Papst geführt wurden und ihm den Ring küssen durften. Das war eine kurze, aber sehr intensive Begegnung.

Mussten Sie sich überwinden, den Ring zu küssen?

Darüber habe ich gar nicht richtig nachgedacht. Aber ich bin jemand, der so etwas für sich behält. Ich bekreuzige mich nicht auf dem Spielfeld oder trage T-Shirts mit irgendwelchen plakativen Aussagen. Davon halte ich nichts. Das Küssen des Rings habe ich als übliches Ritual angesehen. Deshalb habe ich es gemacht.

Haben Sie es heimlich geübt?

Nein, ich glaube, es sah auch nicht wirklich gelenk aus.

Sie engagieren sich für soziale Projekte. War es schwierig, sich während Ihrer Verletzung für Schwächere einzusetzen?

Ich habe mal ein Zitat des Malers Jörg Immendorff gelesen, der unheilbar krank ist und trotzdem sagt: Larmoyanz ist keine Lösung. Es gibt immer Menschen, denen es schlechter geht. Und das war für mich auch wichtig in Phasen, in denen ich mich und meine Probleme im Mittelpunkt der Welt gesehen habe. Ich hatte morgens Schmerzen, ich hatte abends Schmerzen, ich konnte nicht laufen, aber ich musste lernen, mein eigenes Schicksal einzuordnen. Ich stand kurz vor der Invalidität, was für einen Sportler das Schlimmste ist. Aber ich war nicht sterbenskrank.

Angesichts Ihres sozialen Engagements muss man Sie eigentlich gar nicht fragen, ob Sie gewählt haben.

Natürlich habe ich gewählt. Ich habe eine klare politische Meinung, aber die habe ich noch nie nach außen getragen. Ich habe keine Lust, mich instrumentalisieren zu lassen. Politik ist ein riesiges Showgeschäft geworden. Es geht immer weniger um Inhalte, es geht immer mehr um Personenkult. Das sieht man ja auch jetzt bei den Koalitionsverhandlungen sehr deutlich.

Zu Inhalten würden Sie sich also sehr wohl äußern?

Auf jeden Fall. Sebastian Kehl und ich, wir haben auch in der Kabine mehr oder weniger Wahlkampf betrieben. Ein paar Spieler haben offen gesagt: Ich habe keine Ahnung, was ich wählen soll. Erzählt doch mal, was da angeboten wird.

Wer wird Ihnen denn am 9. Juli 2006 den WM-Pokal überreichen: Angela Merkel oder Gerhard Schröder?

Im Moment sieht es ja so aus, als ob Angela Merkel den Auftrag bekommt, eine Regierung zu bilden.

Ist es nicht ein komischer Gedanke: Angela Merkel auf der Tribüne eines Fußballstadions?

Ich habe sie mal in Dortmund bei einem Vortrag kennen gelernt, und ich finde, dass sie ein bisschen unterschätzt wird. Angela Merkel ist eine Powerfrau. Es stünde dem Land nicht schlecht zu Gesicht, wenn mal eine Frau in ein solch hohes Amt käme. Und wenn wir wirklich Weltmeister werden, wird sowieso niemand von uns mitbekommen, wer uns den Pokal überreicht.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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