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Sport: Ich jage Bin Laden

Von Ingo Wolff Pat Tillman antwortet nicht. NBC hätte den jungen Mann gern vor die Kamera bekommen, CNN hat sich für den kraftvollen Sportler interessiert, und auch das Fachmagazin „Sports Illustrated“ hat bei seinem Verein, den Arizona Cardinals, um ein Interview gebeten.

Von CoreMedia Migration User

Von Ingo Wolff

Pat Tillman antwortet nicht. NBC hätte den jungen Mann gern vor die Kamera bekommen, CNN hat sich für den kraftvollen Sportler interessiert, und auch das Fachmagazin „Sports Illustrated“ hat bei seinem Verein, den Arizona Cardinals, um ein Interview gebeten. Alle wollten sie wissen, warum ein junger Mann auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn die amerikanische Football-Profiliga NFL verlässt, einen vier Millionen Dollar schweren Vertrag ausschlägt und stattdessen den Terror-Strategen Osama Bin Laden, der als geistiger Kopf der Anschläge von 11. September gilt, jagen will.

Die Geschichte begann Mitte Mai, als der 25-jährige Tillman seinem Trainer Dave McGinnis und dem Eigentümer der Arizona Cardinals, Bill Bidwill, erzählte, er wolle in die Baracken der US Army und nicht ins Football-Trainingscamp einrücken. Weitere Informationen gab er nicht – jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Selbst die Mitteilung an seine Mitspieler überließ er Bidwill.

Tillman hat sich bis zum Einrücken in die Kaserne am vergangenen Montag vor dem Medienrummel nach San Jose ins Haus seiner Eltern zurückgezogen. Er wolle diese Aktion bewusst nicht als PR-Feldzug betrachten, sondern als einen echten. Er sucht nicht die Öffentlichkeit, er sucht Osama Bin Laden. Der Mann, der sonst als Verteidiger die zu weit gekommenen Angreifer abfängt, will nun sein Land verteidigen. Er will in die Tat umsetzen, was viele Footballer nach dem 11. September in der ersten Wut über die Attacken auf das Herz der USA gefühlt haben: Sie sind starke Jungs, und starke Jungs müssen ihre Nation verteidigen. Und seit das FBI in der vergangenen Woche gemeldet hat, US- Football-Stadien könnten neue Anschlagsziele sein, ist Tillman quasi auf einer Mission seines Arbeitgebers.

„Viele von uns haben nach dem 11. September gesagt: Ich sollte jetzt in die Army eintreten, da rüber gehen und etwas unternehmen“, sagt Teamkollege Mike Gruttadauria gegenüber US-Journalisten. Wahr gemacht hat das bislang nur Pat Tillman. Er ist der Einzige, der einen gut dotierten Profivertrag in der National Football League für einen Platz in der Armee eintauschen wollte. „Materielle Dinge haben Pat nie viel bedeutet“, sagt sein Agent Frank Bauer gegenüber dem Tagesspiegel. Tillman lehnt Handys ab und ist jahrelang nur mit einem Fahrrad zum Training gefahren.

„Intelligentes, tiefsinniges Wesen“

„Pats Leben ist eine einzige Herausforderung“, sagt Defensivtrainer Larry Marmie im Gespräch mit US-Reportern über den 1,80 m großen Athleten mit dem finsteren Blick. Dabei ist Tillman kein durchgedrehter Muskelprotz. „Pat ist sehr intelligent und hat einen hervorragenden College-Abschluss in Marketing gemacht“, sagt sein Agent Bauer. Für Trainer McGinniss ist Tillman kein Rambo-Typ, sondern „sehr tiefsinnig“.

Doch Tiefsinnigkeit reicht für die Aufnahme in die Eliteeinheit nicht aus. Wer als Footballer glaubte, schon das Training in der härtesten Sportart der USA sei zu hart für ihn, der ist in der Eliteeinheit verloren. Durch drei Stationen müssen die US-Elitesoldaten. Sie starten im berüchtigten Fort Benning mit dem Basistraining – 13 Wochen lang. Danach müssen sie sich durch die Berge Georgias quälen und zum Dschungel-Training nach Florida. Manchmal 19 Stunden Drill am Tag. Dann gehören sie zu einer der Elite-Einheiten der US Army. Die härteste Einheit sind die Ranger allerdings nicht. Die mit Abstand härteste Einheit der US Army sind die legendären SEALs, die Kampfschwimmer. Die werden noch brutaler als die Ranger geformt.

Nur 35 Prozent kommen durch

Aber die Ranger-Ausbildung ist hart genug. Nur 35 Prozent der Anwärter kommen überhaupt durch. Der durchtrainierte Tillman wird als fertig ausgebildeter Ranger wohl nicht mehr 91 Kilogramm wiegen. Dafür ist der Footballprofi dann Mitglied des 75. Ranger Bataillons, deren drei Einheiten im Bundesstaat Washington und in Georgia stationiert sind – wenn sie nicht gerade in Afghanistan Terroristenführer jagen.

Das Abenteuer beginnt Pat Tillman gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Kevin. Drei Jahre soll es dauern, dann will er wieder zurück zum Football und zu Ehefrau Marie. Erst zwei Wochen vor der Entscheidung hat Pat Tillman sie geheiratet und mit ihr die Flitterwochen in Bora Bora verbracht.

Marie Tillman unterstützt ihren Mann bei seinem Plan. Sein Manager konnte die Entscheidung dagegen nur schwer verkraften: „Ich habe ihn gefragt, ob er verrückt ist.“ Dann haben beide mit dem Eigentümer und dem Trainer gesprochen. Bidwill respektiert die Entscheidung: „Ich bewundere Pat Tillman für sein Bekenntnis zu diesem Land.“ Vergeblich habe er versucht, ihn umzustimmen. „Du änderst nichts an Pats Einstellung“, sagt sein Agent Bauer. „Er sagte: Wenn ich jetzt warte, dann werde ich nie dahin kommen, wo ich hinkommen will.“

Bauer glaubt, dass Tillman eine neue Herausforderung gesucht hat. „Sie haben ihm schon in der Schule gesagt: Du schaffst das nie. Du wirst kein Football-Profi. Aber er hat es trotzdem erreicht.“ Auf die Saison 2000 bereitete sich Tillmann mit einem Marathonlauf vor. Ein Jahr später zog er einen Triathlon durch. Doch auch neben dem Sport suchte er eigenwillige Wege zur Konzentration. Während seiner Zeit im College nutzte er den dreißig Meter hohen Turm des Stadions als Meditationsstätte. „Die Flugzeuge flogen so verdammt dicht über ihn hinweg, dass er sie beinahe mit der Hand hätte erreichen können“, erzählt ein Trainer seines Schulteams. „Aber Pat war völlig furchtlos.“

In den USA ist der Schritt von der NFL zum Militär nicht neu. NFL-Sprecher Pete Abitante hält diesen Fall trotzdem für ungewöhnlich: „Das muss schon ein Survivor-Typ sein.“ In den 60er- und 70er Jahren zogen einige Spieler nach Vietnam. Running Back Rocky Bleier gewann hinterher sogar viermal den Super Bowl.

Für Pat Tillman soll das Abenteuer nach drei Jahren lebend enden, dann will er wieder Football spielen. Ob er mit 28 noch mal die Chance dazu bekommt, ist ungewiss. Nur eines wird er dann sicher sein: absolut fit.

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