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Sport: Ich ließ alle träumen*

Mein WM-Moment (3) Salvatore Schillaci ging 1990 als Randfigur der italienischen Mannschaft in die WM. Am Ende war er Torschützenkönig. Der Stürmer tanzte nur einen Sommer, aber der war unvergesslich.

Ein Lieblingstor habe ich nicht, denn alle Tore sind schön. Was zählt, ist ihre Bedeutung. Mein Tor gegen Österreich war das wichtigste. Es hat mir alle Wege geebnet, das Vertrauen meines Trainers, des „Mister“, eingebracht und mir erlaubt, weiterzuspielen. Am Ende wurde ich Torschützenkönig und zum besten Spieler der WM 1990 gewählt. Doch gibt man dir eine Chance und du nutzt sie nicht, dann verbringst du das Turnier auf der Bank oder der Tribüne.

Bei unserem Auftaktspiel gegen Österreich rechnete ich nicht einmal damit, auf der Bank zu sitzen. Im Abschlusstraining aber gab mir Trainer Azeglio Vicini dann ein Zeichen, dass ich dabei sein werde. Beim Training waren immer viele Zuschauer, sonst aber bekamen wir von der Euphorie vor der WM im eigenen Land wenig mit – wir wohnten zurückgezogen im Hotel. Doch bei der Fahrt zum Olympiastadion in Rom waren plötzlich überall Menschen um unseren Bus, die Fahnen schwenkten und unsere Trikots trugen, auch meines. Dass die WM im eigenen Land stattfand, hat uns besonders motiviert.

Eine halbe Stunde vor dem Ende stand es gegen Österreich noch 0:0, und Trainer Vicini sagte mir, dass ich mich warm machen soll. In diesem Moment dachte ich … ehrlich gesagt dachte ich an nichts. Zwei Minuten war ich drin, da schlug Gianluca Vialli eine scharfe Flanke von der rechten Seite. Ich war umringt von zwei österreichischen Riesen und köpfte trotzdem ein. Wie glücklich ich war!

Auf einmal war ich für alle der Held. Auch die Leute, die mich nicht mochten, konnten nichts mehr gegen mich sagen. Denn ich ließ sie alle träumen.

Ich komme aus Sizilien, deswegen haben sie mich, als ich mit Juventus Turin auswärts spielte, oft „Terrone“ (etwa: Bauerntölpel) gerufen. Ich sagte mir dann immer: Sie beleidigen dich, weil sie dich fürchten. Doch bei der WM liebten mich selbst Leute, die gar nicht wussten, wer ich war. Weil ich einfach und bescheiden war, weil ich aus dem Nichts kam und plötzlich jemand war. Und natürlich wegen der Tore. Der Ruhm kommt im Fußball immer durch die Tore.

1990 war wirklich ein unvergessliches Jahr. Während der Weltmeisterschaft wurde mein Sohn Mattia geboren. Direkt nach dem Spiel gegen die USA oder die Tschechoslowakei – ich weiß es nicht mehr genau – stellte mir der Verband ein Flugzeug bereit und ich flog nach Turin, wo dann mein Sohn zur Welt kam.

Mit meinem Sturmpartner Roberto Baggio verstand ich mich hervorragend. Wir liefen Spielzüge aus dem Gedächtnis. Wir waren jung, es war unsere erste WM, das gab uns Kraft. Unsere Mannschaft war stark. Wir hatten alle Karten in der Hand, um bis ins Finale zu kommen. Niemand hat uns im Spiel besiegt, nur die Argentinier im Elfmeterschießen. Im Finale drückte ich dann Deutschland die Daumen, weil ich damals bei Juventus mit Stefan Reuter und Thomas Häßler zusammengespielt habe. Tolle Jungs.

Doch ich habe nur kurz auf höchstem Level gespielt. Es war nur ein Sommer, aber es gibt Schlimmeres im Leben. Andere spielen 20 Jahre und schaffen nicht das, was ich erreicht habe. Heute erlaubt mir mein Name, zu reisen und die Welt zu sehen. Ich habe noch einige Andenken aus der Zeit bewahrt, den Goldenen Ball für den besten Spieler der WM, und manchmal krame ich alte Zeitungsartikel heraus, die schon ganz vergilbt sind. Wenn ich das Lied „Notti magiche“ von Gianna Nannini höre, denke ich an die WM 1990 und würde am liebsten noch einmal auf den Platz zurückkehren. Doch dafür sind wir alle zu alt.

Ich leite heute eine Fußballschule auf Sizilien, und die Kinder wissen schon nicht mehr, dass ich mal ein sehr bekannter Profi war. Doch manchmal zeigen wir ihnen alte Filme von der WM 1990. Dann bekommen sie dieses Leuchten in den Augen, lächeln und denken: Da will ich auch einmal hin.

Aufgezeichnet von Dominik Bardow. Nächste Folge: Wolfgang Weber über das Finale 1966.

* WM 1990, Salvatore Schillaci

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