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Sport: „Ich werde nun mal nicht gefragt“

Christian Fiedler hat die wenigsten Tore in dieser Bundesligasaison kassiert, aber für die Nationalelf ist er kein Thema – weil er von Hertha BSC nicht richtig unterstützt wird?

Herr Fiedler, was ist es für ein Gefühl, bester Torhüter der Bundesliga zu sein?

Das ist das erste Mal, dass ich das höre.

Sie haben von allen Bundesligatorhütern bisher die wenigsten Gegentore kassiert.

Aber das liegt nicht nur an mir. Es ist das Resultat einer kompletten Teamleistung. Vor allem unsere zentralen Abwehrspieler erfüllen ihre Aufgaben sehr gut.

Wissen Sie noch, welches das letzte Gegentor war, das Sie verschuldet haben?

Das war gegen Köln am letzten Spieltag der vorigen Saison, der Freistoß von Lukas Podolski. Da habe ich kurz die Torwartecke frei gemacht. Aber das war mein einziger Fehler. In jetzt 29 Spielen.

Und Ihre beste Zeit kommt erst noch.

Zumindest sagt man immer, dass ein Torhüter zwischen 30 und 35 seine beste Phase hat. Ich weiß nicht, ob das stimmt.

Bei der Weltmeisterschaft 2006 werden Sie 31 Jahre alt sein ...

Ja, und?

Als Kandidaten für die Nationalmannschaft werden inzwischen Simon Jentzsch, Frank Rost, Robert Enke oder Tim Wiese genannt. Ihr Name ist noch nicht gefallen.

Das liegt nicht an mir. Ich werde mich auch nicht öffentlich hinstellen und sagen: Ich bin die Nummer drei in Deutschland und will mit zur WM.

Warum eigentlich nicht? Eine solche Chance bekommen Sie nur einmal.

Das stimmt. Wenn ich angerufen werde, wäre ich der Letzte, der sagt: Tut mir leid, ich komme nicht. Aber ich werde nun mal nicht gefragt. Und ich habe auch keine Lobby. Viele Vereine machen in dieser Hinsicht ein bisschen Politik, unterstützen ihre Spieler und pushen sie.

Sie wären der ideale dritte Torhüter: Bei Hertha haben Sie in sechseinhalb Jahren gelernt, Ihr Schicksal als Ersatzmann klaglos zu ertragen.

Das stimmt doch gar nicht. Die Leute denken, ich habe immer brav meinen Mund gehalten. Aber auch als ich hinter Gabor Kiraly nur die Nummer zwei war, habe ich mir nicht alles gefallen lassen. Glauben Sie mir, ich habe schon einige Male gefragt, warum ich keine Chance bekomme. Nur habe ich das in der Kabine gemacht und nicht vor der Kamera.

Ihr Vertrag läuft aus. Gibt es Hinweise, dass Hertha Sie unbedingt halten möchte?

Nein, keine. Aber das treibt mich nicht um. Wenn der Verein der Ansicht ist, es gibt einen Besseren – gut. Aber den müssen sie erst mal finden.

Spielt man als Torhüter schlechter, wenn man nicht hundertprozentig weiß, dass man die Nummer eins ist?

Das hängt vom jeweiligen Typ ab. Der eine braucht ein bisschen mehr Sicherheit als der andere. Bei Stürmern ist das ähnlich. Wir können ein Spiel entscheiden, sowohl positiv als auch negativ.

Glauben Sie, dass Oliver Kahn ein Typ ist, der diese Sicherheit braucht?

Ich kenne ihn nicht so gut. Aber aus der Ferne betrachtet, glaube ich nicht, dass er Unterstützung von außen braucht.

Die Bayern haben zuletzt geklagt, Kahn sei verunsichert, weil Bundestrainer Jürgen Klinsmann sich nicht auf eine klare Nummer eins festlegen will.

Dieser Wirbel ist doch absurd. Was sagt es schon aus, ob im Herbst 2004 einer bei den Bayern oder in London gut spielt oder mal einen Fehler macht? Die WM beginnt in knapp zwei Jahren.

Sie halten es also für richtig, dass Klinsmann sich noch nicht zwischen Kahn und Lehmann entscheiden will?

Die Öffentlichkeit hat das zu akzeptieren. Wenn ein neuer Trainer kommt, dann muss er sich erst einmal sein eigenes Bild machen. Über jede Position, jeden Spieler. Bei den Torhütern trifft es nun mal einen, der vorher Stammspieler war. Jetzt ist er es eben nicht mehr.

Was werden Sie am 9. Juni 2006 machen?

Vermutlich werde ich mir ein Fußballspiel anschauen. Im Fernsehen, im Stadion auf der Tribüne, keine Ahnung.

Vielleicht sogar im Innenraum?

Mal sehen.

Wären Sie zuversichtlicher, wenn Sie fünf Zentimeter größer wären?

Nein, Andreas Köpke trainiert jetzt bei der Nationalmannschaft die Torhüter. Der ist körperlich auch kein Riese.

Aber für einen Torhüter ist es nicht gerade ein Vorteil, nur 1,80 Meter groß zu sein.

Jorge Campos, der frühere mexikanische Nationaltorwart, war sogar nur 1,74 Meter. Und der war richtig gut.

Ist der Paraguayer Chilavert nicht auch ziemlich klein?

Der ist einsachtundachtzig.

Wissen Sie wirklich, wie groß all diese Torhüter sind?

Natürlich. Aber wissen Sie, was mich gewundert hat? Jörg Stiel von Borussia Mönchengladbach soll 1,80 Meter sein. Dabei ist der definitiv kleiner als ich. Unser früherer Trainer Hans Meyer hat mir einmal erzählt, dass er Stiel zuerst nicht haben wollte, weil er ihm zu klein war. Aber dann hat er gesehen, wie Stiel mitgespielt hat und wie er von hinten Einfluss auf die Mannschaft genommen hat. So ähnlich versuche ich das auch. Und ich habe das Gefühl, dass diese Art des Torwartspiels wieder stärker geschätzt wird.

Ist fehlende Körpergröße für einen Torwart wirklich kein Handicap?

Es ist ein Handicap für die Öffentlichkeit. Für mich ist es keins. Ich lebe damit.

Größere Torhüter haben es also doch leichter?

Nein, für viele ist es einfach nur ein Alibi zu sagen: Der ist zu klein. Es gibt keinen Ball, den ich nicht kriege, weil ich zu klein bin. Ich bin schnell, habe eine gute Sprungkraft und ein gutes Timing. Erinnern Sie sich noch an das erste Saisonspiel, als Kalla das 2:2 gegen uns geköpft hat? Der Kopfball war so gut, dass andere Torhüter vielleicht nicht mal reagiert hätten. Ich wäre beinahe noch an den Ball gekommen. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: Der Fiedler ist zu klein. Wenn ich überhaupt nicht reagiert hätte, hätte es geheißen: unhaltbar.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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