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Sport: „Ich will die Verantwortung“

Herthas Torhüter Christian Fiedler über harte Jahre auf der Ersatzbank und seine neue Position in der Team-Hierarchie

Herr Fiedler, Sie haben früher in der Gärtnerei ihrer Eltern gearbeitet…

…nein, das war eher ein MiniBaumarkt, aber ich kenne mich ein wenig mit Pflanzen aus. Warum fragen Sie?

Stellen wir uns vor, Hertha BSC wäre eine Pflanze. Wie sähe die jetzt aus?

Hm, das wäre ein Strauch, der mal gesund war und schön wuchs. Dann kam der Herbst, es ging ihm schlechter, er wurde krank. Und jetzt muss ihm jemand helfen. Mit Wasser, Sonne, Dünger.

Die helfende Hand sind auch Sie. Oliver Kahn, der Torhüter des FC Bayern München, hat Ihnen gerade eine Weltklasseleistung bescheinigt.

Das ist super und toll. Aber wenn ich absteige, interessiert das Lob von Kahn keinen mehr. Wir sind Vorletzter, wir schaffen das nur gemeinsam. Das 1:1 gegen die Bayern ist abgehakt. Vorbei. Aus. Wir spielen am Samstag in Leverkusen, nur das zählt.

Ihre Zurückhaltung in allen Ehren. Aber können Sie sich an Ihren letzten Fehler erinnern?

Nein.

Nicht einen?

Ich muss mal überlegen. Ich spiele jetzt seit der Rückrunde … nein, da war kein schwerer Fehler.

Sie haben sechs Jahre lang auf öffentliche Anerkennung gewartet. War es ein Fehler, so lange bei Hertha BSC zu bleiben?

Nein, ich denke nicht, außerdem lag das nicht immer in meiner Macht. Ich hatte ja Angebote, Karlsruhe hat mal angefragt, aber damals habe ich keine Freigabe bekommen. Also musste ich warten und trainieren. Ich bin kein Zocker. Ich habe mir gesagt: Ich bekomme meine Chance.

Wie lange hält man das aus?

Egoismen bringen mich nicht weiter, die Mannschaft auch nicht. Ich muss nicht in der Öffentlichkeit stänkern, wie es andere Torhüter machen. Ich bin kein HB-Männchen, das die Kabinentür zuschlägt. Ich habe trainiert und gewartet.

Es gab nie Streit?

Nein, es würde auch niemandem Spaß machen, sich mit mir zu streiten. Dafür bin ich vielleicht zu langweilig.

Gegen die Bayern vor einer Woche haben wir einen anderen Christian Fiedler gesehen, laut, aggressiv, bestimmend.

Das klingt nach einer schönen Geschichte, aber sie stimmt leider nicht. Es gibt keinen neuen Christian Fiedler, ich war auch vorher so, aber da wurde ich nicht so beachtet. Beim Spiel gegen den FC Bayern standen bei uns drei Jungs um die 20 Jahre in der Abwehr. Ich war einer der Ältesten, ich musste die Kommandos geben und die Verantwortung übernehmen.

Wenn Kapitän Dick van Burik und Nationalspieler Arne Friedrich zurückkehren – schweigen Sie dann wieder?

Nein. Ich bin jetzt bereit, ich will die Verantwortung. Ich will mir das nicht mehr nehmen lassen.

Wo stehen Sie in der Hierarchie?

Die Hierarchie hat sich verändert. Unsere Mannschaft ist ruhiger geworden, da knallt es weniger in der Kabine. Das ist unser Problem, aber es wird besser. Oben in der Hierarchie stehen Dick van Burik und Arne Friedrich, dann kommt Pal Dardai und dann der Rest. Auch ich. Ein Haufen Indianer. Aber wie gesagt: Ich will mehr Verantwortung. Ich bin jetzt bereit.

Woran merken Sie das?

Ich bin ruhiger geworden. Ich bin Familienvater. Ich weiß, was wichtig ist, ich bin nicht mehr so aufgedreht wie früher, wenn ich einen Fehler gemacht habe. In der ersten Saison nach dem Aufstieg habe ich viele Tore kassiert…

… und nach gerade sieben Spielen den Stammplatz an Gabor Kiraly verloren…

… ja, das war eine völlig ungewohnte Situation, mit der ich überhaupt nicht zurechtgekommen bin. Vorher ging es immer bergauf, ich hatte nie ein Problem. Auf einmal war ich meinen Stammplatz los, keiner hat mich mehr beachtet, es war, als wäre ich nie ein guter Torhüter gewesen. Ich war plötzlich der Blinde.

Ihren Stammplatz haben Sie erst sechs Jahre später wieder bekommen.

Halt, ich war auch zwischendurch Stammspieler, vor zwei Jahren. Aber dann hat der Verein sich von Trainer Jürgen Röber getrennt. Sein Nachfolger Falko Götz hat mich rausgenommen, ohne Grund. Einfach so. Das war die schwierigste Zeit für mich.

Wie haben Sie es geschafft, sich über Jahre Woche für Woche zusammenzureißen und Ihrem Konkurrenten Kiraly die Daumen zu drücken.

Das ist professionell. Wir sind keine Kumpels, wir gehen keinen Kaffee trinken. Wir sind Arbeitskollegen. Ich bekomme mein Geld, und natürlich ist es weniger, wenn wir keinen Erfolg haben. Was soll ich machen – hoffen, dass Gabor Fehler macht? Das hilft mir nicht, Gabor nicht und der Mannschaft erst recht nicht.

Waren Sie schon immer so diplomatisch?

Meine Lehrerin hat früher gesagt, ich soll endlich lernen, meine Ellbogen auszufahren. Ich mache das immer noch sehr ungern. Aber es wird besser. Ich bin erwachsen geworden.

Wie ist Ihr Gefühl heute? Sind Sie Stammtorwart – oder ein Platzhalter, bis Kiraly seine Form wiedergefunden hat?

Besprechen Sie das mit dem Trainer. Aber wenn ich immer so spiele wie gegen die Bayern, dann muss ich mir keine Gedanken machen.

Fragen wir anders: Welche Trikotnummer haben Sie im nächsten Jahr?

Auf jeden Fall die Zwölf, aber das hat nichts mit meiner Position in der Mannschaft zu tun. Die Zwölf ist mir ans Herz gewachsen in den Jahren, als ich auf der Bank saß. Die gebe ich nicht mehr her!

In Leverkusen bestreiten Sie Ihr 34. Bundesligaspiel – so viele Spieltage hat eine Saison.

Sehen Sie: Ich habe sieben Jahre für das gebraucht, was andere in einem schaffen. Erzählen Sie mir nichts von Pessimismus.

Das Interview führten André Görke

und Sven Goldmann.

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