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Die Autorin ist Schriftstellerin

© picture-alliance/ dpa

Sport: „Ich wollt’, ich wär’ ein Mann“

Abseits macht den Fußball für Frauen nicht einfach. Aber im Vergleich zum Alltagswahnsinn ist er fair und klar. Unsere Autorin wird nun doch noch ein Fan.

Jeden Abend, den der Fußballgott gibt, liege ich auf den Knien und bitte um Erleuchtung und Ergriffenheit,  um Fieber und Verzückung. Nach Jahren des eifrigsten und vergeblichen Bemühens will ich jetzt endlich verstehen, was Abseits ist, will mich auch höchst persönlich erhoben fühlen, wenn der hübsche Jogi das alles so gut einfädelt und seine Mannschaft so genial kickt. Es will mir nicht gelingen. Ich wollt’, ich wär’ ein Mann.

Denn Fußball ist nach wie vor Männersache, auch wenn die Frauen ein bisschen mehr mitmischen als in früheren Jahren – beim Spielen wie beim Schauen. Es ist aber doch ein Männerspiel, in dem Männer sich und ihr tiefstes Wesen stets aufs neue wiedererkennen und wiedererleben – das Kindliche darin ebenso wie das Kämpferische, die Eigenliebe wie das Homoerotische. Das ist einfach nicht zu übersehen.

Ah, diese Siegesgesten, dieses Gladiatorengehabe, dieser Lauf durch die Arena, die Arme erhoben, schreiend, strahlend, triefend. Ah, dieses Bespringen eines Torschützen, alle drauf, noch einer und noch einer und noch einer. Wenn das mal kein Gruppenorgasmus ist! Ah, dieses Austauschen verschwitzter Hemden, dieses kameradschaftliche Beklatschen und Begrapschen. Ich Mann, du auch Mann. Wir stark, wir Sieger. Da sind sie in ihrem Element.

Und dann die Leichenreden, nachdem alles gelaufen ist, mit den immer gleichen Fragen und immergleichen Antworten, dargeboten von den immergleichen Personen mit so intelligenten Einlagen wie „back to the Wurzeln“ , ha, ha, aus dem Wissensschatz des Insider-Kommentators Scholl. Und weiter: Wie hat sich Lahm gefühlt, als ihm der Ball plötzlich verlockend vor dem Fuß lag, wie waren Schweini und Podolski drauf, als die Kanzlerin auf der Tribüne strahlte, wie heftig schlug das Herz von Mario Gomez, als er unverhofft das Genie in sich entdecken durfte? Und wie – alleroriginellste Journalistenfrage – ist denn die Stimmung in Berlin, wie in Warschau, wie in Kiew, wie auf Usedom? Vor allem dort, wo die Alibi-Fußball-Frau des Deutschen Fernsehens, Katrin Müller-Hohenstein, für das ZDF vor schütterem Publikum im Wasser stehen darf. Kein Mensch weiß, warum. Immerhin ist sie ausreichend herb und ein bisschen androgyn, wie’s dem Metier gebührt. Und die Stimmung? Die strengt sich mächtig an, die obligate Heiterkeit vorzuführen. Ja, was ist das alles doch für ein Glück ob der hoch verdienten deutschen Leistung. Hurra!

Uns aber, weiblich und fußballfern, bleibt zu den Strapazen des heißen Bemühens um das Verstehen und das richtige Genießen noch das Schweigen der Männer. Frage, was immer du willst, ob das Haus verkauft werden soll, ob ein Hund her muss, ob wir zur Abwechslung mal gebratene Ameisen essen oder das nächste Weihnachtsfest am Äquator feiern wollen: Es kommt keine Antwort. Die Ohren des Mannes vor der Glotze haben sich in Fußballohren verwandelt, der Mund spricht Fußball, sofern er überhaupt spricht, der Kopf hat Fußballform angenommen, der Fuß zuckt, als ob er von seinem Opa-Sessel aus mitspielen dürfte, der ganze Kerl ist nur noch Fußball – und sonst gar nichts.

Das hat etwas vom Wahnsinn. Aber wenn es tatsächlich Wahnsinn ist, dann doch einer von der netten, der tröstenden Sorte. Denn drumherum und draußen vor der Tür tobt gleichzeitig der ganz normale Alltagswahnsinn: eine demokratische Präsidentenwahl in Ägypten, zum Beispiel, von der die undemokratischen Islamisten profitieren.

Ganz unbegreiflich auch die katholischen Kirchenherren, in deren Reihen man sich doch tatsächlich über die wahrhaft existenzielle Frage streitet, ob wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen. Leben die Patres wirklich im 21. Jahrhundert? Und schließlich unsere Freunde der vermeintlich direkten und also wahren Demokratie, die vor lauter Freude über die stolpernde Bürgerdialogerei in ihrem geliebten Untergeschoss gar nicht bemerken, dass unser europäisches Haus, in dem die Minister und Mandarine verschwenderisch herrschen, keine tragfähigen demokratischen Balken hat.

Wahnsinn, wo man hinschaut. Da lob ich mir doch den Fußball als etwas vergleichsweise Klares, Überschaubares, auf Fairness und gesunden Menschenverstand Gebautes. Sinnvolle Regeln, prächtige Mannsbilder in bunten Gewändern. Bewundernswert ausdauernd laufen sie jeweils anderthalb Stunden hin und her und her und hin. Bisweilen brillieren sie sogar mit artistischer Ballkunst. Die gelegentlichen gewalttätigen Ausraster, mal auf dem Platz, öfter draußen, sind Peanuts im Vergleich zu dem, was Menschen sich in aller Welt tagtäglich antun. So gesehen bin ich jetzt womöglich doch auf dem Wege zum Fan. Immer vorausgesetzt, dass mir irgendwer irgendwann einmal die Geheimnisse des Abseits überzeugend erklärt.

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