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Sport: Im Dickicht der Weltklasse

In China muss Timo Boll Tischtennis auch kämpfen

Jia shou Boll, jia shou! Punkte, Boll, punkte! Knapp 2000 Fans feuern den Star aus dem fernen Deutschland an. Statt zu klatschen, schlagen sie prall aufgeblasene, zylinderförmige Luftballons aneinander. Wie Peitschenhiebe knallt der Applaus von den Tribünen. Die marode Sporthalle im ostchinesischen Jiaxing, unweit von Schanghai, strahlt noch den Charme der maoistischen Vergangenheit aus: heruntergekommene Katakomben, von den blechernen Geländern blättert der Lack ab, ein sozialistisches Propagandaposter vergammelt in einer Ecke.

Sportlich aber sucht China selbst in seinem Nationalsport Nummer eins den Anschluss an den Westen. Knapp zwei Monate lang ist Deutschlands bester Tischtennisspieler Timo Boll die Nummer eins bei Zhejiang Hongxiang, dem Erstligisten aus Hangzhou, gut zwei Autostunden südwestlich von Schanghai. Gegen das Team aus Ningbo geht es um den Klassenerhalt. Timo Boll spielt bei keinem der chinesischen Spitzenklubs, aber in Deutschland, sagt der 25-Jährige, würde das Team aus Hangzhou wohl locker Meister. Genau deshalb hatte Boll auf den Sommerurlaub verzichtet und statt dessen in Hangzhou angeheuert. Woche für Woche spielte der Odenwälder gegen die Besten aus dem Reich der Mitte. Selbst im Training musste Boll mehr geben als in den meisten Bundesligaspielen. Während in Deutschland meist auf den Wettkampf hin trainiert und die Belastung unmittelbar vor den Spielen zurückgefahren wird, nehmen die Trainer in China darauf keine Rücksicht. „Hier wird das komplett durchgezogen“, erzählte ein abgekämpfter Timo Boll in seinem Hotelzimmer. Kurz zuvor hat er sein letztes Einzel während seines China-Gastspiels in der Super League gewonnen und das trotz drückender Hitze. Die Halle war nicht klimatisiert, die Luft zum Schneiden dick. Alltag im chinesischen Tischtennis.

„Wir haben oft am Tag vor dem Spiel zweimal trainiert und dann noch Krafttraining gemacht. Genauso habe ich dann auch gespielt. Trotzdem hat mich das weitergebracht.“ Boll hat müde Augen, zum Rasieren ist er am Morgen auch nicht gekommen. Eigentlich hatte er in seinen Vertrag schreiben lassen, dass ihm auch ein Chinesisch-Lehrer zur Verfügung steht. Doch am Abend war er meist zu müde, um auch noch Mandarin zu pauken. „Hier in China wird man auch richtig gefordert“, erzählte Boll. „Ich hatte in sieben Wochen nicht einen Tag frei.“

Wang Hongjie lobt seinen Spieler: „Timo hat voll mitgezogen.“ Der hochgewachsene Trainer hat seinen deutschen Star nicht geschont, dennoch habe er sich nie beklagt: nicht über die hohe Trainingsbelastung, nicht über das ungewohnte Essen und auch nicht über die zum Teil 13-stündigen Fahrten zu Auswärtsspielen. Timo Boll hat alles in Kauf genommen, nur um durch das tägliche Training mit den besten Spielern der Welt seinem großen Traum näher zu kommen: eine Medaille bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking.

Tischtennis ist in China nach wie vor der Volkssport, trotz steigender Begeisterung für europäischen Fußball und den Profibasketball der amerikanischen NBA. Das Spiel mit dem kleinen weißen Ball lernen die Jüngsten schon im Kindergarten, Millionen spielen es bis ins hohe Alter. Das spiegelt sich auch bei den Zuschauern wider. Bei Timo Bolls letztem Auftritt für Zhejiang Hongxiang sitzen auf der Tribüne Großmütter neben ihren Enkeln, Greise fachsimpeln mit Fünfjährigen. Bei Spielen der ersten chinesischen Fußball- oder Basketballliga sind die meisten Fans zwischen 15 und 35.

„Tischtennis zieht sich in China durch alle Generationen“, schwärmt Timo Boll, „deshalb bin ich hier auch schnell bekannt geworden.“ Nach seinem letzten Ballwechsel bestürmen Dutzende Kinder den Deutschen, selbst Ordner und Polizisten bitten um Autogramme oder ein Foto mit dem langnasigen Ballkünstler. „Auch in der Stadt wird man erkannt, aber da sind die Fans nicht so rabiat wie in der Halle. Da braucht man manchmal Polizeischutz.“ Timo Boll ist ein Star im Reich der Mitte, deswegen möchte er seinen Fans dort auch etwas zurückgeben. Demnächst soll es von seiner Homepage auch eine chinesische Version geben.

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