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Sport: Im falschen Körper

Stabhochspringerin Buschbaum will nicht mehr leiden: Sie tritt zurück, weil sie sich als Mann fühlt

„Wie können wir wissen, wer wir sind, wenn wir nicht wagen, was in uns steckt?“ Das Zitat des brasilianischen Autors Paulo Coelho gefällt Stabhochspringerin Yvonne Buschbaum. Sie eröffnet damit die Erklärung, weshalb sie dem Leistungssport den Rücken kehrt. Das Ende ihrer Karriere steht für den Anfang eines neuen Lebens. Eine 27-Jährige an einem tiefgreifenden Wendepunkt. Yvonne Buschbaum ist eine Frau, die sich als Mann fühlt. Jetzt will sie eine Geschlechtsumwandlung machen lassen.

Die Olympia-Teilnehmerin und zweimalige EM-Dritte mit einer Bestleistung von 4,70 Metern hat in diesen Tagen bei Trainern, Verein und Förderern vorgesprochen. Es sind nicht die vier Operationen an den Füßen innerhalb von zwei Jahren – die letzte am 30. August 2006 –, die sie dazu bewegen, ihre Karriere zu beenden. „Im Wesentlichen erfolgt meine Entscheidung aufgrund meines seelischen Ungleichgewichts“, sagt Buschbaum. „Seit vielen Jahren befinde ich mich gefühlsmäßig im falschen Körper.“ Die Mainzerin hat nie einen Hehl daraus gemacht: Sie fühlt sich als Mann und lebt ein Leben im Körper einer Frau.

„Transsexuelle verspüren ein andauerndes Unbehagen im Geburtsgeschlecht und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen Geschlecht. Sie fühlen sich in ihrem Körper nicht wohl und wollen ihn ihrem Wunschgeschlecht anpassen“, sagt die Frankfurter Diplom-Psychologin Sophinette Becker, die seit 20 Jahren am Sexualwissenschaftlichen Institut der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität arbeitet. „Niemand weiß wirklich, woher das kommt. Es werden genetische Ursachen, hormonelle Einflüsse während der Schwangerschaft, Umwelteinflüsse und psychologische Gründe diskutiert.“ 2006 wurde das Institut in Frankfurt wegen Sparmaßnahmen geschlossen, und nur einer Welle des Protests ist es zu verdanken, dass Becker und ihre Kollegen ihre Arbeit in der sexualmedizinischen Ambulanz innerhalb der Psychiatrie weiterführen können. Die 57-Jährige weiß: „Es hat sich viel getan. Vor 20 Jahren war die Situation transsexueller Menschen noch extrem schwierig. Heute ist, alleine schon durch das 1980 verfasste Transsexuellengesetz und durch die Medien, die Akzeptanz in Deutschland größer.“

Im Sport hingegen gilt es als Sensation, wenn sich ein Sportler zu seiner neuen Identität bekennt. „Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Transsexualität ein Randthema ist. Ich möchte nicht für einen weiteren Rand verantwortlich sein. Ich appelliere an das Einfühlungsvermögen eines gesunden Menschenverstandes, meinen Schritt zu respektieren und keine falschen Schlüsse daraus zu ziehen“ , sagt Buschbaum.

Der Fall Buschbaum ist nicht mit dem der einstigen Ski-Weltmeisterin Erika Schinegger oder dem von Kugelstoß-Europameisterin Heidi Krieger zu vergleichen. Schinegger wurde bei ihrer Geburt für ein Mädchen gehalten und entpuppte sich erst nach einem Speicheltest als intersexuell, also als genetischer Mann mit uneindeutigen Geschlechtsteilen; danach entschied sie sich zu einer Operation, und der WM-Titel von 1966 wurde nachträglich aberkannt. Krieger ließ sich nach hohen Steroidgaben im Zuge des DDR-Dopings operieren.

Buschbaum ist körperlich eindeutig weiblich. „Ich dope nicht. Aus biologischer Sicht haben meine bislang errungenen Erfolge ihre natürliche Berechtigung“, sagt Buschbaum, die stets hart trainiert hat. Ihre Trainer mussten sie oft bremsen.

Buschbaum hat keine Zweifel, keine Angst vor dem, was ihr bevorsteht. Es ist alles veranlasst: der Antrag auf Namensänderung, der Beginn der Hormonbehandlung. Auf sie kommt nun „eine zweite Pubertät im Erwachsenenalter zu“, prognostiziert Becker.

Das Internationale Olympische Komitee lässt seit 2004 transsexuelle Sportler bei den Olympischen Spielen zu. Für Buschbaum wäre eine Teilnahme bei den Männern demnach 2012 theoretisch möglich. Aber eben nur theoretisch. In einer Zeit, in der Leistungssport unweigerlich mit Manipulation in Verbindung gebracht wird, will sie ihre Prinzipien wahren: „Die Frage, bei den Männern zu starten, stellt sich mir nicht.“

Und wie weiter? Unermüdlich hat Buschbaum an ihrem Comeback gearbeitet und gelitten, als sie Jelena Isinbajewa weltrekordwürdige 5,01 Meter springen sah, während sie sich mit ihrer Reha abmühte. Nun erkennt sie, dass es Wichtigeres gibt als Sport. Die 27-Jährige sagt heute: „Die Welt des Sports ist klein. Umso dankbarer bin ich dafür, dass mich Größeres erwartet. Ich gehe diesen öffentlichen Weg bewusst. Niemand soll sich belogen oder betrogen fühlen.“

Buschbaum hat ein schönes Bild gefunden für das, was sie bewegt: „Es ist normal, anders zu sein. Nicht der Strom allein ist normal, sondern auch die Wellen, die zu ihm gehören. Ich bin froh, diesen Weg zu gehen, und freue mich, bald ganz und im Reinen mit mir zu sein.“ Das Leiden der Yvonne Buschbaum hat ein Ende.

Christine Eisenbeis[Mainz]

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