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Sport: Im Feindesland

Nationaltorwart Jens Lehmann wurde in München ausgepfiffen – und verlor wieder einmal die Nerven

Gerade noch schien Jens Lehmann zur Ernsthaftigkeit entschlossen, ehe die Situationskomik ihn packte. Der 34 Jahre alte Torwart war soeben im Spielerhotel erschienen, um zu jenen Ereignissen Stellung zu nehmen, die am Vorabend, bei der als munteren Feier geplanten Eröffnung der Allianz-Arena, die Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes übel verstimmt hatten. Als der unfreiwillige Hauptdarsteller des Spiels zwischen der Nationalmannschaft und dem FC Bayern, Torwart Jens Lehmann, nun zu den Pfiffen gegen ihn und seiner Rangelei mit dem Nationalmannschaftskollegen Bastian Schweinsteiger seine Meinung sagen sollte, entdeckte er den Schriftzug auf einer Flasche des Getränkesponsors. „It’s your Heimspiel“, las Lehmann vor, „München, Juni 2005“. Ein Schmunzeln durchzog sein Gesicht, und alle lachten.

Was am Abend vorher passiert war, hatte gezeigt, dass Spiele in Deutschland für den Nationalspieler Jens Lehmann keineswegs Heimspiele sein müssen. Ein großer Teil der Bayern-Fans hatte den Rivalen ihres Lieblings Oliver Kahn bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen und mit wüsten Beschimpfungen bedacht. Als sein erster Abschlag ins Aus ging, gab es Szenenapplaus. Prompt zeigte Lehmann Nerven. An zwei Gegentoren der Nationalmannschaft trug er eine Mitschuld. „Klinsmann, schmeiß den Lehmann raus“, grölten die Fans. Und: „Ohne Lehmann fahr’n wir zur WM.“

Oliver Bierhoff machte das wütend. „Das war eine Riesensauerei“, hatte der Nationalmannschafts-Manager gleich nach dem Abpfiff geschimpft. Er kennt das Gefühl, er war einst in Gelsenkirchen selbst von deutschen Fans ausgebuht worden. „So was tut weh. Wenn wir uns mit der Nationalmannschaft bereit erklären, zu dieser Feier zu kommen, darf man nicht so niedergemacht werden.“

Dienstagabend, 21 Uhr 49: Bastian Schweinsteiger und Lehmann rangeln an der Eckfahne um den Ball. „Ich hätte ihn noch bekommen“, schilderte Schweinsteiger später die Szene. „Aber Jens rief mir zu: ,Bleib weg!’“ Schweinsteiger konnte nun nach seiner Version nicht mehr abbremsen; er habe den Spieler blocken müssen, erzählte hingegen Lehmann später. Das Ergebnis war eindeutig: Schweinsteiger fiel in die Werbebande. „Lehmann, du Arschloch“, hallte es nun grob durch die feine neue Arena.

„Das sah etwas unglücklich aus“, räumte Jürgen Klinsmann ein. Der Bundestrainer versuchte, den Ärger herunterzuspielen. Lehmann wiederum sagte, er sei Pfiffe gegen sich schon „bei Dortmund und Schalke und Arsenal gewohnt“ gewesen, aber dass dies bei einem Länderspiel auf eigenem Terrain geschehe, „das hat mich schon traurig gemacht“. Er habe aber damit rechnen müssen, als jemand, der, wie er findet, in München „ein relativ gutes Feindbild abgibt“.

Unbeherrschtheiten haben Lehmann auch bei seinem Londoner Verein FC Arsenal oft um den Lohn seiner Arbeit gebracht. In der vergangenen Saison warf er Stürmer Kevin Philips von Southampton den Ball wütend an den Kopf, weil der ihm auf den Fuß getreten war. Die englische Presse hat das fast schon verdrängte Image vom Hitzkopf Lehmann wieder aufgefrischt, nachdem er nach dem Achtelfinalspiel in der Champions League Schiedsrichter Massimo De Santis mit Wasser bespritzt hatte. Seine Position als Nummer eins für die kommende Saison hat Lehmann damit selbst gefährdet – denn in den nächsten zwei Europapokalspielen ist er gesperrt.

Nach dem Spiel vom Dienstag flüchtete Lehmann aus dem Stadion. Während in der Allianz-Arena ein buntes Feuerwerk abgebrannt wurde, trottete der Gescholtene wortlos zum Bus. Sein nächster Auftritt ist für Samstag geplant – in Belfast gegen Nordirland. Für Jens Lehmann dürfte es ein Heimspiel werden.

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