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Am Mittwoch bedanken sich die Spieler der Borussia nach der Landung in Dortmund bei den Fans, die ihretwegen zum Flughafen gekommen waren.

© dpa

Im Finale der Champions League: Dortmund hält dem Orkan von Madrid stand

Es hätte noch böse ausgehen können für Borussia Dortmund am Dienstagabend in Madrid. Doch mehr als zwei Gegentore ließ der BVB gegen Real nicht zu. Und deshalb durfte nach dem am Ende dramatischen Finaleinzug auch ein bisschen gefeiert werden.

Madrid - Ganz zum Schluss noch ein Plagiat. Real Madrid kopiert Jürgen Klopp. Her mit der Brechstange! Lang und weit und hoch jagen die Spanier den Ball nach vorn, ganz so, wie es der Dortmunder Trainer befohlen hatte beim Wunder gegen den FC Malaga, der damals den Zwei-Tore-Nachspielzeittod starb, aber was heißt schon damals? Drei Wochen liegt das zurück und ist doch längst stilbildend. Jetzt, in der Nachspielzeit, im Halbfinale der Champions League.

Klopps Kollege José Mourinho also färbt seinen weißen Orkan schwarz-gelb ein. Zwei späte Tore von Karim Benzema und Sergio Ramos haben Real ein kaum mehr erwartetes 2:0 beschert. Vielleicht geht ja doch noch was. Cristiano Ronaldo bekommt den Lotterie-Ball auf den Fuß, er läuft in den Strafraum, fädelt ein gegen Dortmunds Verteidiger Felipe Santana Natürlich stürzt er, reißt die Arme hoch, 70 000 Madridistas im Estadio Santiago Bernabeu brüllen so laut, dass es auch der Dortmunder Boss Hans-Joachim Watzke hören muss auf der Toilette, in die er sich zurückgezogen hat, obwohl der spanische König als sein Sitznachbar so lieb sein zitterndes Händchen gehalten hat. Wer will diesen Stress noch aushalten? Alle schauen sie auf Howard Webb, den Schiedsrichter, der die Pfeife schon im Mund hat.

„Wenn wir das Ding hier noch vergeigt hätten... Also, ich hätte mich nicht mehr nach draußen getraut“, sprach der Dortmunder Spiellenker Ilkay Gündogan. Später, als endlich alles vorbei und die Fortsetzung der Europa-Tournee am 25. Mai in London gebucht war.

Ja, es hätte auch böse ausgehen können für den BVB in dieser fünften von sechs Nachspielminuten. Vor einem Publikum, das Real mit infernalischer Lautstärke Richtung Wunder trieb in dieser eben nur scheinbar aussichtslosen Lage nach dem 1:4 im Hinspiel. Später hat Jürgen Klopp himmlischen Beistand bemüht für das glückliche Ende: „In den kritischen Momenten dachte ich: Wenn Gott will, kommen wir ins Finale. Wir mussten cool sein in Situationen, die ich nie erlebt habe.“

Das ist recht fatalistisch formuliert und trifft doch ganz gut, was sich am späten Dienstagabend zutrug am Paseo de la Castellana. Dortmund schwächelte in den ersten und wackelte in den letzten der 90 regulären Minuten. Aber zwischendurch hatte die Borussia das Geschehen ebenso kühl unter Kontrolle wie in der knapp sechsminütigen Nachspielzeit, die Watzke auf dem Klo verbrachte und viele der 10 000 schwarz-gelben Fans nur mit vor die Augen gepressten Fäusten ertrugen. „Diese Nachspielzeit ist wahnsinnig schnell vergangen“, erzählte der überragende Abwehrstratege Mats Hummels. „Wir haben das ganz cool zu Ende gespielt und nichts mehr zugelassen, oder war da noch was?“

Nein, eigentlich nicht, mal abgesehen von Ronaldos Einfädeln gegen Santana, aber Howard Webb ist nicht reingefallen auf diesen Trick. Vielleicht hatte der Schiedsrichter etwas gutzumachen. Jürgen Klopp listete später auf, dass „Sergio Ramos sieben Gelbe Karten hätte bekommen müssen“ für seinen eher rustikalen Verteidigungsstil gegen den Dortmunder Stürmer Robert Lewandowski. „In der ersten Halbzeit war Lewandowski mal kurz davor auszuticken. Wer da ruhig bleibt, der ist fast ein Übermensch.“

Es hätte dieser Robert Lewandowski seinem Trainer auch alle Leiden ersparen können und dem Chef den Gang auf die Toilette, wenn er denn eine seiner Chancen genutzt hätte zum Dortmunder Führungstor. Doch, und auch da hat Klopp recht: Lewandowski ist kein Übermensch. Alles was dem Polen bei seinen vier Toren im Hinspiel mit spielerischer Leichtigkeit gelungen war, ging ihm dieses Mal daneben, so dass Real bis zuletzt „die Hand am Wunder hatte“ („Marca“), sich „mit erhobenem Kopf von den großartigen Fans verabschiedete“ (Cristiano Ronaldo).

Für José Mourinho war es im dritten Jahr bei Real der dritte K. o. im Halbfinale der Champions League und wahrscheinlich auch der letzte. Der Portugiese will künftig dort arbeiten, „wo ich geliebt werde“, also nicht in Madrid, sondern beim FC Chelsea. Mit alten Helden wie Iker Casillas oder Sergio Ramos ist Mourinho hoffnungslos zerstritten, und selbst sein Landsmann Ronaldo ließ ausrichten, „dass es für mich nicht wichtig ist, was mit Mourinho passiert. Für mich ist wichtig, was mit mir und Real ist.“

Am Dienstag war nicht viel mit dem blassen Ronaldo, noch weniger als im Hinspiel. Der fehlgeschlagene Versuch, in der Nachspielzeit einen Elfmeter zu schinden, war eine seiner auffälligeren Szenen. „No CR7, no Party“, dichtete „Marca“. Die Dortmunder Party aber hatte nach dem Spiel erst begonnen. Noch kurz vor Mitternacht strömten schwarz-gelb-gewandete Männer und Frauen aus der U-Bahnstation Santiago Bernabeu. Fans, die keine Karte bekommen und in den Kneipen der Innenstadt gefeiert hatten, aber auch sie wollten ein bisschen von dieser kühlen und doch so emotional aufgeheizten Frühlingsluft am Stadion atmen. Und die Spieler? Gingen noch auf die Piste, angeführt vom früheren Kurzzeit-Real-Profi Nuri Sahin, „der soll sich hier ja ein bisschen auskennen“, sagte Ilkay Gündogan.

Klopp ließ das Personal gewähren – „wenn ich den Jungs jetzt nicht erlaube rauszugehen, bin ich doch ein Vollhorst“. Wie wohl Horst Heldt, Manager des Lieblingsfeindes Schalke, zu der schönen Wortschöpfung „Vollhorst“ steht? Egal, in dieser Nacht war kein Platz für rhetorische Spitzfindigkeiten, nicht einmal für Gedanken an das nächste Bundesligaspiel, es führt die Dortmunder am Samstag mit dem FC Bayern zusammen. Ohne den Noch-Dortmunder und Bald-Bayern Mario Götze, der einen Muskelfaserriss erlitt und auch für das Finale auszufallen droht. „Kann sein, dass wir von den Bayern richtig Haue bekommen“, sagte Klopp, „aber das wird die glücklichste Niederlage der Geschichte.“ Sven Goldmann

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