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Sport: Im Land ohne Vorfreude

Vor der Auslosung der EM-Gruppen steckt das Team von Gastgeber Österreich weiter in der Krise

Zumindest eines kann man dem österreichischen Teamchef nicht absprechen: Dass der Mann einen Sinn für die Realität hat. „Es gibt für uns nur schwere Gruppen“, sagt Josef Hickersberger kurz vor der Auslosung der Europameisterschafts-Endrunde am Sonntag in Luzern. Und damit hat er wohl recht. Irgendwo jenseits von Platz 90 liegt Österreich in der Rangliste des Fußball-Weltverbandes Fifa derzeit. Weiter hinten ist keiner der Teilnehmer platziert, auch nach vorne ist viel Luft zum nächst schlechtesten, und das wird bei der Auslosung dazu führen, dass alle Teamchefs wohl jubeln würden, wenn sie aus Topf eins Österreich zugelost bekommen. Benachteiligt sind dabei nur die Mannschaften aus der Schweiz, den Niederlanden und Griechenland – sie sind genauso wie Österreich ebenfalls in Topf eins gesetzt.

Knapp ein halbes Jahr dauert es noch, bis am 7. Juni mit dem Eröffnungsspiel in Basel die Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz beginnt, und zumindest die Österreicher sind sich noch längst nicht sicher, was da eigentlich auf sie zukommt. Sportlich steht das Team von Cheftrainer Hickersberger jedenfalls so schlecht da wie nie zuvor – im vergangenen Jahr wurde von 14 Testspielen lediglich eines gewonnen. Statistisch gesehen haben die Österreicher nur alle 140 Minuten getroffen – das Team hat also ein echtes Sturmproblem. Auf der anderen Seite kassiert es im Durchschnitt fast zwei Tore pro Spiel. Sollte Österreich bei der EM genauso weiterspielen, dann würde die Mannschaft mit null Punkten und einem geschossenen Tor in der Vorrunde ausscheiden.

Aber auch im Land selbst ist, anders als in der Schweiz, von einer Euphorie vor der EM nichts zu spüren. Mehr als die Hälfte der Österreicher sagen derzeit in den Umfragen, dass ihnen das drittgrößte Sportevent der Welt völlig egal sei. Das kann an der sportlichen Tristesse liegen, muss es aber nicht. Tatsache ist, dass die großen Medien des Landes noch nicht in großem Umfang über das bevorstehende Event berichten. Vor allem der ORF, der als Quasi-Monopolist des Fernsehens stark meinungsbildend sein kann, hat sich lange zurück gehalten. Erst seit einem Monat ist klar, dass der ORF überhaupt die Fernseh- und Radiorechte an der EM im eigenen Land hat – zuvor hatte es eine heftige Feilscherei um den Preis der Rechte gegeben. Und so lange nicht klar war, dass der ORF selbst übertragen wird, hat der Sender keinerlei Vorberichterstattung für die Großveranstaltung gemacht – was sich im Meinungsklima sicher bemerkbar macht.

Aber auch in den vier österreichischen Ausrichtungsorten – Wien, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt – ist von einem EM-Fieber wenig zu merken. Die Stadien selbst sind zwar mittlerweile alle fertig gestellt, und auch das einzige infrastrukturelle Großprojekt des Landes – den Anschluss des Praterstadions an das öffentliche U-Bahnnetz – ist weit fortgeschritten und verläuft angeblich planmäßig. Trotzdem sind sich viele nicht sicher, wie das Land den Ansturm der Fans bewältigen wird. In Wien, wo alle drei Vorrundenspiele der Österreicher, zwei Viertelfinals, ein Halbfinale sowie das Endspiel stattfinden werden, ist man sich wohl noch nicht darüber im Klaren, wie viele Fans tatsächlich zur EM kommen werden. Größere Hotelprojekte gibt es nicht, und anders als etwa Berlin hat Wien keine Überkapazitäten in der Hotellerie. Sollten wirklich bis zu einer Million Menschen nach Wien kommen, wird es in der österreichischen Hauptstadt eng.

Für Österreich bleibt wohl nur zu hoffen, dass nicht allzu viele Fans ins Land kommen werden. Zumindest die Stadien, die für die Europameisterschaft errichtet wurden, passen da schon ganz gut. Das Praterstadion ist mit einer Kapazität von 48 000 Plätzen das mit Abstand größte Stadion der EM. Die drei weiteren Spielstätten in Österreich sind für knapp 28 000 Zuseher ausgelegt. Zum Vergleich: Die kleinste Arena der WM in Deutschland in Kaiserslautern hat über 40 000 Sitzplätze.

Markus Huber[Wien]

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