zum Hauptinhalt

Sport: Im neuen Stil

Trainer Martin Jol macht’s möglich: Der Hamburger SV pflegt wieder die Offensive

Von Karsten Doneck, dpa

Die Freude musste raus. Laut singend, als wollten sie im 125 Kilometer entfernten Bremen noch Gehör finden, teilte der Anhang des Hamburger SV der Öffentlichkeit mit: „Die Nummer 1 im Norden sind wir!“ Nun, der Gesang, gemünzt auf den bei den HSV-Fans höchst unbeliebten SV Werder, war sogar noch eine Untertreibung. Der HSV ist nach dem 3:2 gegen Bayer Leverkusen auch die Nummer 1 der ganzen Bundesliga. Letztmals fand sich der Klub am 11. September 1999 an dieser exponierten Stelle wieder – nach einem 5:1-Heimsieg über Hertha BSC.

Doch nicht allein der Tabellenplatz löst in Hamburg Freude aus. Vielmehr ist es die Spielweise der Mannschaft, die begeistert. Fußball ist beim HSV nicht mehr nur nüchternes taktisches Kalkül, ergebnisorientiert bis an den Rand der Langeweile. Mit dem Trainerwechsel von Holländer zu Holländer, von Huub Stevens zu Martin Jol, ging auch ein gravierender Stilwandel einher. Neuerdings präsentiert der HSV Fußball wieder als aufregendes Spektakel. „Das Spiel hatte alles, was Fußball ausmacht“, schwärmte HSV-Profi Bastian Reinhardt nach dem Sieg über Leverkusen. Zum dritten Mal in dieser Saison lagen die Hamburger 0:2 hinten – und verloren doch nicht.

Martin Jol hatte bei seinem Amtsantritt in Hamburg ein Blick auf die alte Bundesligatabelle genügt, um seinen Arbeitsschwerpunkt zu kennen. „Der HSV hat 47 Tore erzielt, das ist zu wenig“, sagte Jol und bimste seinen Spielern eine offensivere Grundhaltung ein. Das führte zwar dazu, dass der HSV nun genauso viele Gegentreffer kassiert hat wie der Tabellenletzte Energie Cottbus. Aber in der Offensive rappelt es dafür auch häufiger. In den ersten vier Spielen der vorigen Saison unter Stevens erzielte der HSV jeweils nur ein einziges Tor, jetzt hat er im gleichen Zeitraum schon sieben Tore mehr bejubeln können.

Und Frank Rost, der Torwart, gewöhnt sich auch allmählich daran, dass er sich in seinem Strafraum häufiger mal ziemlich allein gelassen vorkommt. „Wenn wir mal schnell in Rückstand geraten, kann mich das nicht mehr erschrecken“, stellte Rost fest. Ein Dauerzustand sollen diese Zwei-Tore-Rückstände aber nicht werden. Rost fordert für die Zukunft mehr Ausgewogenheit zwischen Offensive und Defensive: „Wir müssen die stabile Mitte finden. Dann ist beim HSV auch wieder etwas Großes möglich.“

Der Hamburger SV darf dabei freilich nicht vergessen, dass die Eroberung der Tabellenspitze auch vom Glück begleitet wurde. Beim 2:1 gegen den Karlsruher SC am zweiten Spieltag fiel das Siegtor durch Joris Mathijsen erst in letzter Minute, gegen Leverkusen begünstigte beim Stande von 1:2 ein Platzverweis gegen Bayers Abwehrspieler Manuel Friedrich kurz vor Halbzeit die Aufholjagd der Hamburger. Und zwischendurch beim 4:2 in Bielefeld war die Arminia nach ihrer 2:0-Führung auch eine Zeitlang dem 3:0 weitaus näher als der HSV dem 1:2. Allein das 2:2 bei Bayern München zur Saisoneröffnung entsprang einer wirklich starken Vorstellung der Hamburger.

Solche Bedenken prallen an Martin Jol ab. Da wird der 52-Jährige zum Pragmatiker. „Wir haben die Punkte, und die kann uns keiner mehr nehmen“, sagt er. Jol weiß, dass in seiner Mannschaft noch mehr Potenzial schlummert. Schließlich sind die vier neuen Spieler Mladen Petric, Thiago Neves, Alex Silva und Marcell Jansen noch längst nicht integriert. Bis dieser Prozess abgeschlossen ist, mag sich der HSV mit der Erkenntnis von Mladen Petric trösten: „Unser Team besitzt eine große Siegermentalität. Die haben nicht viele Mannschaften in sich.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false