zum Hauptinhalt

Sport: „Im Radsport herrscht eine Doppelmoral“

Sportmediziner Georges Mouton über Doping bei der Tour

Georges Mouton saß 2001 in Belgien fünf Monate in Untersuchungshaft, inhaftiert wegen Handels mit unerlaubten Medikamenten und deren Weitergabe an Leistungssportler. Zu den Kunden des belgischen Mediziners gehörten die Radprofis Frank Vandenbrouke und Johan Museeuw, denen er Dopingmittel verabreicht haben soll. Ende der neunziger Jahre betreute Mouton den deutschen Rennstall Bayer Worringen, für den der von T-Mobile suspendierte Jörg Ludewig fuhr. Ludewig hatte sich damals bei einer bis heute nicht bekannten Person über Dopingmethoden informiert. Die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelte in diesem Zusammenhang gegen Mouton, stellte die Ermittlungen aber aus Mangel an Beweisen ein. Der Belgier praktiziert inzwischen in London, vor sieben Jahren hat er sich vom Radsport zurückgezogen.

Herr Mouton, Sie waren 1998 Teamarzt bei Bayer Worringen. Haben Sie dort Jörg Ludewig beraten, der jetzt von T-Mobile wegen des Verdachts des Dopings suspendiert wurde?

Ich war der Vertrauensarzt einzelner Fahrer, aber nie Mannschaftsarzt. Ich glaube, ich kann mich an den Namen Ludewig erinnern, aber beraten habe ich ihn nicht. Ich helfe Menschen, die Beschwerden haben.

Welche Hilfe für Radsportler halten Sie für vertretbar?

Alles, was natürlich ist und die Regeneration fördert. Ich würde etwa davor zurückschrecken, künstliche Hormone zu verabreichen. Ich würde eher anabole Hormonvorstufen wie Dehydroepiandrosteron verabreichen, damit der Körper selbst arbeiten muss. Testosteron würde ich hingegen nicht geben, das halte ich für gefährlich.

Haben Sie jemals Epo oder Wachstumshormone gegeben?

Nein, ich halte Wachstumshormone und Epo gesundheitlich für riskant. Wenn es primär um Leistungssteigerung geht und die Gesundheit vernachlässigt wird, dann habe ich ein Problem damit. Als Arzt muss ich dem Spitzensportler dabei helfen, trotz der Belastung gesund zu bleiben, indem ich etwa sein überlastetes Immunsystem stärke.

Was passiert, wenn ein austrainierter Radprofi eine Tour de France ohne medizinische Unterstützung fährt?

Der Körper explodiert. Eine Belastung wie bei der Tour ist schlicht und einfach verrückt. Der Fahrer wird krank, er bekommt Durchfall, Grippe, Fieber, ein Ermüdungssyndrom. So etwas von Menschen zu verlangen und ihnen dann medizinische Unterstützung zu verweigern, ist unmoralisch. Das Problem, das wir heute im Radsport haben, ist doch, dass die Rennen aus einer Zeit stammen, in der alles erlaubt war. Und jetzt soll es auf einmal sauber zugehen. Da herrscht eine Doppelmoral. Niemand will ja wirklich auf das Spektakel der extremen Leistung verzichten. Ich kann es etwa nicht akzeptieren, dass die Tour in den vergangenen Jahren wieder länger und härter geworden ist.

Wie weit verbreitet ist Doping im Radsport heutzutage?

Ich habe da ein wenig den Kontakt verloren. Als ich noch im Radsport gearbeitet habe, haben etwa 80 Prozent der Profis Epo benutzt. Man weiß ja, was herauskommt, wenn man eingefrorene Urinproben aus den neunziger Jahren untersucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jan Ullrich der einzige deutsche Rennfahrer ist, der gedopt haben soll.

Wie sollte also Ihrer Meinung nach ein Dopingreglement aussehen?

Ich möchte als Arzt eines Spitzensportlers alles tun können, was ich für einen normalen Patienten auch tue. Nichts anderes habe ich ja getan. Das war jedoch ein Fehler und hat mir viel Ärger eingebracht. Deshalb halte ich mich jetzt aus dem Radsport heraus – denn meine Einstellung habe ich ja nicht geändert.

Die Fragen stellte Sebastian Moll.

Georges Mouton, 49, auch „Dr. Seringue“ (Doktor Spritze) genannt, gilt als bekanntester belgischer Sportarzt und gehörte auch eine Zeit lang der Société du Tour de France an.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false