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Sport: Im Tiefdruckgebiet

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft trifft in Island auf einen bescheidenen, aber starken Gegner

Reykjavik. Island ist ein seltsames Land. Die Bewohner (weiblich) tragen karierte Röcke, weiße Blusen mit Wollweste, rote Strickjacken (männlich) und komische Mützen auf dem Kopf (weiblich und männlich). Sie stehen zusammen auf grünen Hügeln vor einem weißen Haus unter blauem Himmel, und im Hintergrund weht die Landesfahne. Zumindest tun sie das so auf dem Deckel der Milchtöpfchen, die beim Flug nach Reykjavik von der isländischen Fluggesellschaft zum Kaffee gereicht werden.

Doch folkloristische Darstellungen solcher Art sind wie so oft nichts anderes als – Folklore; in Wirklichkeit ist Reykjavik, die nördlichste Hauptstadt der Welt, genauso westlich geprägt wie alle anderen Hauptstädte Europas. Aber von tief im Süden des Kontinents neigt der Beobachter schnell dazu, ein Volk, das Wörter wie „Vatnsmyrarvegur“ verletzungsfrei aussprechen kann, für etwas sonderbar zu halten. Was den isländischen Fußball betrifft, so ist das nicht anders.

Es ist nicht ganz einfach zu verstehen, wie ein Land, das etwa so viele Einwohner hat wie Charlottenburg, fußballerisch mit dem 80-Millionen-Volk Deutschland mithalten kann. Früher konnten die Isländer das nicht, aber angesichts der dürren Resultate, die die DFB-Auswahl in ihrer EM-Qualifikationsgruppe erzielt hat, ist nicht damit zu rechnen, dass das Team von Rudi Völler seinen Gegner am Samstag (19.30 Uhr, live in der ARD) überrennen wird. In keinem ihrer Gruppenspiele haben die Deutschen mehr als zweimal getroffen, nur gegen Litauen und die Färöer (jeweils 2:0) siegten sie mit mehr als einem Tor Differenz. Und jetzt spielen sie gegen den Tabellenführer. „Deutschland muss gewinnen“, sagt Nationaltrainer Asgeir Sigurvinsson. „Wir wollen gewinnen.“

Angesichts der Aufgabe schwankt die deutsche Seele zwischen Vorsicht und Übermut, und die Ungewissheit wird noch zunehmen, wenn die Nationalspieler aus ihrem Hotel auf das Laugardalsvöllur-Stadion blicken, in dem sie am Samstag spielen werden. 7000 Zuschauer finden hier Platz, nach deutschen Maßstäben handelt es sich um ein Regionalligastadion – mit ausgelatschten Stehrängen in beiden Kurven und hölzernen Kassenhäuschen vor den Eingängen, „wie irgendwo in Deutschland auf dem Dorf“, sagt Sigurvinsson. Den Isländern wäre es recht, wenn sie unterschätzt werden würden. „Unsere Spieler müssen einen guten Tag erwischen, damit wir gegen die Deutschen etwas ausrichten können“, sagt Logi Olafsson, der die Isländer gemeinsam mit Sigurvinsson trainiert.

An solch guten Tagen spielt die Mannschaft dann auch mal 1:1 gegen – den damals amtierenden – Weltmeister Frankreich, und das, obwohl „wir keine überragenden Einzelspieler haben“, wie Sigurvinsson sagt. „Aber wir sind als Team da.“ Und mit jedem Erfolg steigt das Selbstwertgefühl. Seitdem Sigurvinsson, der frühere Profi des VfB Stuttgart, im Mai das Team übernommen hat, hat sie dreimal in Folge gewonnen. „Das spricht für sich“, sagt Eyjölfur Sverrisson, der ebenfalls früher für den VfB gespielt und im Sommer nach acht Jahren bei Hertha BSC seine Karriere beendet hat.

Sollte sich Island für ein großes Turnier qualifizieren, hätte Sigurvinsson das zweite isländische Fußballwunder vollbracht. Das erste Wunder war, dass die Weltöffentlichkeit vor 20 Jahren überhaupt Notiz vom isländischen Fußball genommen hat. In den Achtzigerjahren zählte der Mittelfeldregisseur zu den überragenden Spielern der Bundesliga, 1984 führte er Stuttgart zur Meisterschaft. Mit heruntergelassenen Stutzen schien er damals über den Rasen zu schweben, „Eismeer-Zico“ wurde Sigurvinsson wegen seiner Eleganz genannt. „Er hatte einen sensationellen linken Fuß“, sagt Sverrisson.

In Island ist der neue Nationaltrainer eine Legende. „Als ich jung war, war er der absolute Held“, sagt Sverrisson. „Jeder Fußballer hat davon geträumt, wie er zu sein.“ Doch an Sigurvinsson allein kann es nicht liegen, dass die Isländer inzwischen konkurrenzfähig sind. In anderen Sportarten ist es ähnlich. In diesen Tagen beschäftigt der Wechsel des Basketballers Jón Arnór zu den Dallas Mavericks in die NBA die Menschen in Island. „Es ist erstaunlich, dass unser kleines Land immer wieder so gute Sportler hervorbringt“, sagt Sverrrisson. „Vielleicht liegt es am Wetter. Daran, dass wir so abgehärtet sind.“

In diesen Tagen bestimmt ein hartnäckiges Tiefdruckgebiet das Wetter in Island. Für Samstag werden Sturmböen vorhergesagt.

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