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Sport: Im Zwischenraum

Von Anni Friesinger zu Claudia Pechstein: Der brisante Wechsel des Eisschnellläufers Juri Kokhanetz

Berlin – Niclas zerrt mit aller Macht an der Tischdecke, ein Salzstreuer gerät gefährlich ins Wanken. Doch Mama hat aufgepasst, dass das Tuch nicht völlig vom Tisch verschwindet. Ein sieben Monate altes Baby weiß eben noch nicht, wie man sich am Tisch zu benehmen hat. Niclas Kokhanetz weiß auch nicht, dass er einer der wesentlichen Gründe ist, warum sein Vater Juri jetzt in Berlin trainiert und zum Team der viermaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein gehört. Selbst wenn er es wüsste, es dürfte ihm ziemlich egal sein.

Aber der Mutter Nina Kokhanetz ist es nicht egal. Sie drängte darauf, dass ihr Mann nach Berlin wechselt, weil sie in Bremen wohnt und dort gerade ihre Diplomarbeit über Pflegemanagement geschrieben hat. „So kann ich ihn öfter sehen“, sagt sie im Casino des Sportforums Hohenschönhausen. Ein paar Meter weiter liegt die Eisschnelllauf-Halle, hier wird der siebenmalige russische Meister Juri Kokhanetz am Wochenende beim Eisschnelllauf-Weltcup über 5000 Meter starten. Seit April 2004 ist Kokhanetz in Berlin. „Die Großstadt gefällt mir“, sagt er. Eine deutsche Kleinstadt hat er drei Jahre lang erlebt. Bis April trainierte er in Inzell, Bayern.

Es war ein Wechsel, der Wunden gerissen hat. Denn Juri Kokhanetz lief in Inzell in der Trainingsgruppe von Anni Friesinger. Jetzt unterstützt er ausgerechnet Friesingers größte Konkurrentin Claudia Pechstein. „Natürlich war die Anni nicht begeistert“, sagt Markus Eicher, Friesingers Trainer. Kokhanetz redet ungern über den Punkt, er möchte nicht alte Gräben aufreißen. Aber wie brisant das Thema noch ist, wird schnell klar. „Mit Anni habe ich nur noch selten Kontakt“, sagt der 32-Jährige.

Dazu sollte man die Vorgeschichte kennen. „Anni und ich waren wie Bruder und Schwester“, sagt Kokhanetz. Mit Jan Friesinger war er ebenfalls eng befreundet, er brachte dem Bruder von Anni Friesinger Russisch bei. Eicher quartierte Kokhanetz bei den Olympischen Spielen in seinem Hotelzimmer ein, als der Langstrecken-Spezialist nicht mit der russischen Mannschaft im gleichen Hotel übernachten wollte, weil es Probleme gab. Jetzt sagt er: „Zu Jan habe ich ein normales Verhältnis.“ Aber so eng wie früher ist es nicht mehr.

Mit Pechstein arbeitet er jetzt professionell zusammen, er versucht, sich aus dem schwelenden Streit zwischen Pechstein und Friesinger herauszuhalten. „Ich rede nicht darüber, ich trainiere.“ Bis 2006, bis zu den Olympischen Winterspielen, läuft sein Vertrag mit Pechsteins Management. Pechsteins Trainer Joachim Franke sagt: „Er ist sehr gut, er ist nicht bloß Claudias Wasserträger.“

Manche Hintergründe des Wechsels wirken fast geheimnisvoll. Kokhanetz sagt, Eichers Training sei zu 80 Prozent auf Friesinger abgestimmt gewesen, er aber wolle sich weiter entwickeln. Auch deshalb sei er zu Franke gewechselt. „Der hat mir erklärt, dass ich noch Entwicklungschancen habe.“

Markus Eicher aber lächelt milde. „Der Weg in die Weltspitze ist ihm verbaut“, sagt er. Er betrachtet den Schritt als konsequent, Kokhanetz war für ihn ein Auslaufmodell. „Ich habe ihm im Herbst 2003 gesagt, dass wir nur noch in der Saison 2003/2004 mit ihm zusammenarbeiten wollen.“ Kokhanetz habe immer mehr finanzielle Forderungen gehabt, er wollte wie die übrigen Teammitglieder eine Limousine von Friesingers Hauptsponsor. Er bekam sie aber nicht. Und sportlich sei Kokhanetz’ Leistung im vergangenen Jahr stagniert. Und im Übrigen: Der Russische Meister habe seine eigenen Trainingspläne gehabt, das Training sei keinesfalls zu 80 Prozent nur auf Anni Friesinger zugeschnitten gewesen.

Die Trennung vom Team Friesinger war lange vorher geplant? Joachim Franke zweifelt daran. „Wenn man so etwas einem Athleten ein halbes Jahr vorher sagt, ist er nur noch 50 Prozent wert“, sagt der Coach. „Die haben doch gar keinen Ersatz für ihn.“

Immerhin, das Verhältnis zwischen den Inzellern und Kokhanetz ist nicht völlig zerrüttet. Zu Eichers 50. Geburtstag im April fuhr Kokhanetz extra nach Bayern.

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