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Sport: In England hilft die Gewerkschaft Neuanfang im Kinderzimmer In Deutschland gibt es 435 Euro Arbeitslosengeld

Wie der ehemalige Fußballprofi André Breitenreiter damit umgeht, dass er seit einem halben Jahr arbeitslos ist

Die meisten erwerbslosen Fußballprofis gibt es in England. Kein Wunder bei vier Profiligen, in denen 72 Klubs spielen. Seit dem Kollaps des Fernsehsenders ITV, der jährlich 160 Millionen Euro für die Übertragungsrechte allein in die unterklassigen Ligen pumpte, entließen die Klubs mehr als 600 Spieler.

In Deutschland nimmt sich der verhinderten Fußballstars nun das Arbeitsamt an. Auch in England ist das möglich, doch dort möchten kaum Spieler mit diesem Schritt das Scheitern ihrer Karriere eingestehen. Wer einmal bei Tottenham oder Nottingham gespielt hat, geht nicht zum Arbeitsamt. Deshalb gibt es die Unterstützungskasse der Spielergewerkschaft PFA. Wenn arbeitslose Berufsgenossen keine neue Anstellung mehr finden, gibt es einen Zuschuss. Doch auch der kann nicht ewig gezahlt werden. Und so bleibt den gefeuerten Spielern meist nur eine Möglichkeit: die Rückkehr in ihren gelernten Beruf als Automechaniker oder Klempner.

Viele Profis haben aber ihr Leben lang nichts anderes gemacht, als gegen Bälle zu treten. Deshalb wurde von der Regierung vorgeschlagen, diese Leute zu Sportlehrern umzuschulen. So würden die Fußballer im vertrauten Umfeld gehalten und könnten ihre Erfahrung weitergeben. Doch auch Sportlehrer müssen angestellt werden, und 600 freie Stellen im Schulsport wird es wohl kaum geben. chh

Hannover. Als Erstes schob Edith Breitenreiter den Teewagen aus dem Kinderzimmer. „Dann haben wir alles weggeräumt, was im Weg stand“, sagt die Mutter von André Breitenreiter. Alte Jugendposter musste sie nicht abnehmen. „Die hängen schon lange nicht mehr, aber die alten Fußballfotos sind immer noch da.“ Als alles aus dem Weg geräumt war, zog André Breitenreiter wieder in jenes Zimmer, aus dem er neun Jahre zuvor mit der Hoffnung auf eine große Fußballkarriere ausgezogen war.

Es wurde vielleicht keine große Karriere, aber eine gute. 143 Mal lief der Angreifer in den Stadien der Ersten Bundesliga auf, 28 Tore erzielte er. Wenn sich der 29-Jährige an seinen ersten Treffer für den Hamburger SV erinnert, strahlt er. „Das war der absolute Höhepunkt, es war mein erstes Bundesligaspiel und das im Olympiastadion gegen den FC Bayern München“, sagt André Breitenreiter. „Ich habe Lothar Matthäus getunnelt und das 1:0 gemacht.“ Am Ende stand es 1:1. In dieser Saison schießt André Breitenreiter Tore nur noch für seinen Heimatverein SC Langenhagen in der Oberliga Niedersachsen. Unentgeltlich. „Das mache ich aus alter Verbundenheit“, sagt Breitenreiter, „ich habe keinen Vertrag.“ Seit dem 30. Juni 2001 ist er arbeitslos gemeldet.

Der ehemalige Stürmer der SpVgg Unterhaching zählt zu den etwa 200 Fußballprofis, die in dieser Saison in Deutschland arbeitslos sind (siehe Kasten). Sie sind ein Opfer der Finanzkrise, die sich durch die verminderten Fernseheinnahmen unter den 36 deutschen Bundesligaklubs breit machte und im Augenblick noch verschärft. Doch Breitenreiter sagt: „Die Hauptschuld an meiner Situation trage ich, weil ich eine schlechte Saison gespielt habe.“ Im vergangenen Jahr hatte er sich erst verletzt und war dann mit Unterhaching aus der Zweiten Liga abgestiegen. Seitdem interessiert sich kein Profiverein für ihn, der auch ihm zusagen würde. „Ich hatte Angebote aus Zypern oder Italien, aber die waren finanziell nicht in Ordnung“, sagt Breitenreiter. So kam es, dass er im August wieder in seinem Kinderzimmer landete.

Das Ende einer Karriere – könnte man meinen. Doch bei André Breitenreiter verhält es sich anders. Die Rückkehr in sein Kinderzimmer bildete nur einen neuen Anfang. Inzwischen wohnt er mit seiner Familie in einem Haus bei Hannover. Er war nach Langenhagen zurückgekehrt, um sich in der Umgebung nach einem langfristigen Wohnort umzusehen. Als er das neue Domizil gefunden hatte, kamen seine schwangere Frau und seine Tochter nach. „Ich bin null frustriert“, sagt Breitenreiter, „ich bin null deprimiert, denn ich habe eine Perspektive.“

André Breitenreiter ist ein aktiver, zielstrebiger Mensch. Seitdem ihm klar ist, dass es mit dem Fußball vielleicht nichts mehr werden könnte, arbeitet er an einer zweiten Karriere. „Ich bin immer sehr realistisch, das liegt vielleicht daran, dass mein Vater Postbeamter war“, sagt der blonde Stürmer in der unauffälligen Jeansjacke. André Breitenreiter ist ein solider Typ. „Ich bin nie bis vier Uhr um die Häuser gezogen.“ Seine Frau kennt er bereits seit der Schule.

Nun erweist es sich auch als richtig, dass er sein Abitur gemacht hat, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Karriere als Fußballprofi abzeichnete. So konnte er im Sommer auf einer Fernuniversität den Studiengang Sportmanagement belegen. Statt der Bundesliga-Tabelle widmet er sich nun der Betriebswirtschaftslehre und der Buchführung. „Eventmanagement, Vereinsmanagement, in dieser Richtung möchte ich etwas machen“, sagt Breitenreiter. Zudem will er auch den Trainerschein erwerben. Als er sich an der Fernuniversität eingeschrieben hatte, stellte er fest, dass zwei Kollegen aus Unterhaching ebenfalls dabei sind.

Man muss sich um André Breitenreiter nicht sorgen, es geht ihm gut. „Wir müssen uns finanziell nicht groß einschränken.“ Das Geld, das er verdient hat, ist gut angelegt. Trotzdem bezieht er Arbeitslosengeld. „Ich habe nichts zu verschenken“, erklärt er.

Natürlich hofft er noch immer, dass ihn ein Profiverein haben will. Jederzeit könnte er wechseln, der Fußballverband hat für Arbeitslose die Wechselfristen aufgehoben. Für diese Chance trainiert er viermal pro Woche mit den Amateuren aus Langenhagen. Er sagt aber auch: „Es besteht die Gefahr, dass ich mich diesem Niveau anpasse.“

Etwas hat sich schon verändert. Bei Fußballspielen, die im Fernsehen liefen, nahm er jene Stürmer in Schutz, die auch beste Chancen vergaben. „Das ist nicht so einfach, dabei die Nerven zu behalten“, sagte er immer zu Freunden, die sich über den Versager aufregten. Seit Breitenreiter nicht mehr in der Bundesliga spielt, hat er sich schon dabei erwischt, dass er nach einer klaren Chance sagte: „Den muss er aber reinmachen.“

Zum Arbeitsamt ist er nicht gegangen. Heiner Backhaus, bis vor seiner Entlassung in der letzten Woche noch Profifußballer beim Zweitligisten 1. FC Union, hat keine Lust auf Arbeitslosengeld. „Ich will nicht als Abzocker dastehen.“ Außerdem „kriege ich jeden Tag fünf Anrufe von interessierten Vereinen“.

So gut wie Backhaus geht es nicht allen erwerbslosen Profis. Die meisten haben kaum Chancen auf einen neuen Job. Gut 200 von 1700 deutschen Berufsfußballern haben ihre Arbeit verloren. Das sind 11,7 Prozent – eine Quote, die auch das Arbeitsamt nicht mehr ignorieren kann. Unter der Kennziffer 8383, Abteilung Künstler und Artisten, werden sie nun offiziell erfasst.

Es sind Spieler wie Dieter Baumann, René Schneider oder Matthias Breitkreutz – Spieler, die zwar bekannt sind, aber nicht die ganz großen Künstler. 435 Euro in der Woche erhalten sie, den Höchstsatz. Trotzdem melden sich längst nicht alle Kicker arbeitslos. Viele schämen sich oder hoffen wie Backhaus bis zuletzt auf einen neuen Vertrag bei einem Klub. Ihnen bleibt nur, die Hilfe der Spielergewerkschaft anzunehmen und sich auf ein neues Leben ohne Fußball vorzubereiten.

Wer sich traut, zum Arbeitsamt zu gehen, findet jedoch nur schwierig den zuständigen Vermittler. Im Arbeitsamt München weiß man immerhin von der Existenz dieses Berufsbildes, in Berlin kann man mit Profifußballern gar nichts anfangen. Wie sollen Spieler da an einen neuen Klub vermittelt werden? „Die beim Arbeitsamt sind ziemlich schwach drauf“, sagt auch Hans-Jürgen Ländle. Der frühere Fußballer hat mit seiner Firma Acon in Mannheim die bislang einzige Stelle für Fußballer in Deutschland ausschreiben lassen.

Ländle sucht einen „Profifußballer bis 30 Jahre“, den er Klubs wie Karlsruhe oder Mannheim anbieten will. Das Gehalt ist Verhandlungssache, aber „Unterbringung und Verpflegung sind voll garantiert“. 57 Bewerber gab es schon, bislang kam aber kein Vertrag zustande. Ländle: „Die Klubs wollten die Spieler nur, wenn sie vom Arbeitsamt subventioniert werden.“ chh/AG

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