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Hochstimmung. Indische Cricket-Fans bejubeln den Halbfinal-Sieg ihrer Mannschaft über Nachbar Pakistan. Im Endspiel am Sonnabend trifft das Team auf Sri Lanka.

© dpa

Indien: Tausche Niere gegen Cricket-Karte

Indien feiert den Einzug ins WM-Finale – und zeigt sich Erzfeind Pakistan gegenüber als fairer Gewinner. Erstmals seit dem Triumph vor 28 Jahren könnten die Inder am Samstag wieder Weltmeister werden.

Die Verlierer konnten am Ende ihre Tränen kaum zurückhalten. Die Sieger dagegen feierten derart euphorisch, als hätten sie einen Krieg gewonnen. In einem achtstündigen Duell hat Indien am Mittwoch den alten Erzrivalen Pakistan im Halbfinale der Cricket-Weltmeisterschaft geschlagen. Und über eine Milliarde Menschen in ganz Südasien klebten vor den Fernsehern, um das „Jahrhundertspiel“, wie es die Medien tauften, live zu verfolgen. Die ganze Nation platzt nun beinahe vor Stolz. Schon während des Spiels, das am frühen Nachmittag begann, herrschte in Indien Ausnahmezustand. Die sonst mit Fahrzeugen verstopften Straßen waren wie ausgestorben, man bekam kaum noch Taxis und viele Firmen hatten ihren Beschäftigten gleich ganz freigegeben. Selbst Delhis notorische Kriminelle und Goondas, wie man Gauner nennt, schienen vom Cricket-Fieber erfasst – die Polizei vermeldete, dass die Zahl der Verbrechen in der Spielnacht erheblich niedriger als sonst gewesen sei.

Doch erst nach dem Sieg ging es richtig los. Fast die ganze Nacht gingen auf dem Subkontinent Feuerwerk und Böller hoch. Mit den Nationalfarben bemalte Fans tanzten und feierten ausgelassen auf den Straßen, andere kurvten über Stunden hupend auf ihren Mopeds durch die Gegend. Und Indiens Zeitungen überboten sich beinahe mit Superlativen. Von einem „epischen Showdown“ schwärmte die „Mail Today“. Auf der anderen Seite der Grenze, in Pakistan, herrschte dagegen Katerstimmung und Trauer. Das von Terror, Korruption und Skandalen gebeutelte Land hätte einen Sieg für die schwer lädierte Volksseele dringend brauchen können. Er war den Pakistanern nicht vergönnt. Doch die meisten indischen Zeitungen bewiesen Sportsgeist und verzichteten auf Häme. Stattdessen attestierten sie dem Erzrivalen, sich wacker geschlagen zu haben.

Noch Stunden vor Spielbeginn hatten verzweifelte Fans versucht, Tickets für das Match in der nordindischen Stadt Mohali zu ergattern. Ein Fan soll auf Youtube im Tausch für eine Karte sogar eine seiner Nieren angeboten haben. Auch Indiens Reiche und Mächtige, die sich nur selten unters einfache Volk mischen, kamen in Scharen. Auf den Vip-Tribünen fieberten auch die mächtigste Frau des Landes, Kongresspräsidentin Sonia Gandhi, und ihr Sohn Rahul mit der indischen Mannschaft mit. Trotz aller Rivalität scheint das Spiel die beiden verfeindeten Nachbarn wieder ein Stück nähergebracht zu haben. Nach der Terrorattacke auf Mumbai im November hatte Indien die Gespräche mit Pakistan gestoppt und erst kürzlich wieder aufgenommen. Indiens Regierungschef Manmohan Singh hatte nun seinen pakistanischen Amtskollegen Gilani eingeladen, das Spiel mit ihm anzusehen. „Es geht um Frieden, um Versöhnung, es geht darum, Wunden zu heilen“, sagte die indische Außenstaatssekretärin Nirupama Rao.

Der Cricket-Rausch dürfte in Indien noch vorhalten. Nach jahrelanger Durststrecke sieht sich die aufstrebende Wirtschaftsnation nun auch sportlich wieder als „Supermacht“ („Times of India“). In Indiens TV-Sendern drehte sich am Donnerstag bereits alles um das nächste „Jahrhundertspiel“: Erstmals seit dem Triumph vor 28 Jahren könnten die Inder damit am Samstag wieder Weltmeister werden – dann spielen sie im Finale in Mumbai gegen Sri Lanka. Obgleich die Tropeninsel mit rund 20 Millionen Einwohnern zu den Zwergen in Südasien zählt, gilt Sri Lanka als schwerer Gegner. Die Sri Lanker hatten zuvor die Neuseeländer rausgekickt oder – wie es im Cricket wohl richtiger heißen muss: rausgebowlt. Ohnehin ist auffällig, dass die südasiatischen Länder die Meisterschaften diesmal beinahe unter sich ausmachen. Dabei hatten einst die britischen Kolonialherren das komplizierte Wurf- und Schlag-Spiel nach Südasien gebracht. Heute ist es dort so populär wie Fußball in Europa – und verbindet die Menschen über alle Grenzen hinweg.

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