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Erwachsene und Kinder sitzen im Berliner Zoo am Beckenrand und halten ihre Hände ins Wasser.

© Imago

Inside Out – Japan in Berlin (6): Ein Leben ohne Koi ist möglich, aber sinnlos

Rote, orangene, weiße, gefleckte Fische treiben durch das flache Wasser – und mögen es, gestreichelt zu werden. Wirklich? Eine kleine Reportage.

Ohne Pandemie wären unsere elf jungen Journalistinnen und Journalisten der Paralympics Zeitung jetzt eigentlich in Tokio. Von dieser Reise sahen wir zu diesen Spielen ab und sitzen nun in Berlin. Aber sollte es in dieser Stadt nicht auch so etwas wie Japan-Flair geben? Wir haben uns auf die Suche gemacht. Hier unsere SerieInside out – Japan in Berlin. Teil sechs: Koi Fischbecken im Zoo.

„Papa, Papa, schau mal! Die Fische darf man anfassen!“ Ein kleiner Junge, blondes Haar, rote Fließjacke, stürmt Richtung Koi-Fischbecken im Aquarium des Berliner Zoos. Er klettert auf die braunen Klinkersteine des Beckenrands und starrt ins Wasser.

„Hast du schon einen Fisch angefasst?“ Fragt er mich unvermittelt.

„Nein.“

„Weißt du wie sich ein Fisch anfühlt?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Fische nicht angefasst werden wollen.“

Stille, der kleine Junge starrt mich an, mit meiner etwas schroff geratenen Antwort hat er wohl nicht gerechnet. Er wendet sich ab. „Ja lass das mal, du hast ja auch Keime an den Händen und so“, mischt sich der Vater des Jungen kleinlaut ein.

Ohne Corona wäre der Besuch im Aquarium wohl eine andere Erfahrung geworden – mit Corona ist der Haupteingang auf der Zooseite geschlossen und der Einlass in das Aquarium ist nur von der Straßenseite aus möglich. Auf der Zooseite begrüßt eine große Steinechse die Gäste, und riesige Koi Fische dümpeln entspannt in dem großen Teich vor dem Aquarium. Doch dieser erste Eindruck bleibt den Besucherinnen und Besuchern während der Pandemie verborgen. Stattdessen geht es einige Stufen hinauf bis ins Erdgeschoss, wo so mancher nicht von bunten Fischen, sondern schreienden Kindern begrüßt wird. Es ist voll. Es ist laut. Und es ist aufgeregt. Mittendrin: Die Koi Fische.

Kinder rufen nach den Fischen – und die Eltern nach den Kinder

Ihr kleines Becken liegt direkt gegenüber der Herrentoilette. Wie in einer Schwimmhalle prallt jedes gesprochene Wort von den Wänden ab, Kinder rufen nach den Fischen – und die Eltern nach den Kindern. Immer unterlegt mit dem Plätschern des künstlichen Wasserfalls am Koi-Becken und dem wilden Aufheulen des Handtrockners auf der Männertoilette. Erwachsene und Kinder sitzen am Beckenrand und halten ihre Hände ins Wasser, ein Mädchen lehnt sich mit dem ganzen Oberkörper über den Rand und versucht einen Fisch zu fassen. Und die Kois? Die wirken überraschend entspannt. Oder sollte man eher lethargisch sagen? Rote, orangene, weiße, gefleckte Fische treiben durch das flache Wasser, unbeeindruckt von den Händen, die durch die Wasseroberfläche brechen.

Ich treffe mich mit dem Revierleiter des Aquariums, Marco Hasselmann. Gemeinsam gehen wir durch den abgesperrten Haupteingang, und mit der Tür, die hinter uns ins Schloss fällt, lassen wir auch die Hektik hinter uns. Draußen ist es ruhig, angenehm warm und nur ein paar Besucher laufen durch diesen Teil des Zoos. Von einer großen Steinbrücke aus blicken wir auf den eigentlichen Koi-Teich herunter. Liebevoll eingebettet in einen Japanischen Garten haben die teils riesigen Fische viel Platz zum Schwimmen.

„Koi Fische haben Charakter“, erzählt Hasselmann. „Manche sind scheu, manche sind mutig, andere zutraulich“, schwärmt der Koi-Liebhaber. Vor gut 30 Jahren ist Hasselmann auf den Fisch gekommen, seitdem zählen die Karpfen zu seinen absoluten Lieblingen. Das merkt man auch, an der Art und Weise wie er über „seine“ Anlage und Tiere spricht: „Das hier drüben ist unser Schilfbettfilter“, erzählt er. „Wir pumpen das Wasser aus dem einen Ende des Teichs hoch ins Schilf und dadurch läuft es dann wieder runter in den Teich. Das reinigt das Wasser besser als andere Filter.“ Auch bei dem Japanischen Garten rund um den Teich hat er sich dafür eingesetzt, dass dieser so authentisch wie möglich ist: Im Mittelpunkt steht ein Bonsai-Baum, der eigens für den Zoo von Japan nach Deutschland gebracht wurde. Wie viel das Kunstwerk gekostet hat, will er nicht verraten: „Es war eine Zahl mit drei Nullen, und es war keine Eins oder Zwei vorne.“

Kois sind gesellige Tiere

Mindestens einmal am Tag versucht Hasselmann bei den Kois vorbeizuschauen, schafft er es doch einmal nicht, hat er als kleinen Trost eine Koi-Fischstatur im Büro: „Egal wohin ich gehe, ich bin nie ohne Koi“, sagt er scherzhaft. Auch privat interessiert sich der Revierleiter für die japanische Kultur. Japan ist ganz oben auf seiner Liste an Ländern, die er gerne einmal bereisen möchte, seinen Balkon hat er ganz im Stil eines Japanischen Gartens eingerichtet. Bei so viel Liebe für den Karpfen stellt sich die Frage, was der Experte von der Haltungsform im Aquarium hält. „Den Fischen macht das nichts aus. Ganz im Gegenteil, sie mögen es, gestreichelt zu werden oder sie kommen und nuckeln an den Fingern. Wenn es ihnen zu trubelig wird, haben sie auch immer die Möglichkeit, weg zu schwimmen, das ist ganz wichtig.“ Kois seien gesellige Tiere, erzählt Hasselmann weiter: So würden die Fische im Außenteich sofort erkennen, wenn ein neuer Fisch aus dem Innenbereich dazu gesetzt wird. „Sie kommen dann und beschnuppern sich“, erzählt der Koi-Fan.

Ungefähr nach drei Jahren im Innenbecken dürfen die Kois raus in das große Gewässer. Sie müssen eine gewisse Größe erreicht haben, um nicht gefahrzulaufen, vom Reiher aus dem Wasser geholt zu werden. Regelmäßig wird die Wasserqualität überprüft, und auch die Futterzusammensetzung ist auf die Kois abgestimmt. Es gibt pflanzliche Bestandteile sowie Obst und Gemüse, aber auch Garnelen, die besonders die orangene Farbe der Kois zum Leuchten bringen sollen. Zum Winter hin wird dann „leichte Kost“ gefüttert, die den Fischen, wenn sie in die Winterruhe gehen, nicht so schwer im Magen liegt. „Wegen der Winterruhe ist es auch wichtig, dass so ein Koi-Teich eine gewisse Tiefe hat. Unser Teich ist ungefähr 1,20 Meter tief, damit er, wenn es kalt wird, nicht bis zum Boden durchfriert“, erklärt Hasselmann.

Für Privatpersonen sind Kois ein teures Hobby: „Kois gelten bis heute als Statussymbol, vor allem besondere Farbgebungen sind begehrt. Je älter und größer der Karpfen, desto teurer“, erklärt Hasselmann. So kommt es vor, dass ein Fisch mehrere tausend Euro kosten kann. Umso erstaunlicher, dass noch kein Karpfen aus dem Zoo gestohlen worden ist. „Es ist aber schon vorgekommen, dass plötzlich ein unbekannter Fisch im Teich schwimmt, weil die Leute ihre Kois bei uns aussetzen“, meint Hasselmann. Was im ersten Moment vielleicht amüsant klingt, kann durchaus zum Problem werden. Fremde Kois können Krankheiten einschleppen, besonders gefährlich: Das Koi-Herpesvirus, das einen ganzen Bestand ausrotten kann.

Deshalb werden neu angeschaffte Karpfen unter den wachsamen Augen von Marco Hasselmann normalerweise zuerst in Quarantäne geschickt, bevor sie zu den anderen ins Wasser dürfen. Eigene Kois hat der passionierte Fisch-Freund übrigens nicht, trotzdem folgt er seinem Motto „wie auch Loriot sagte: Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos, so ist auch das Leben ohne Koi möglich, aber sinnlos“.

Teil eins: Kalligrafiekurs; Teil zwei: Katzencafé; Teil drei: Zen-Meditation; Teil vier: Mori-Ôgai-Gedenkstätte; Teil fünf: Karaokebar. Alle Texte sind Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Eine Übersicht finden Sie in unserer Digitalen Serie.

Elena Deutscher

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