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Locker im Ziel. Caster Semenya ist Olympiasiegerin und Weltmeisterin.

© Jewel Samad/AFP

Intersexualität in der Leichtathletik: Caster Semenya klagt gegen den Weltverband

Intersexualität im Sport hat eine lange Geschichte. Nun plant der Leichtathletikweltverband eine neue Regel. Dagegen klagt die Südafrikanerin Caster Semenya.

In wenigen Tagen entscheidet der Internationale Sportgerichtshof Cas im Fall der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya. Die 28-Jährige klagt gegen eine geplante Regel des Leichtathletikweltverbandes IAAF, nach der das Startrecht von Frauen an einen bestimmten Testosterongehalt im Blut (5 Nanomol pro Liter) geknüpft werden soll. Semenya gilt als intersexuell veranlagt, die mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin sagt aber, sie sei eine Frau.

Der professionelle Sport ist mit dem Thema Intersexualität bislang heillos überfordert. Dabei hat Intersexualität eine lange Geschichte, gerade in der Leichtathletik. Bis 1966 gab es vor allem unbestätigte Gerüchte um Leichtathletinnen, denen unterstellt worden war, von männlicher Natur zu sein. Besonders viele osteuropäische Athletinnen wurden verdächtigt wie zum Beispiel die rumänische Hochspringerin Iolanda Balsa oder die beiden russischen Kugelstoßerinnen Tamara und Irina Press, die alle in den 1960er Jahren große Erfolge feierten. Die Verdachtsfälle bestätigten sich zumindest insofern, als alle genannten Athletinnen mit der Einführung von Geschlechtstests 1966 ihre Karrieren beendeten.

In Deutschland war das Thema Intersexualität in der Leichtathletik schon rund 30 Jahre zuvor ein (von Verbänden und der Öffentlichkeit totgeschwiegenes) Thema: Der Hochspringer Heinrich Ratjen war 1918 als Dora Ratjen geboren worden, da die Geschlechtsorgane des Babys laut des Vaters nicht eindeutig zugeordnet werden konnten. 1938 sprang Dora Ratjen bei den Europameisterschaften in Wien Weltrekord. Noch im selben Jahr wurde Dora Ratjen das Startrecht entzogen. Ratjen ist in der Geschichte der deutschen Leichtathletik auch deswegen ein bekannter Name, weil er 1936 die Jüdin Gretel Bergmann aus dem Olympiateam verdrängte.

Zusammengefasst lässt sich der Umgang der Leichtathletik mit Intersexuellen wie folgt beschreiben: Über viele Jahre wurde das Thema Intersexualität tabuisiert. Spätestens ab den 1960er Jahren begann eine Art Hetzjagd gegen Intersexuelle oder Frauen mit maskulinen Zügen. Sie spiegelte sich wider in Geschlechtstests Mitte der 1960er Jahre, bei denen die Frauen sich ausziehen mussten und abgetastet wurden, ehe später weniger aufdringliche Methoden angewandt wurden.

Das Thema Intersexualität lässt die Leichtathletik bis heute nicht los. Der bekannteste Fall ist Caster Semenya, die überragende Läuferin auf der Mittelstrecke. Semenya musste bereits mit künstlich gesenktem Testosteronwert starten, ehe der Verband sie ab 2015 wieder mit naturgegebenen Hormonhaushalt für die Wettkämpfe zuließ. Nun also die neuerliche Wendung des Leichtathletikweltverbandes, der einen Testosteron-Grenzwert einführen will.

Mediziner plädiert für Testosteronspiegel als Kriterium

Fragt man Mediziner wie den Berliner Endokrinologen Sven Diederich, sollten Intersexuelle mit entsprechendem Testosteronwert nicht bei Frauen-Wettbewerben starten dürfen. Diederich ist der Ansicht, dass ein deutlich erhöhter Testosteronspiegel eine Trennlinie sein sollte. „Damit geht ein erheblicher Wettbewerbsvorteil einher, sowohl was die Muskelmasse als auch den Hämoglobinwert betrifft“, sagt er. „Nicht die Chromosomen machen den Leistungsunterschied, sondern das Testosteron.“

Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die darauf verweisen, dass körperlich unterschiedliche Voraussetzungen im Sport gang und gäbe sind und ein Wettbewerb etwa im Hochsprung auch nicht nach der Größe der Athletinnen und Athleten kategorisiert wird.

Das größte Argument für ein Startrecht von Intersexuellen ohne künstlich gesenkten Testosteronwert ist aber moralischer Natur. Selbst die Vereinten Nationen beschlossen zu dem Thema vor wenigen Wochen eine einstimmige Resolution, nach der der Leichtathletikweltverband mit seinen Plänen möglicherweise gegen internationale Menschenrechtsnormen und -standards verstoße.

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