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© dpa

Interview: Bernie Ecclestone: „Geld ist die wahre Weltreligion“

Formel-1-Chef Bernie Ecclestone erzählt im Interview, warum er Michael Schumacher mag, keine Freunde braucht, was ihn antreibt – und was er wirklich von Hitler hält.

Bernie Ecclestone steht reglos da, wie ein Imperator. Sein Gesicht ist der riesigen Bildschirmwand zugewandt, die sein Büro begrenzt, das aussieht wie die Kommandobrücke der Enterprise. Hier, im Bauch eines matt glänzenden Lkw-Anhängers, in der Schaltzentrale der Formel 1, laufen alle Drähte der Grand-Prix-Szene zusammen. Wie bei jedem Rennen steht er auch beim Großen Preis von Ungarn am Eingang des Fahrerlagers. Von draußen dringt der Lärm der rasenden Autos ein, so gut abgedämpft, dass er kaum vernehmbar ist. Der 79-Jährige Ecclestone blickt ruhig auf die flackernde Wand und sieht seinen Jungs beim Fahren im Kreis zu, wie er das seit fast 40 Jahren tut. Er ahnt nicht, dass sich in wenigen Minuten dramatische Ereignisse abspielen, die schließlich in das Comeback von Michael Schumacher münden werden. Dann dreht sich der Herrscher der Formel 1 um: „Sorry, jetzt kann’s losgehen.“

Mister Ecclestone, sind Sie der Herrscher oder der Diener der Formel 1?

Diese Frage verstehe ich nicht.

Besitzen Sie die Formel 1 oder besitzt die Formel 1 Sie?

Es ist wie mit allem, womit man sich ausgiebig beschäftigt. Es konsumiert sehr viel Zeit. Ich habe die Formel 1 zu dem aufgebaut, was sie ist. Am Ende denken die Leute, die etwas aufgebaut haben, vermutlich immer, dass niemand anders es so gut machen könnte wie sie selbst.

Könnten Sie ohne Formel 1 leben?

Klar, natürlich. Locker.

Würden Sie nichts vermissen?

Na ja, wenn man aus dem Gefängnis kommt, vermisst man es irgendwie auch.

Betrachten Sie die Formel 1 als Ihr persönliches Gefängnis?

Überhaupt nicht. Wenn ich das hier nicht tun würde, würde ich etwas anderes machen. Mit der gleichen Intensität.

Beim Rennen auf dem Nürburgring war nicht die übliche Menschentraube um Sie herum. Sie waren allein.

Ich habe versucht, mich von zu viel Kontakt und Dingen wie Nonsens-Interviews fernzuhalten.

Sie hatten schon mal bessere Zeiten. Die Zukunft Ihrer Rennserie war lange unsicher, darüber ist Ihre Ehe zerbrochen, dazu das Interview mit den Aufsehen erregenden Hitler-Zitaten. Haben Sie Freunde, mit denen Sie über so etwas reden können?

Nicht wirklich. Ich möchte andere Leute nicht mit meinen Problemen belästigen. Die haben sie wahrscheinlich ohnehin nicht verstanden. Oder sie wollen es nicht.

In dieser Situation braucht man doch einen Freund, der mit einem ein Bier trinkt.

Ich mache das alles mit mir selbst aus.

Sie brauchen keine Freunde?

Das kommt darauf an, was Ihre Definition von einem Freund ist. Wenn man jemanden braucht, ist es kein Freund.

Ein Freund ist jemand, zu dem man auch in den schlimmsten Momenten kommen kann und der einen dann nicht rauswirft.

Ich war nie in einer solchen Situation.

Sie sind einer der mächtigsten und reichsten Männer der Welt. Erlauben Sie sich denn nie, schwach zu sein?

Nein, nicht wirklich. Ich denke nicht in Kategorien wie Macht oder Stärke. Ich bin wie jeder andere, und mein Job ist wie jeder normale Job in einer Fabrik.

Aber Sie werden doch anders behandelt als ein normaler Fabrikarbeiter.

Was mir widerfährt, kann jedem widerfahren. Die Leute unterstützen dich so lange, wie es ihnen nützt.

Sie kennen nur Leute, die von Ihnen profitieren wollen? Das klingt merkantilistisch.

Solange Leute profitieren, sind sie glücklich. Ich selbst suche nach gar nichts.

Angenommen, jemand kommt zu Ihnen, den Sie noch nie gesehen haben: Glauben Sie, dass er etwas anderes von Ihnen wollen könnte als Ihr Geld oder Ihre Macht? Zum Beispiel ein gutes Gespräch?

Sie reden mit mir, weil Sie Journalist sind und eine Geschichte verkaufen wollen.

Vielleicht auch, weil Sie interessant sind.

Vielleicht. Ich sage nur: Menschen haben generell Bedürfnisse, egal welcher Art.

Also müssten Sie die Menschen eigentlich generell zunächst nach ihren Motiven überprüfen und sie…

… nicht nah an mich heranlassen? Ich vertraue Menschen generell, bis ich herausfinde, dass ich ihnen nicht trauen kann. Dann ziehe ich mich zurück.

Sie sagen, Ihr größter Fehler war es, Ihren langjährigen Weggefährten Max Mosley im Stich zu lassen und nach dem Skandal um sein Sexvideo seinen Rücktritt als Präsident des Automobil-Weltverbands Fia zu fordern, weil Ihnen jemanden gesagt habe, er müsse nun zurücktreten.

Ja. Viele Leute haben mir das gesagt.

Kann dieser Bruch repariert werden?

Ich habe ihn nicht im Stich gelassen. Ich habe das gesagt, weil ich dachte, ich müsste das sagen. Trotzdem haben Max und ich eine Beziehung, die eine schrecklich lange Zeit zurückreicht. Wir haben das geklärt, wir sind „good friends“. Ich kann Max vertrauen und er mir.

Aha, ein Freund. Hat er Ihnen vielleicht mit gutem Rat zur Seite gestanden, als sich Ihre Frau von Ihnen scheiden ließ?

Wir sprechen nicht über solche Dinge.

Sie können fast alles in der Welt haben, doch als Ihre Frau Sie verließ, waren Sie machtlos. Hat sie Sie gewarnt: Entweder die Formel 1 oder ich?

Nein, nein. Es reicht zurück in die Zeit, als die Kinder groß wurden und Partner hatten. Sie hatte sich immer als Supermutter gefühlt und die Kinder umsorgt, und plötzlich war da niemand mehr im Haus. Sie ist erst 50 und gut aussehend. (klatscht die Hände zusammen und zuckt mit den Schultern) Warum nicht?

Sie hatten nicht die Wahl zwischen der Formel 1 und einer gut aussehenden Frau?

Nein. Sie wollte mich verlassen.

Es hieß, Sie hätten zu viel gearbeitet.

Menschen finden immer Gründe, oder?

Möchten Sie sich selbst oder irgend jemandem etwas beweisen?

Nein. Ich will beschäftigt sein, einfach weitermachen.

Aber Sie könnten unzählige Trauminseln kaufen und sich in der Sonne entspannen.

Nein, das ist keine Entspannung, das ist eine Bestrafung. Zumindest für mich.

Hält Sie das am Laufen? Sie sehen nicht aus, als wären Sie fast 79.

Ich bin vermutlich eigensinnig, weil ich genieße, was ich tue. Darum tue ich es.

Wollen Sie geliebt oder gefürchtet werden?

Ich möchte von niemandem gefürchtet werden, weil ich Menschen nicht verängstigen will.

Und geliebt?

Ich habe nichts dagegen. Wichtig für jeden, für mich, für Sie, ist es, respektiert zu werden.

Dürfen Leute Sie kritisieren?

Vermutlich Millionen Menschen.

Aber hören Sie auch auf sie?

Ja, das tue ich, wenn es Sinn macht. Und wenn sie wissen, worüber sie sprechen. Nicht, wenn mich Leute kritisieren, die keine Ahnung haben.

Mächtige Leute umgeben sich häufig mit Menschen, die ihnen bestätigen, wie brillant sie sind.

Ich denke nicht, dass ich das tue. Ich hoffe, die Leute behandeln mich so, wie sie es für richtig halten. (dreht sich um zu seiner Assistentin) Enrica, haben Sie Angst vor mir?

ENRICA: Am Anfang schon. Aber jetzt nicht mehr.

Hat sich denn niemand getraut, Sie davor zu warnen, Ihre Zitate über Hitler in der „Times“ zu veröffentlichen?

Zeitungen lieben es, Leute in den Himmel zu heben und sie dann hinunter zu stoßen. Da waren diese beiden Damen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Und ich sagte, Demokratien, wie wir sie kennen, sind nicht mehr angebracht, weil sich die Welt so schnell verändert, dass die Entscheidungen schneller getroffen werden müssten als vor 20 oder 30 Jahren. Deswegen ist es schwierig, wenn sich zwei Parteien ständig bekämpfen, anstatt sich auf eine Lösung zu einigen. Und ich sagte: Was man braucht, ist ein guter Anführer. Dann fragten die mich: Sie meinen einen wie Hitler? Und so fing es an.

Und wie ging es weiter?

Ich sagte, in den frühen 1930ern habe er auch etwas Gutes für Deutschland getan, was er mit einem Parlament nicht hätte tun können, das die ganze Zeit Fragen stellt. Dann hätten wir vielleicht ein großes Russland bekommen und Deutschland, wie es heute existiert, gäbe es vielleicht nicht mehr. Mit seinen Handlungen bin ich natürlich absolut nicht einverstanden, kein Mensch auf der Welt ist das.

Übrig blieb ein Loblied auf Hitler, Saddam und Diktaturen. Haben Sie die Zitate danach nicht mehr überprüft?

Nein.

Sie fühlen sich betrogen?

Ich bin enttäuscht. Egal, das ist bittere Vergangenheit.

Haben Sie sich entschuldigt, weil jemand Ihnen dazu geraten hat oder um Ihre Macht zu erhalten?

Ich habe mich entschuldigt, weil es Menschen angegriffen hat. Ich habe niemals beabsichtigt, Menschen zu verletzen. Im Gegenteil. Ich habe nur eine Meinung geäußert, die ich immer noch habe. Eine Meinung zu dem Thema, ob Demokratien besser sind als ein guter Anführer.

Sie sagten in Ihrer Entschuldigung, Sie seien kein Rassist und hätten jede Menge jüdische Freunde.

Die Leute können die Hautfarbe oder Religion haben, die sie möchten. Ich bin auch überhaupt nicht religiös. Wenn mir jemand sagt, er sei jüdisch oder muslimisch oder was auch immer, frage ich: Warum? Und sie wissen nie, warum. Sie werden in eine jüdische oder muslimische Familie geboren und folgen einfach nur. Sie wissen es einfach nicht.

Und woran glauben Sie?

Ich? An nichts.

An nichts?

Ich brauche keine Religion. Jeder Krieg, der derzeit tobt, dreht sich um Religion.

Nicht einmal an Liebe? Oder an die Sonne?

Ich denke, die Natur ist einfach wundervoll. Wie wir einfach so geboren werden.

Also glauben Sie an die Natur?

Ich akzeptiere, dass wir so sind und dass die Welt so ist. Alle Tiere und Menschen kämpfen um Essen oder materielle Dinge. Wenn Sie so wollen, ist das Geld die wahre Weltreligion. Es ist so simpel, ob nun mit mir oder ohne mich.

Wissen Sie, wie viel Geld Sie besitzen?

Nein. Aber jedenfalls nicht mehr so viel wie früher.

Wegen der Krise?

Wegen meiner Scheidung (lacht).

Tut Ihnen das weh?

Überhaupt nicht. Die Scheidung hat 50 Sekunden gedauert. (lacht) Aber ich muss mir keine Sorgen machen.

Warum quetschen Sie trotzdem jeden Penny aus jedem, der Ihnen begegnet?

Weil es mein Beruf ist. Wenn Sie sagen, Sie haben einen Job für mich, dann mache ich ihn, so gut ich kann.

Finden Sie nicht, dass Sie auch einmal etwas zurückgeben sollten?

Ich gebe viel zurück, an Orten, an denen es gebraucht wird. Aber ich spreche nicht darüber.

Bald wird es wegen Ihrem Beruf vielleicht kein Rennen mehr in Deutschland geben. Der Hockenheimring sagt, er kann sich Ihre Preise nicht mehr leisten.

Wir werden sehen, was sich machen lässt.

Schließlich wäre es auch dumm, kein Rennen in der Heimat des Weltmeisters zu haben, wenn Sebastian Vettel den Titel holt.

Vettel ist ein Supertyp, sehr witzig. Ich bin sein größter Unterstützer.

Werden Sie Vettel zu Ferrari lotsen?

Nein, noch nicht. Da, wo er jetzt ist, hat er ein gutes Auto und er macht einen guten Job. Warum sollte er wechseln? (schaut auf den Bildschirm) Mein Gott, Alonso ist vorne! Das ist wirklich gut.

Warum ist das gut?

Unterschiedliche Typen. Es ist gut, nicht zu wissen, wer auf die Poleposition fährt. Als Schuey noch hier war, wusste man: Schuey fährt auf die Pole, Schuey gewinnt das Rennen (lacht).

Waren Sie deswegen froh, als Michael Schumacher zurücktrat?

Nein, ich mochte ihn. Ich wünschte, er würde zurückkommen.

Dann steht Ecclestone auf, wichtige Dinge harren ihrer Erledigung. Er ahnt nicht, dass sein Wunsch in Kürze in Erfüllung geht. Zwei Minuten später rast Ferrari-Pilot Felipe Massa im Abschlusstraining des Großen Preises von Ungarn in die Streckenbegrenzung, später wird Ferrari bekannt geben, dass Schumacher ihn beim nächsten Rennen in Valencia ersetzen wird. „Ich mag Michael, nicht nur als Freund, und ich bin erfreut, dass er zurückkehrt“, teilt Ecclestone dem Tagesspiegel daraufhin mit. Mehr dringt nicht aus der Schaltzentrale der Formel 1. Mister Ecclestone, heißt es, sei einfach zu beschäftigt, um zu sprechen.

– Das Gespräch führte Christian Hönicke.

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