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Magath

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Interview Felix Magath: „Ich will den Fußball verteidigen“

Wolfsburgs Trainer Felix Magath über sein Verhältnis zur Macht, das Missverhältnis von Sport und Marketing – und Jürgen Klinsmann

Herr Magath, wo haben Sie denn Diego Benaglio hergezaubert?

Das hat nichts mit Zauberei zu tun. Ich kenne Diego schon, seitdem ich ihn 2002 aus Zürich nach Stuttgart geholt habe. Ich wusste, dass er ein guter Torwart ist.

Gleich in einem ersten Spiel im Pokal gegen Schalke war er der Matchwinner. Dabei hatte ganz Deutschland im Winter erwartet, Sie würden Jens Lehmann als Nummer eins zum VfL Wolfsburg holen.

Es gab nie Verhandlungen mit Jens Lehmann. Er ist 38 Jahre alt, Benaglio 24. Er ist damals in Stuttgart nicht an Timo Hildebrand vorbei gekommen und deswegen nach Madeira in die erste portugiesische Liga gegangen, um Spielpraxis zu erhalten. Das Geld war ihm völlig egal. Das sind Leute, mit denen ich arbeiten will.

Eine strategische Entscheidung des Sportdirektors Magath, von der der Trainer Magath profitiert.

Richtig.

Berti Vogts hat vor kurzem gesagt, Jürgen Klinsmann würde in Deutschland den Teammanager nach englischem Vorbild einführen. Vielleicht hat er dabei übersehen, dass Sie diesen Job in Wolfsburg schon ein halbes Jahr lang machen. Was kann die Bundesliga von Ihnen lernen?

Ich bin nicht dazu da, die Bundesliga etwas zu lehren. Ich bin dazu da, mit dem VfL Wolfsburg gemeinsame Ziele zu erreichen: die Bundesligaspitze und das internationale Geschäft.

Aber Sie hätten als Trainer in München schon gern die Kompetenzen gehabt, mit der die Bayern Klinsmann jetzt ausstatten.

Diese Frage stellt sich nicht. Ich wusste, worauf ich mich beim FC Bayern einlasse. Und ich wusste rechtzeitig, wann es zu Ende gehen würde.

Wie bitte?

Natürlich. Wenn Sie im ersten Jahr Meister und Pokalsieger werden, im zweiten mit neun Punkten Vorsprung auf Platz eins liegen und im Pokal-Halbfinale gegen St. Pauli spielen – wenn Sie trotz der komfortablen Situation ständig kritisiert werden, wissen Sie, was kommen wird.

Zu Klinsmann hatten Sie zu Ihrer Münchner Zeit nicht das beste Verhältnis.

Ich bleibe dabei, dass der Erfolg der Nationalmannschaft bei der WM 2006 vor allem auf die Arbeit der Klubtrainer zurückzuführen ist.

Wenn sich also Klinsmann damals auf Kosten der Bundesliga profiliert hat ...

... das haben Sie gesagt ...

… dann werden Sie jetzt sicher neugierig sein, wie er sich im Alltagsgeschäft schlägt.

Natürlich, aber das sind wir doch alle. Noch mal, ich hege keine schlechten Gefühle gegen die Bayern, da ist alles im Lot. Und die Bayern haben nun mal als Marktführer einen besonderen Einfluss, deswegen guckt man da immer besonders genau hin.

Wie gestaltet sich zurzeit Ihr Kontakt zu Jürgen Klinsmann?

Zurzeit gibt es keinen Kontakt.

Klinsmann wird ähnlich wie Sie mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattet, aber er dürfte seinen Job ganz anders angehen als Sie. Oder werden wir bei Ihnen in Zukunft ein Heer von Fitness-, Assistenz- und Motivationstrainern sehen?

Ganz bestimmt nicht. Er hat seinen Stil, ich habe meinen. Ich mache diesen Job ja nicht seit ein, zwei Jahren. Bei mir wird es auch keine Laktattests geben. Das mag bei Ausdauersportarten sinnvoll sein. Im Fußball gibt es andere Methoden, und meinen Mannschaften hat keiner mangelnde Fitness nachgesagt. Wenn ein Spieler privat seine Laktatwerte überprüfen will, kann er das gern tun. So lange er dafür keine Trainingseinheit versäumt.

Sie mögen in der Trainingsarbeit ein Traditionalist sein. Aber dass der Trend zu starken Persönlichkeiten in der sportlichen Führung geht, das gefällt Ihnen sicherlich schon, oder?

Ich habe immer betont, dass man nicht gut daran tut, die sportlich Verantwortlichen schwächer zu machen. Es kann auch aus meiner Sicht nicht zu besseren Leistungen führen, wenn man Marketing-Maßnahmen übers Sportliche stellt.

Ist die Zeit reif für einen Paradigmenwechsel? Rückt der Fußball wieder stärker in den Vordergrund?

Dazu muss es kommen. Ich habe ja die Entwicklung des deutschen Fußballs seit Mitte der Siebzigerjahre mitbekommen. Als Spieler, als Manager, als Trainer. Alles hat damit angefangen, dass zu Beginn der Achtziger das Wort Marketing Einzug gehalten und immer größere Bedeutung gewonnen hat. Aber irgendwann geht auch diese Tendenz zu Ende, und man muss sich damit auseinandersetzen, dass es in erster Linie um Fußball geht.

Sie sind nach Ihrer aktiven Karriere auch nicht auf dem Trainingsplatz geblieben.

Ich habe beim HSV als Manager gearbeitet, aber wissen Sie, was genau ich getan habe? Als ich 1984 als Spieler meinen Anschlussvertrag unterschrieb, da hatte der Verein schon einen hauptamtlichen Marketingmann eingestellt. Ich hatte also mit dieser ganzen Sache nichts zu tun. Meine Position war von Anfang an die eines Sportlichen Leiters, anders habe ich mich nie gesehen. Ich sollte beim HSV eine erfolgreiche neue Mannschaft aufbauen.

Das ist Ihnen nicht so gut gelungen.

Ich war damals nicht so weise vorauszusehen, dass der Verein bei meinem Amtsantritt 1986 tiefrote Zahlen schreiben würde. Ich konnte keine neuen Leute mit Perspektive kaufen, ich musste bewährte Spieler verkaufen.

Sie haben später mal daran gedacht, den Fußball zu verlassen. Sehen Sie sich heute als Mittler, der das Kerngeschäft Fußball mit der Moderne in Einklang bringt?

Bevor ich zu heldenhaft dastehe: Auch ich profitiere davon, dass mittlerweile in diesem Geschäft mehr Geld verdient wird als zu meinen aktiven Zeiten. Aber ich bin auch ein bisschen Träumer, Idealist. Ich bin dem Fußball dankbar, denn ich weiß, dass meine persönliche Entwicklung ohne diesen Sport ganz anders verlaufen wäre und ich nie ein so schönes Leben gelebt hätte. Genau deswegen versuche ich den Fußball zu verteidigen, gerade in diesen Zeiten, in denen das Geld immer mehr in den Vordergrund drängt.

Sie haben schon zu Münchner Zeiten gesagt, Sie würden gern mal in England arbeiten. Warum?

Die Vereine in England sind nicht so rundum vermarktet wie in der Bundesliga. Die Spieler werden nicht dazu gedrängt, so viel in der Öffentlichkeit zu machen. Fragen Sie mal Michael Ballack. Der braucht in Chelsea nur 20 Prozent der Zeit für die Medien, die er früher beim FC Bayern brauchte. Und Chelsea ist wahrlich kein kleiner Klub. In England steht der Sport noch im Mittelpunkt. Das ist der Grund, warum ich gern mal in England gearbeitet hätte.

Auch weil dem sportlich Verantwortlichen mehr Respekt entgegen gebracht wird?

Das eine ist die logische Konsequenz des anderen.

Welchen Respekt genießen Sie denn beim VfL Wolfsburg?

Das ist ein weites Feld, das die gesamte Gesellschaft betrifft. In Deutschland ist es so: Jeder, der Verantwortung übernimmt, wird kritisch beäugt. Je mehr Verantwortung er trägt, desto kritischer und misstrauischer wird er beobachtet. Da können Sie sich vorstellen, wie meine Arbeit in Wolfsburg von manchen verfolgt wird. Es ist erstaunlich, welche Machtfülle mir nachsagt wird. Letztlich habe ich keine andere Position als Hans Meyer in Nürnberg oder früher Volker Finke in Freiburg. Mein Job heißt nur anders.

Würden Sie den Begriff Macht lieber durch den Begriff Kompetenz ersetzen?

Das wäre mir sehr viel lieber. Schon deswegen, weil ich mit Macht gar nichts anfangen kann. Das ist ein ganz großes Problem von mir. Wenn ich die Gabe hätte, Macht zu sichern und auszunutzen, würde ich damit ganz anders umgehen.

Hätten Sie gern diese Gabe?

Nein. Ich bin zufrieden mit mir.

Wachen Sie morgens mit den Gedanken eines Trainers oder eines Managers auf?

Schwer zu sagen. Das kommt auf den Zeitpunkt an. Vor einem wichtigen Spiel wie zuletzt am Mittwoch im Pokal wache ich als Trainer auf. An einem anderen Tag aber, wenn die Verpflichtung eines Spielers ansteht, da denke ich nach dem Aufstehen natürlich sofort daran, was ich heute als Manager zu erledigen habe.

Wann fühlen Sie sich wohler?

Ich bin Trainer. Ich bin lieber auf dem Trainingsplatz als im Büro. Ich muss die gesamte Büroarbeit nicht haben. Ich habe von vornherein mit dem Verein eine Absprache getroffen: Nach Ablauf meines Vertrages kann ich alleine entscheiden, ob ich als Trainer oder als Sportdirektor weitermache. Diese Doppelfunktion werde ich nicht bis in alle Ewigkeit ausfüllen.

Derzeit tendieren Sie ...

... eindeutig dazu, Trainer zu sein.

Dabei wollte der VfL Sie ursprünglich nur als Sportdirektor verpflichten.

So sah das Angebot aus, als der Verein mich im Urlaub in Puerto Rico erreichte. Auf dem Flug zurück nach Deutschland hatte ich dann Zeit, darüber nachzudenken, wen ich denn gern als Trainer hätte. Und dabei bin ich mir selbst eingefallen.

Das ist aus Sicht des Sportdirektors Magath eine nachvollziehbare Entscheidung. Kommen Ihnen umgekehrt auch gute Managergedanken, wenn Sie als Trainer auf dem Rasen stehen?

Wenn ich auf dem Rasen stehe, bin ich ausschließlich Trainer. Aber kann man das von der Position des Sportdirektors trennen? Auch als Sportdirektor muss ich die Mannschaft jeden Tag im Training verfolgen. Ich muss wissen: Wo stehen die Spieler leistungsmäßig? Was hat sich verändert? Wo muss ich eingreifen?

Oft unterliegt ein Sportdirektor anderen Zwängen als ein Trainer. Wie hört es sich an, wenn die beiden Persönlichkeiten in Ihnen Zwiesprache miteinander halten?

Die sind nicht immer einer Meinung, aber das ist kein Problem. Ich habe gelernt, mich selbst zu überwinden. Ich kann auch gegen mich entscheiden.

Wann haben Sie sich denn zuletzt selbst überstimmt?

Das passiert laufend und ist durch die grundsätzliche Philosophie vorgegeben. Ich muss hier nicht den kurzfristigen Erfolg haben und Spieler verpflichten, die mir kurzfristig den besten Platz garantieren. Ich kann als Sportdirektor die Leute kaufen, die ich als Trainer erst noch entwickeln muss, die mir vielleicht erst in drei Jahren den Erfolg bringen. Deshalb kam es zu der Entscheidung, Diego Benaglio zu holen und nicht Jens Lehmann.

Und in Wolfsburg gibt es keine Gurus, die alles besser wissen. Keine Beckenbauers, Breitners, Rummenigges ...

Ach, die gibt es hier auch, man kennt sie nur nicht überall. Wolfsburg hat Fußballtradition, aber es ist mehr eine lokale Tradition. Die Leute, die hier früher gespielt haben oder dem Klub verbunden sind – von denen hat fast keiner mal woanders gearbeitet. Ich habe als Spieler an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen, aber auch auf Dörfern in den tiefsten Klassen gespielt. Ich war Manager in Erster und Zweiter Liga. Und als Trainer habe ich nicht beim FC Bayern angefangen, sondern in der Verbandsliga beim FC Bremerhaven. Ich habe alles mitgemacht.

Gibt es Leute, von denen Sie sich etwas sagen lassen?

Oh, eine heikle Frage. Natürlich gibt es diese Leute. Aber fast alle stehen außerhalb des Fußballs und haben deswegen einen anderen Blickwinkel. Das tut gut.

Zum Beispiel.

Hier ist es der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch. Es gab auch schon Entscheidungen, die er getroffen hat und die ich dann so übernommen habe.

Sie waren schon mal Trainer und Sportdirektor in einer Position. Wie unterscheidet sich Ihre Tätigkeit in Wolfsburg zu der vor drei Jahren beim VfB Stuttgart?

Vor allem durch die Anfangssituation. In Stuttgart war ich schon Trainer, ich hatte die Mannschaft zwei Jahre begleitet, geleitet. Danach erst habe ich offene Position eines Sportdirektors übernommen ...

... weil sich der Verein von Manager Rolf Rüssmann getrennt hatte.

Die Struktur stand, der VfB war schon zu meiner Zeit ein hervorragend geführter Verein, einer der besten in Deutschland. Ich musste also nur sportliche Entscheidungen treffen. Hier ist es etwas anders. Der VfL Wolfsburg ist ein junger Verein, der noch nicht so lange eine Rolle im bezahlten Fußball spielt und der vielleicht auch darunter gelitten hat, dass der große Sponsor VW sich nicht immer so zum Klub bekannt hat wie jetzt.

Hat der Verein schon gehobenes Bundesliganiveau?

Nein, so weit sind wir noch nicht. Wenn wir jetzt zufällig über die Fairplaywertung in den Uefa-Cup erreichen würden – ich weiß ich nicht, wie der Klub damit zurechtkäme. Von der Champions League wollen wir erst gar nicht reden. Ein entsprechendes Selbstwertgefühl und Image müssen wir erst aufbauen.

Können Sie das steuern?

Das ist unser Job. Der Fußball befindet sich in der Traumsituation, dass er in den Medien unheimlich große Beachtung findet. Für diese Beachtung muss ein Weltkonzern wie VW viel Geld ausgeben. Wir haben sie einfach so.

Das böse Marketing.

Nein, nein, da haben Sie mich vorhin falsch verstanden. Ich habe nichts gegen Marketing, ich habe nur etwas gegen das Ungleichgewicht von Marketing und Sport, wie es sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Aber das liegt auch an der Situation des Fußballs in Deutschland. Wir müssen uns hier mühsam Einnahmequellen erschließen, die man in England oder Italien nicht nötig hat.

Weil dort das Großkapital von ganz allein zu den Klubs kommt.

Was ist dagegen einzuwenden? Wenn Finanzinvestoren ihr Geld in den Fußball stecken, ist das doch eine gute Sache. Ich verstehe nicht, dass wir uns in Deutschland damit so schwer tun. Also, ich hätte kein Problem, damit, wenn ein Investor die Mehrheit an einem deutschen Klub übernimmt. Aber es muss sich ja schon einer wie Dietmar Hopp …

... der Mäzen des Zweitligisten Hoffenheim …

... dafür rechtfertigen, nur weil er sein Privatvermögen in seinen Klub steckt. Na, das ist doch das Beste, was einem Verein passieren kann!

Das Gespräch führten Sven Goldmann und Michael Rosentritt.

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