zum Hauptinhalt
315124_3_xio-fcmsimage-20091219225932-006001-4b2d4cc4cf75f.heprodimagesfotos8512009122015753854.jpg

© dpa

Interview: "Ich bin gerne ein Nischenprodukt"

Unions Präsident Dirk Zingler über die Identität seines Klubs, die Rivalität zu Hertha BSC und Heimspiele im Olympiastadion.

Von

Herr Zingler, sind Sie mehr Fan oder mehr Präsident des 1. FC Union?



Ich bin immer noch mehr Fan. Aber früher habe ich nie zu den Fans gehört, die sich tiefgründige Gedanken über die Entwicklung des Vereins gemacht haben. Ich bin mit meiner Truppe aus Eichwalde ins Stadion gekommen, habe im Block M gestanden, Bierchen getrunken, mich gefreut oder eben nicht. Jetzt sehe ich die Lage anders.

Als Fan zu fühlen und als Präsident zu denken, wie halten Sie das auseinander?

Dahinter steht ein Prozess. Als ich 2004 das Amt im Verein übernahm, musste ich regelrecht aufpassen, dass mir Union nicht unlieb wird, weil man mitbekommt, welche unschönen Dinge der Fußball mit sich bringt. Wenn ein Spieler den Pfosten trifft, ärgert sich ein Fan vielleicht zwei Tage drüber. Wirtschaftlich kann das jedoch eine ganz andere Situation bewirken. Die Kunst besteht darin, beides unabhängig voneinander zu sehen – dafür habe ich mir bestimmte Regeln auferlegt.

Wie sehen die aus?

Ich nehme zum Beispiel sehr ungern am Spieltag geschäftliche Termine wahr. Es bedeutet mir eben viel, diese 90 Minuten Fußball mit meinen Freunden zu erleben. Diesen Freiraum erhalte ich mir. Das Amt des Präsidenten ist ein endliches und irgendwann werde ich nur so als Fan zum Verein zurückkommen.

Verklärt der Blick des Fans Dirk Zingler nicht sein Handeln im täglichen Geschäft?

Im Gegenteil. Ich habe selbst nie Fußball gespielt. Deshalb mische ich mich auch nicht in den sportlichen Bereich ein. Ich komme aus der Baubranche, aus dem Betonbereich. Wenn der Fachmann mir dort sagt, in eine Mischung muss zehn Kilo mehr Zement rein, dann mache ich das.

Sie haben sich noch nie in die Aufstellung eingemischt?

Glauben Sie mir: Meine Einmischung in den sportlichen Bereich ist damit abgeschlossen, dass ich einen Sportdirektor und einen Trainer einstelle. Mir ist es schnuppe, ob ein Daniel Göhlert links oder rechts in der Abwehr oder meinetwegen auch im Sturm eingesetzt wird. Ich mische mich erst dann ein, wenn das Produkt am Ende nicht ankommt.

Sind Tradition und Identifikation ein Hindernis für die Entwicklung des Klubs?

Du bist unternehmerisch weniger mutig, weil jeder Fehltritt öffentlich kommentiert wird. Aber Tradition ist kein Hindernis. Man muss sich überlegen, was man sein will: Ein Maybach oder ein VW-Golf? Welches Potenzial hat Union? Möchte ich 75 000 Zuschauer ins Stadion bekommen oder reichen mir 23 000?

Beantworten Sie Ihre Fragen doch gleich selbst!


Ich denke, wir sehen uns als moderner schnittiger Golf, etwas tiefer gelegt (lacht). Ernsthaft: Der Drang immer mehr zu sein, als man tatsächlich ist, hat die meisten Vereine nicht zum Erfolg gebracht. Ein klassisches Beispiel ist 1860 München, gegen die wir am Sonntag spielen: Der Wunsch, mit Bayern München auf Augenhöhe zu konkurrieren, im selben Stadion zu spielen, hat dazu geführt, dass 1860 die heute bekannte Entwicklung genommen hat. Da ist eine Spaltung zwischen Tradition und Moderne entstanden. Ich sehe Union da auf einem besseren Weg.

Aber Union hat doch sicher auch den Anspruch, sich in der Stadt Berlin zu etablieren.

Ich habe nicht den Anspruch, ganz Berlin zu erreichen. Fußball besteht auch aus einer gewissen Abgrenzung, einer Rivalität. In London kommt es darauf an, in welcher Straße ich geboren bin, in welcher Straße mein Stadion steht. Union ist eben im Osten zu Hause.

Was spricht gegen eine Öffnung nach Westen?


Nichts, aber darum geht es gar nicht. Innerhalb von 25 Minuten können uns per Nahverkehr 1,5 Millionen Menschen erreichen. Warum soll ich da eine Vorverkaufsstelle im Grunewald aufmachen? Als Köpenicker gehe ich doch auch nicht in Reinickendorf ins Kino oder zum Italiener. Es ist für mich kein politisches Ost-West-Thema, sondern ein geographisches.

Sie verschließen sich bewusst vor möglichen Kunden?

Ja, man könnte sagen, dass wir Menschen ausschließen. Ich möchte mein Stadion voll haben mit Menschen, die genau das wollen, was bei uns stattfindet, die sagen: „Das finde ich geil hier.“ Ich möchte nicht für Jedermann brauchbar sein. So ein Jedermann-Angebot ist im Grunde der Anfang vom Ende eines Produktes.

Warum verzichten Sie auf zusätzliche Zuschauer und damit Einnahmen?

Für uns wäre es einfacher, wenn wir ein breiteres Angebot hätten: Klatschpappen, viel Werbung und so. Borussia Dortmund macht 800 000 Euro Umsatz nur durch Werbung auf der Anzeigetafel. Die 45 Minuten Fußball pro Halbzeit sind bei uns für Werbung dagegen total tabu. Wir verzichten zugunsten einer traditionellen Weise Fußball zu erleben auf Erträge. Für uns ist das der einzige und richtige Weg.

Welches Erlebnis möchten Sie dem Zuschauer in der Alten Försterei nicht zumuten?

Diese Vereinheitlichung, Fanfaren, immer die gleichen Einspieler, gleiche Fahnenschwenker. Vor dieser Zentralisierung und Kommerzialisierung habe ich ein bisschen Angst. Ich bin gerne ein Nischenprodukt.

Und was sagen Sie erfolgshungrigen Fans, die in Berlin Bundesligafußball sehen wollen, auch nach dem wahrscheinlichen Abstieg von Hertha BSC?

Wir brauchen Berlin nichts Gutes tun und möglicherweise eine Lücke schließen. Ich möchte die Menschen glücklich machen, die uns hier besuchen. Ob Hertha derweil in der Champions League spielt oder in der Dritten Liga, ist für uns nicht relevant. Ich bedauere die Entwicklung, die Hertha genommen hat, aber wo Hertha in der Tabelle steht, darf auf unsere Entscheidungen keinerlei Einfluss haben.

Herr Hurtado, Ihr Aufsichtsratsvorsitzender, sieht das anders.


Der ist Spanier (lacht). Dass jemand, der nicht aus den gleichen Traditionen kommt, mitunter eine andere Auffassung hat, ist vollkommen okay.

Sie streben also nicht mal mittelfristig den Aufstieg an?

Ich habe den Anspruch, jedes Jahr in jedem Bereich des Vereins besser zu werden. Wenn uns das gelingt, werden wir irgendwann notgedrungen, nein, glücklicherweise (lacht), auch aufsteigen. Aber die Erstliga-Zugehörigkeit an sich ist nicht das, woran ich Erfolg messe.

Wie passt diese anscheinend bescheidene Herangehensweise zu Ihrem Sponsoring-Deal mit der Firma International Sport Promotion (ISP), die über fünf Jahre zehn Millionen Euro in den Verein pumpen wollte?

ISP haben wir als Chance betrachtet für genau das. Uns weiterzuentwickeln, Geld in den Sport zu stecken, uns zu entschulden. Zu der Entscheidung stehen wir nach wie vor zu 100 Prozent. Als sich herausstellte, dass die Gelder nicht fließen, haben wir dem Sponsor gekündigt.

Nicht zu vergessen, dass der ISP-Aufsichtsratsvorsitzende Offizier bei der Stasi war. Haben Sie Ihre Lehren aus dem Fall ISP gezogen?

Wir werden künftig alles stärker prüfen. Aber ich werde auch künftig niemanden wegschicken, der hier zwei Millionen pro Jahr zur Verfügung stellen will. Ich schließe auch nicht aus, dass uns auch in Zukunft Fehltritte passieren.

Gibt es keine generellen Ausschlusskriterien bei der Sponsorenwahl?

Der Sponsor muss zur Marke passen. Sehen Sie: Es gab bei uns mal Diskussionen, ob Artemis hier Sponsor werden soll….

… ein Berliner Saunaclub…

… die einen sagen Saunaclub, ja (lacht). Über dieses Engagement jedenfalls gab es unterschiedliche Auffassungen im Verein. Artemis macht Werbung auf Straßenbahnen und Bussen der BVG, die gehören im Grunde dem Land Berlin. Da habe ich gesagt: Wenn der Senat damit Werbung machen kann, können wir das schon lange. Es gab dann aber eine Mehrheitsentscheidung dagegen.

Sie könnten Ihre wirtschaftliche Lage verbessern, wenn Sie nächstes Jahr Ihre Heimspiele gegen Hertha in der Zweiten Liga im Olympiastadion austragen.

Mir fällt nichts ein, was uns ins Olympiastadion bringen könnte, außer das DFB-Pokalendspiel.


Dirk Zingler, 45, ist Baustoffunternehmer. Im Jahr 2004 hat er das Amt des Präsidenten beim 1. FC Union übernommen. Schon seit seiner Jugend ist er selbst Fan des Klubs.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false