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© promo

Interview: "Jetzt sind sie Frauen"

Turn-Bundestrainerin Ulla Koch spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über das Wachstum.

Frau Koch, für die Turn-WM, die am Dienstag in London beginnt, hätten Sie gerne noch eine Turnerin nominiert. Doch sie hat seit Olympia zehn Kilogramm zugenommen. Wie gehen Sie damit um, dass Turnen so abhängig ist vom Wachstumsprozess vom Mädchen zur Frau?



Man muss schon viel Geduld haben. Da kann man nicht eingreifen, da will ich auch nicht eingreifen, wenn eine Turnerin auf einmal zehn oder 15 Kilogramm mehr wiegt. In unserer Mannschaft gab es einige, die vor den Olympischen Spielen Mädchen waren, jetzt sind sie Frauen.

Aber mit einem veränderten Körper fällt doch nicht automatisch die Leistung?

Nein. Doch verändern sich die Hebelverhältnisse, der Körperschwerpunkt verlagert sich. Viele fangen an zu zweifeln, und mit jedem Kilo kommt mehr Frust dazu. Aber wenn sie diese Phase durchgestanden haben, sind sie reifer und turnen auch reifer.

In der Pubertät mögen viele Mädchen ihren Körper nicht mehr. Wie erleben Sie das unter Leistungssportlerinnen?

Das kann man immer wieder beobachten. Ich kann da auch nur einige Tipps geben, das Training zum Beispiel etwas zu reduzieren und mehr in den Ausdauer- und Kraftbereich zu gehen. Wir machen keine regelmäßigen Gewichtskontrollen. Höchstens einmal vor einer internationalen Meisterschaft, um einen Vergleich zum Vorjahr zu haben.

Und wenn sich aus der Abneigung gegen den neuen Körper eine Essstörung entwickelt?

Dann ziehen wir professionelle Hilfe zu Rate, aber wir wollen in diesem Fall keinen Sportpsychologen aus den eigenen Reihen einschalten. Denn die haben sowieso immer nur das Interesse, die Mädchen beim Turnen zu halten. Wir wollen keinen einsetzen, der im System ist. Sie müssen mit einem externen Experten sprechen und der Frage nachgehen: Wie fühle ich mich wohl? Das Selbstwertgefühl muss gestärkt werden.

Gab es in der Nationalmannschaft schon mal einen Fall von Magersucht?

Wir hatten einen Fall von Bulimie. Das haben wir beobachtet und begleitet. Die Turnerin hat gleichzeitig externe Berater dazugenommen und das Problem selbst gut gelöst. Natürlich suchen wir uns gerade die Kleinen und Zierlichen fürs Turnen aus, weil sie eben Vorteile haben. Aber bei einer Trainingseinheit von dreieinhalb Stunden komme ich nicht ohne ausgewogene Ernährung mit Kohlehydraten und Eiweiß aus. Und wir greifen ein, wenn ein Mädchen zu dünn wird.

Kann der Sport den Mädchen in dieser Phase helfen, oder setzt er sie unter Druck?

Der Sport bringt zusätzlichen Druck rein. Die Turnerin sagt sich: Ich will das Gleiche leisten wie vorher. Wir müssen den Mädchen klarmachen, dass wir ihnen auch mit ihrem neuen Körper zutrauen, es zu schaffen.

Die Deutsche Marie-Sophie Hindermann ist mit 1,74 Meter ungewöhnlich groß …

… beim Weltcup in Doha saß ich neben einem ungarischen Trainer, der sagte: Marie ist wunderschön, aber leider zehn Zentimeter zu groß. Ich habe ihm entgegnet: Nein, sie ist nicht zu groß. Sie ist eben nicht irgendwer. Mit ihrem Enthusiasmus, den sie zeigt, kann sie auch mit ihrer Größe exzellent turnen.

– Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

Ulla Koch, 54, ist seit vier Jahren Cheftrainerin der deutschen Turnerinnen. Die Rheinländerin führte das Team erstmals seit 1992 wieder zu den Olympischen Spielen.

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