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Angela Merkel

© Cinetext/Metodi Popow

Interview: Schüler fragen, die Bundeskanzlerin antwortet

Kurz vor dem Start der zehnten Winterparalympics in Vancouver haben die Schülerredakteure der Paralympics-Zeitung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über ihre Begeisterung für den Sport und ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung gesprochen.

Sie sind auf dem Waldhof groß geworden, einer Einrichtung für Behinderte und Fortbildungsstätte für Pfarrer. Wie hat dies Ihre Beziehung zu Behinderten geprägt?

Das Leben mit Behinderten ist für mich von Anfang an selbstverständlich gewesen. Die Menschen des Waldhofs arbeiteten gemeinsam mit meiner Familie im Haushalt und im Garten; wir haben auch oft zusammen gefeiert. Ich habe diese Begegnungen sehr genossen, und ich hoffe, umgekehrt war das auch der Fall.

Hatten Sie schon Kontakt mit einem Behindertensportler oder jemandem, der mit einer Behinderung umgehen können muss? Wenn ja, wie haben Sie das erlebt?

Ich habe regelmäßig Kontakt zu Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung. Bei verschiedenen Gelegenheiten, wie etwa dem Tag der offenen Tür der Bundesregierung oder dem Empfang der Medaillengewinner von Peking, konnte ich so außergewöhnliche Menschen kennenlernen. Die Begegnung mit den Aktiven ist mir sehr wichtig. Nichts ersetzt diesen persönlichen Eindruck. In vielen Gesprächen habe ich erfahren, dass die Sportler mit Behinderungen vor allem an ihrer Leistung gemessen werden wollen. Glücklicherweise wird dies von immer mehr Menschen und zunehmend auch von den Medien so gesehen.

Welche Behindertensportart finden Sie am interessantesten und warum?

Der Sport der Menschen mit Behinderung hat eine sehr große Bandbreite und begeistert Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Zuschauerinnen und Zuschauer gleichermaßen. Dabei hat jede Sportart ihre Besonderheit. Dies spürt man insbesondere auch als Zuschauer bei Wettkämpfen wie den Paralympischen Spielen, die über den bloßen Leistungsvergleich hinausgehen. Wegen dieser individuellen Faszination kann und möchte ich keine Sportart besonders hervorheben. Ich bewundere alle Sportlerinnen und Sportler für ihre Leidenschaft, ihre Zielstrebigkeit und ihre großartigen Leistungen.

Wie unterstützt die Bundesregierung die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Paralympischen Spielen?

Die Bundesregierung fördert den Spitzensport der Menschen mit Behinderung seit vielen Jahren mit steigender Tendenz. Im letzten Jahr betrug die Fördersumme ca. 5,8 Millionen Euro. Davon profitieren auch unsere Spitzenathleten bei den Paralympischen Spielen. Konkret werden für die Vorbereitung und Entsendung der deutschen Mannschaft nach Kanada aus dem Bundeshaushalt bis zu 540.000 Euro bereitgestellt.
 
2006 schrieben Sie an die deutsche Paralympics-Mannschaft, dass alle deutschen Sportlerinnen und Sportler auch ein Vorbild für die Jugend seien. Wie jedoch sollen eben diese eine Vorbildfunktion erfüllen, wenn sie kaum in der Öffentlichkeit präsent sind bzw. sein können?

Paralympische Sportlerinnen und Sportler zeigen außergewöhnliche und hervorragende Leistungen, und sie treten vorbildlich auf. Deshalb verdienen sie eine entsprechende Berichterstattung in den Medien. Hier ist in den vergangenen Jahren schon einiges geschehen. So ist zum Beispiel die Übertragungszeit der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten 2008 in Peking auf ein Rekordniveau gestiegen. Bei den anstehenden Paralympischen Spielen planen ARD und ZDF rund 21 Stunden Übertragungen aus Kanada; dies ist mehr als doppelt so viel wie 2006 aus Turin. Sicherlich wünscht man sich an der ein oder anderen Stelle noch eine stärkere Präsenz des Sports der Menschen mit Behinderung. Deshalb möchte ich dazu ermutigen, den eingeschlagenen Weg in der Berichterstattung weiter zu verfolgen.

Die Wahrnehmbarkeit des Sports der Menschen mit Behinderung in den Medien ist jedoch nur ein Teilaspekt für die Motivation von Jugendlichen. Ich möchte hier auch den Wettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ erwähnen, der im Schuljahr 2009/2010 erstmals Schülerinnen und Schüler mit Behinderung aus neun Bundesländern zusammenführt. Auch das erste Nationale Paralympische Winter-Jugendlager, das vom 11. bis 22. März in Vancouver stattfindet, eröffnet Nachwuchssportlerinnen und Nachwuchssportlern die Chance, ihre Idole vor Ort zu erleben und „paralympische Luft“ zu schnuppern.

Was wünschen Sie sich für den Behindertensport?

Ich wünsche mir für den Sport der Menschen mit Behinderung, dass er insgesamt in unserer Gesellschaft noch stärker wahrnehmbar und selbstverständlich wird. Alle Sportlerinnen und Sportler, ob mit oder ohne Behinderung, sollten die Anerkennung erfahren, die sie aufgrund ihrer Leistung verdienen.

Deutschland hat sich als Austragungsort für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2018 beworben. Neben den sportlichen Highlights: Welche positiven wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen könnten die Spiele im eigenen Land konkret für Deutschland haben?

Olympische und Paralympische Spiele haben erfahrungsgemäß vielfältige positive Einflüsse auf das austragende Land. Dies beginnt bei einer wachsenden Sportbegeisterung der Bevölkerung und reicht bis zu konkreten Auswirkungen auf die Wirtschaft oder den Tourismus. Am prägendsten ist für mich aber die einzigartige Atmosphäre der Spiele als Fest der Begegnung, Treffen der Völker und Kontinente. Bei einem Zuschlag durch das IOC im Juli 2011 bekämen wir nach großartigen Veranstaltungen wie der Fußball-WM der Männer 2006, der Eurobasketball 2007, der Eishockey-WM in diesem Jahr und der Frauen-Fußball-WM 2011 erneut die Chance, uns 2018 als freundlicher und weltoffener Gastgeber der Olympischen und Paralympischen Winterspiele zu präsentieren.

Sie haben sich bei der WM 2006 in Deutschland als Fußballfan geoutet, welche anderen Sportarten interessieren Sie noch?

Ich interessiere mich für viele Sportarten. Der Sport ist so vielfältig, dass ich hier keinen Bereich besonders hervorheben möchte. Grundsätzlich fasziniert mich der Gedanke, an die eigenen Grenzen zu gehen und mit Disziplin und Willenskraft Höchstleistungen zu erbringen. Deshalb habe ich großen Respekt vor unseren Athletinnen und Athleten, die sich für das tägliche Training immer neu motivieren und auch von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Dies sind Eigenschaften, von denen viele lernen können und die auch in anderen Lebensbereichen weiterhelfen. Natürlich freue ich mich immer besonders, wenn internationale Wettkämpfe in Deutschland stattfinden und ich die Möglichkeit habe, vor Ort dabei zu sein, wie zuletzt bei der Leichtathletik-WM im letzten Jahr.

Gilt das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ für Sie uneingeschränkt oder studieren Sie morgens in der Zeitung auch mal ganz ehrgeizig den Medaillenspiegel, um sich mit den Nachbarstaaten zu vergleichen?

Für mich sind Wettkämpfe spannend, bei denen die Sportlerinnen und Sportler ihr Bestes geben. Ich sehe Olympische und Paralympische Spiele aber vor allem als international einzigartige Sportfeste. Deutsche Athletinnen und Athleten haben immer wieder durch ihr Können, aber auch durch die Sympathie, die sie gewonnen haben, dazu beigetragen, dass Deutschland heute weltweite Anerkennung genießt. Die Mitglieder der deutschen Mannschaft haben dies bei den Olympischen Spielen in Vancouver gerade wieder eindrucksvoll bewiesen. Ich bin davon überzeugt, dass auch die deutschen Sportlerinnen und Sportler bei den Paralympischen Spielen unser Land in Kanada wieder vorbildlich vertreten werden.

Wie werden Sie die Paralympischen Spiele verfolgen?

Da ich leider aus Termingründen nicht selbst nach Kanada reisen kann, werde ich, so oft es geht, Berichte über die Wettkämpfe im Fernsehen anschauen. Ich drücke allen deutschen Starterinnen und Startern fest die Daumen!

Frau Bundeskanzlerin, wie nutzen Sie ihre Freizeit, wenn Sie welche haben?

In meiner Freizeit koche ich gern oder arbeite im Garten. Ich gehe auch so oft es geht in der Natur spazieren oder fahre Rad. Im Urlaub wandere ich gemeinsam mit meinem Mann gerne in den Bergen.

Die Fragen stellten Tassilo Hummel, Gymnasium-Neckargemünd, Neckargemünd; Anne Balzer, Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasium, Forst (Lausitz); Leonie Arzberger, Dom-Gymnasium-Freising, Haag an der Amper; Heiko Möckl, Droste-Hülshoff-Gymnasium-Meersburg, Uhldingen-Mühlhofen; Franziska Ehlert, Alexander-Puschkin-Gymnasium, Henningsdorf; Raphael Menke, Auguste-Viktoria-Gymnasium, Trier; Elisa Kremerskothen, Bertha-von-Suttner-Gymnasium, Berlin; Annemieke Overweg, Lessing-Gymnasium, Uelzen; alle 18 Jahre.

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