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Gut aufgelegt. Thomas Müller bereitete Miroslav Kloses Siegtreffer gegen Belgien vor.

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Interview: Thomas Müller: "Erfolge im Fußball halten nicht lange"

Er wollte schon immer das größere Kuchenstück: WM-Torschützenkönig Thomas Müller über das Geheimnis seines Aufstiegs, Nachteile des Berühmtseins und die prophetische Gabe seiner Ehefrau.

Herr Müller, es gibt keinen Fußballspieler, der in letzter Zeit einen so rasanten Aufstieg erlebt hat wie Sie. Funktioniert Ihr inneres Koordinatensystem eigentlich noch?

Ich glaube schon. Aber ich bleibe gelassen. Außerdem war ich schon immer der Typ, der ziemlich viel wollte. Und möglichst schnell.

Zum Beispiel?

Wenn zwei Stück Kuchen auf dem Tisch lagen, dann wollte ich schon immer das größere. Das können Ihnen meine Mutter und mein Bruder bestätigen.

Ihr Bruder wird sich wahrscheinlich nicht immer mit dem kleineren Stück zufriedengegeben haben.

Meistens hab’ ich mir das größere Stück einfach geschnappt und mir dann den Ärger angehört. Aber ich hatte das, was ich wollte.

Sie sollen als Kind vor Ihrem ersten Training bereits eineinhalb Stunden vor Beginn auf dem Platz gestanden haben …

Das hab ich auch mal irgendwo gelesen.

Dann anders: Sie haben schon mit 20 geheiratet. Das ist auch sehr früh.

Stimmt. Für Leute meines Alters ist das ungewöhnlich. Aber die sind oft auch in einer anderen Situationen: Sie studieren, haben keinen festen Beruf und sind sehr mobil. Bei meiner Frau und mir hat es von Anfang an gut gepasst. Ich habe mich schon relativ früh bei ihr einquartiert. Sie hat in einem Vorort von München gewohnt. Das war für mich sehr praktisch, weil sich die Strecke zum Trainingsplatz des FC Bayern dadurch deutlich verkürzt hat. Andere Paare haben erst noch getrennte Wohnungen. Diese Phase haben wir übersprungen. Deswegen ging es im Endeffekt so schnell.

Und doch ist es eine eher konventionelle Art zu leben. Hilft Ihnen das, mit der Aufregung um Ihre Person zurechtzukommen?

Das glaube ich schon. Wenn du dich in der Öffentlichkeit bewegst, und dann auch noch in dem sogenannten Haifischbecken Bayern München, ist es wichtig, dass du dir ein gewisses Maß an Zurückgezogenheit bewahrst. Dass du weißt, zu Hause ist alles geordnet, da gehörst du hin, da fühlst du dich wohl.

Genießen Sie es, berühmt zu sein?

Jeder, der sich wünscht, berühmt zu sein, weiß wahrscheinlich gar nicht, was es bedeutet. Natürlich ist es schön, wenn sich andere Leute für einen interessieren, wenn man überall, wo man auftaucht, im Mittelpunkt steht. Aber damit muss man auch umgehen können.

Welche Vorzüge hat es, berühmt zu sein?

Kleines Beispiel: Wenn du in ein Flugzeug steigst, wirst du schon mal gefragt, ob du zum Kapitän ins Cockpit kommen möchtest. Aber wenn du wieder aussteigst, musst du am Gepäckband erst einmal vier Fotos mit dir machen lassen. Es ist wie überall im Leben: Alles hat zwei Seiten. Viele von denen, die gern berühmt sein wollen, sehen vermutlich nur das Positive.

Würden Sie darunter leiden, wenn Sie Ihren derzeitigen Status wieder verlören?

Für mein Wohlbefinden brauche ich keinen bestimmten Status. Ich brauche sportlichen Erfolg, und der ist wahrscheinlich wieder mit dem Status verbunden. Generell könnte ich sehr gut damit zurechtkommen, wenn ich wieder unbedeutender wäre in der Öffentlichkeit.

Wie geht Ihre Frau damit um, dass Sie überall erkannt werden?

Für sie ist es noch einen Tick schwerer. Auch wenn wir zu zweit unterwegs sind, hat sie mich nie ganz für sich. Seit der WM bin ich Teil des öffentlichen Lebens. Dem versuche ich gerecht zu werden, ohne mich dabei selbst aufzugeben. Es ist nicht so, dass ich alles mache. Ich sage auch stopp, wenn ich das Gefühl habe, das geht jetzt zu weit. Aber ich glaube, dass mittlerweile das Maximum des Interesses erreicht ist.

Glauben Sie das, oder hoffen Sie das?

Ich hoffe es. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch mehr wird. Ich werde inzwischen so häufig erkannt und angesprochen, auch von Leuten, die mit Fußball nicht so viel am Hut haben. Von Frauen um die 50 zum Beispiel, die sich wohl kein Spiel anschauen, wenn nicht gerade WM ist, und die einem dann plötzlich ihre Begeisterung mitteilen. Wobei das ja auch schön ist.

Wie schirmen Sie sich ab? Helfen Ihnen Ihre Eltern dabei?

Ich versuche eher, meine Eltern abzuschirmen. Während der WM hatten sie ziemlich viel Stress. Da waren zeitweise täglich zwei, drei Fernsehteams bei ihnen. Das war mir schon unangenehm.

Sogar Ihre Oma Erna musste während der WM Interviews geben …

Das war auch meine Schuld. Dadurch, dass ich meine Großeltern übers Fernsehen gegrüßt habe, habe ich die Medien erst auf sie aufmerksam gemacht. Aber das habe ich jetzt kapiert: dass man mit jeder Aussage aufpassen muss. Alles hat sein Echo.

Thomas Müller, 20, zählt seit der vergangenen Saison zum Bundesligakader von Bayern München und wurde auf Anhieb Nationalspieler. Bei der Weltmeisterschaft in Südafrika traf er fünfmal und wurde damit Torschützenkönig.
Thomas Müller, 20, zählt seit der vergangenen Saison zum Bundesligakader von Bayern München und wurde auf Anhieb Nationalspieler. Bei der Weltmeisterschaft in Südafrika traf er fünfmal und wurde damit Torschützenkönig.

© dpa

Haben Sie das Gefühl, dass jetzt besonders auf Sie geschaut wird? Dass die Leute fast ein bisschen darauf warten, dass Sie ins Straucheln geraten?

Das ist ja immer so. Wenn jemand viel erreicht hat, wartet mancher darauf: Wann bricht er ein? Wann kriegt er einen auf die Mütze? Ich glaube, die Leute wollen, dass auch ihre Stars Schwächen zeigen, damit man sich mit ihnen identifizieren kann. Sie dürfen nicht zu Übermenschen werden. Deshalb gibt es in den Klatschzeitungen auch immer diese Bilder von Hollywoodstars, auf denen ihre Falten genau zu erkennen sind. Da kann jeder sehen: Die sind auch nur ganz normale Menschen.

Sind Sie darauf vorbereitet, dass die Stimmung umschlagen kann?

Ja, ich bin mir schon bewusst, dass sich das ändern kann, wenn es mal nicht so läuft. Damit muss ich dann genauso gut klarkommen, auch wenn das wahrscheinlich die eigentliche Schwierigkeit ist. Deshalb versuche ich mir immer vor Augen zu führen, dass die ganzen positiven Schlagzeilen schnell mit der Welle des Erfolgs gekommen sind und genauso schnell ins Negative umschlagen können. Man darf sich davon nicht mitreißen oder verrückt machen lassen.

Sind Sie in dieser Hinsicht gefährdet?

Grundsätzlich bin ich schon eher der rationale Typ. Aber ich erwische mich auch dabei, dass ich in den Zeitungen nachschaue, was da über mich geschrieben steht. Manchmal frage ich mich: Warum liest du den Schmarrn jetzt? Aber im Grunde ist es natürlich ein Feedback.

Sie machen einen sehr selbstbewussten Eindruck. Haben Sie das, was Sie im vergangenen Jahr erreicht haben, in irgendeiner Weise für möglich gehalten?

Ich bin vielleicht selbstbewusst, aber so selbstbewusst dann doch nicht. So, wie es gekommen ist, das war ja Wahnsinn! Ich kann mich noch an den Sommer erinnern, als ich von der A-Jugend bei den Bayern zu den Amateuren hochgekommen bin. Ein paar Monate vorher hatte ich meine Frau kennengelernt, wir waren zusammen im Urlaub, und wir haben darüber gesprochen, wie das wohl wird bei den Amateuren. Ich war mir nicht sicher, ob ich das packen werde. Meine Frau kennt sich nicht besonders im Fußball aus, aber sie hat damals prophezeit, dass ich es bis zu den Profis schaffen werde. Ich habe ihr gesagt: Bleib mal ruhig, Profi bei den Bayern zu werden, das weißt du vielleicht nicht, das ist richtig schwer. Eigentlich geht das gar nicht. Da hat sie geantwortet: Doch, das packst du. Und so ist es dann auch gekommen.

Was hat Ihnen Ihre Frau denn noch so prophezeit für die weitere Karriere?

Ich müsste sie mal fragen, was in der nächsten Zeit auf mich zukommt … Nee, ich versuche einfach, das fußballerische Niveau zu halten. Ich hoffe, dass ich mich weiterentwickele, reife.

Louis van Gaal, Ihr Trainer bei den Bayern, sagt Ihnen eine schwierige Saison voraus. Macht er das, um Sie zu schützen?

Das könnte ich mir vorstellen. Louis van Gaal weiß, dass ich ganz gut klarkomme, wenn alles passt. Und das tut es. Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass ich Probleme kriege.

Waren Sie überrascht, dass er Sie vor einer Woche so harsch kritisiert hat, nachdem Sie in Kaiserslautern die große Chance zur Führung vergeben haben?

Hat er ja gar nicht.

Finden Sie nicht?

Nein, die Presse hat das nur so aufgebauscht. Intern lief das viel sachlicher. Van Gaal hat gesagt, dass aus der Situation ein Tor entstehen muss. Da hat er Recht. Dass ich nicht abgespielt habe, war nicht so gut. Aber dass neben mir noch zwei Spieler mitgelaufen sind, die den Ball nur noch ins leere Tor hätten schieben müssen, das habe ich wirklich erst hinterher auf dem Video gesehen. Ich bin doch nicht der Typ, der in einer solchen Situation den Ball nicht querlegt.

Eine andere Szene: Im Champions-League-Finale gegen Inter Mailand hatten Sie die große Chance zum 1:1. Wie oft ist Ihnen diese Situation anschließend noch durch den Kopf gegangen?

Die Szene habe ich mir in den Tagen nach dem Spiel immer wieder angeschaut. Weil ich herausfinden wollte, warum es nicht geklappt hat mit dem Tor.

Und? Ist es Ihnen gelungen?

Nein. Ich habe in ähnlichen Situationen auch schon getroffen. Da fehlen dann halt zehn, zwanzig Zentimeter in der einen oder anderen Richtung. Aber das musst du abhaken. Durch die WM hatte ich gleich das nächste Ziel vor Augen. Das ist das Positive am Fußball: Nach diesem negativen Erlebnis kommt sofort wieder eine neue Herausforderung. So ist das. Vergangenes zählt nicht lange. Das ist gut für die, die verloren haben; und schade für die, die etwas gewonnen haben. Erfolge im Fußball halten nicht lange.

Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass Ihnen die Zeit davonläuft?

Der Rhythmus ist schon sehr hoch. Louis van Gaal hält es oft so, dass er uns frei gibt, obwohl er weiß, dass es körperlich besser wäre, wenn wir trainieren würden. Aber er weiß auch, dass der Kopf eine noch wichtigere Rolle spielt.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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