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Peking 2008 - Abschlussfeier

© dpa

Interview: „Tief fallen kann nur, wer vorher oben war“

Wie startet man die zweite Karriere? Sportwissenschaftler Achim Conzelmann über Chancen und Risiken für Olympiasieger.

Herr Conzelmann, es gibt Fußballprofis, die später Alkoholprobleme bekommen, pleitegehen oder im Dschungelcamp landen. Wie ist das bei Olympiasiegern?

Diese Fälle gibt es auch bei Olympiasiegern, aber es sind die allerwenigsten. Die meisten machen nach dem Sport eine normale Karriere oder eine Aufstiegskarriere. Normale Karrieren wären Abitur – Studium – Arzt oder Hauptschule – Lehre – Handwerker. Eine Aufstiegskarriere wäre, auch ohne Studium Manager zu werden. Als wir für unsere Studie 616 erfolgreiche Olympiateilnehmer von 1960 bis in die Neunzigerjahre befragt haben, also jeweils Platz eins bis sechs, haben wir nur 28 Problemfälle gefunden.

Warum ist deren Leben nach dem Sport nicht so glücklich verlaufen?

Die Hälfte dieser Problemfälle sind die Transformationsverlierer, die in der DDR sportlich erfolgreich waren und ohne die Wende mehr oder weniger automatisch in einen guten Beruf, mehrheitlich im Sportsystem, überführt worden wären. Aber dann kam die Wende und setzte diese Automatismen außer Kraft.

Und die andere Hälfte?

Es gibt ein gefährliches Muster: Wenn eine über weit bessere Fähigkeiten im Sport verfügt als auf der beruflichen Ebene. Das sind oft Leute mit geringerem Bildungsniveau, die ohne den Sport zum Beispiel an der Werkbank gearbeitet hätten. Für sie ist es oft schwer, zufrieden an die Werkbank zurückzukehren.

Conzelmann
Achim Conzelmann, 49, ist Professor an der Universität Bern. Conzelmann erforschte mit zwei Tübinger Kollegen die Lebensverläufe erfolgreicher Olympiateilnehmer.

© promo

Wo passiert das besonders häufig?

In Sportarten mit hohem Zeitaufwand und vielen Reisen, in denen die Athleten vom normalen Leben weg sind, etwa im Radsport. Da gibt es Athleten, die sich an einen hohen Lebensstandard gewöhnt haben. Tief fallen kann man eben nur, wenn man vorher oben war. Also: Gefährdet sind diejenigen, die nur durch ihre sportliche Leistung und die Beliebtheit ihrer Sportart sozial nach oben gekommen sind. Aber es gibt auch Gegenbeispiele.

Nämlich?

Katsche Schwarzenbeck ist ein schönes Beispiel mit seiner Lotto-Annahmestelle. Dafür ist er oft belächelt worden: Ein Fußball-Weltmeister in einem kleinen Laden. Ich persönlich habe aus der Distanz den Eindruck, dass er es gut gemacht hat. Er hat sich so eingerichtet, wie es seinen Fähigkeiten und Neigungen entspricht.

Wem gelingt eine Aufstiegskarriere?

Da gibt es drei Kriterien: Wer erstens ein kluger Mensch ist, der sich auf die Situation als Spitzensportler einstellen und sie ausnützen kann, sich zweitens medial gut präsentieren kann; drittens braucht es ein gutes Umfeld, insbesondere gute Berater für den außersportlichen Bereich.

Kann man von einem Olympiasieg ein Leben lang zehren?

Im Prinzip ja. Man sollte die Bekanntheit der Sportler aber nicht überschätzen. Von unseren 616 befragten Olympiateilnehmern kannte ich 290. Meine Friseurin kannte fünf. Man kann schnell in Vergessenheit geraten. Jede Woche ist im Winter Biathlon, Skilanglauf, Ski Alpin, Bob. Selbst bei der Leichtathletik ist kurz vor Olympia noch ein Meeting der Golden League und kurz danach wieder. Da wird der einmalige Sieg verwässert.

Warum sind erfolgreiche Sportler für Managerposten so attraktiv?

Sie sind Erfolgsmenschen, das setzt sich auch nach der Karriere fort, gemessen an Bezahlung und Verantwortung. Viele haben besondere Eigenschaften: Durchhalten können, Rückschläge verkraften, Ziele verfolgen und sein Leben diesen Zielen unterordnen, Zeit einteilen, selbstwirksam auftreten. Manche Sportler haben jedoch nach ihrer Karriere auch zwei Probleme: Erstens stehen sie nicht mehr so im Mittelpunkt. Zweitens gefällt ihnen im Studium nicht, dass so viele eine 1 haben und nicht klar ist, wer eigentlich der beste ist. Man muss die Sportler besser vorbereiten auf das, was im ersten Abschnitt nach ihrer Karriere kommt.

Und wie?

Nehmen wir Tennisspieler. Ihre Sportart findet in einer künstlichen Welt statt: Sie jetten von Kontinent zu Kontinent, leben in erstklassigen Hotels, der Alltag besteht häufig aus Training, Wettkampf, Medienkonferenzen, Video, Computerspielen, Internet. Die berufliche Weiterqualifikation bleibt auf der Strecke.

Also Berufsvorbereitung neben dem Sport?

Es hat schon Vorteile, während der Karriere ein Studium zu beginnen. Allerdings ist dies nicht möglich, wenn man fast ganzjährig um die Welt tingelt. Andererseits scheidet zum Beispiel im Tennis die Hälfte der Spieler in der ersten Runde aus. Für die gibt es für den Rest der Woche kein Programm mehr. Die könnten zumindest ihre Englisch- oder Spanischkenntnisse perfektionieren.
Verzweifeln viele Sportler nach der Karriere an dem Gedanken, dass sie das Aufregendste im Leben schon hinter sich haben?
Das hängt von der Persönlichkeit ab. Manche sagen: Ich hatte eine wunderbare Sportkarriere, jetzt kommt meine zweite Karriere. Wir haben Sportler befragt, die mussten ihre Goldmedaille erst mal suchen. Einer hatte sie in irgendeiner Schublade. Der Olympiasieg war eine schöne Episode für ihn – mehr nicht.

Wird es aber heute nicht immer schwerer, mit einem Olympiasieg umzugehen?

Wir haben im Rahmen unserer Studien einen Olympiasieger aus den Sechzigerjahren getroffen. Der hatte sich vor seiner Olympiateilnahme einen Telefonanschluss bestellt. Nach dem Olympiasieg haben so viele bei ihm angerufen, dass er ihn wieder abbestellt hat. Er wollte seine Ruhe haben. So etwas würde heute keiner mehr machen. Die Verlockungen sind größer. Früher gab es für einen Olympiasieger bei einer Autogrammstunde ein Essen und 50 Mark zu verdienen. Heute ist es ein Monatslohn.

Was raten Sie einem Olympiasieger?

In aller Ruhe alles auf sich zukommen zu lassen. Denn schnell auf alle Angebote zu reagieren, halte ich für gefährlich. Man sollte versuchen, sich auf sein Umfeld zu verlassen. Dann wird es schon gut gehen.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel.

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