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Ausschreitungen

© ddp

Interview: „Wir müssen die Chaoten isolieren“

Der DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn im Gespräch mit dem Tagesspiegel über die Angst vor Randale in den kleinen EM-Städten und die möglichen Gegenstrategien.

Herr Spahn, wie viele Fans in Deutschland haben Stadionverbot?

Ziemlich genau 3280, fast alles Männer.

Dürfen die zur EM fahren?

Ja, zumindest die allermeisten. Wir entziehen ja keinem den Reisepass oder können Reiseuntersagungen aussprechen, das ist der Job der Polizei. Wir können nur dafür sorgen, dass diese Leute nicht in die EM-Stadien gelangen.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wir haben der Uefa die Daten von diesen Leuten geschickt, damit sie keine Karten kaufen konnten. Die Botschaft muss klar sein: Wer Stadionverbot in Deutschland hat, ist bei der EM in Österreich und der Schweiz unerwünscht.

Hooligans randalieren doch eh meist außerhalb der Stadien.

Ja, das stimmt, aber der klassische Hooliganismus stirbt aus. Wir sind nicht mehr in den 80er oder 90er Jahren. Bei den Länderspielen in Basel und Wien Anfang des Jahres blieb es ruhig.

Weil keiner ein Ausreiseverbot riskieren wollte im Vorfeld der EM.

Das ist Kaffeesatzleserei. Ich halte herzlich wenig von Panikmache, allerdings sind auch wir nicht naiv. Wir haben ein Konzept erstellt, das auf Sicherheit und Prävention setzt. Ich glaube, das wirkt.

Erzählen Sie.

Das beginnt im Kleinen. Wir werden mit einem Truck des Fanclub Nationalmannschaft in Klagenfurt stehen. Und wir haben zwölf Sozialpädagogen unter der Leitung der Koordinationsstelle Fanprojekte im Einsatz. Es gibt eine Internetseite, einen Fanguide, Botschaften vor Ort und viel mehr. Fans haben schließlich auch Sorgen: Wo kann ich schlafen? Wo ist ein Arzt? Was mache ich, wenn die EC-Karte gestohlen wurde? Wir als DFB investieren 100 000 Euro in das Fanprogramm. Genauso wird aber auch die Polizei ihr SKB-Team schicken …

… szenekundige Beamte …

… genau. 14 Fahnder, die aus allen Bundesländern stammen und ihre Klientel genau kennen. Sie werden in den Innenstädten im Einsatz sein, auf Bahnhöfen oder Marktplätzen, den traditionellen Treffpunkten. Und sie werden den Polizisten vor Ort sagen: Passt auf, habt die Typen da drüben mal im Blick.

Wird die EM so bunt wie die WM?

Ja, wird sie. Aber wir müssen uns auch im Klaren sein, dass Europameisterschaften anders sind als Weltmeisterschaften. Bei der EM haben wir eine andere Klientel. Es schauen weniger Frauen und Laien Fußball, weil der exotische Moment fehlt – es gibt keine tanzenden Brasilianer, keine afrikanischen Fußballer oder fröhliche Japaner.

Deutschland spielt in der Vorrunde gegen Polen und Kroatien. Beim WM-Spiel der Deutschen gegen Polen flogen Stühle und Flaschen, es gab 430 Festnahmen. Die kroatischen Fans gelten als Heißsporne. Weit haben die es auch nicht nach Klagenfurt.

Die Behörden in Österreich werden deshalb die Landesgrenzen kontrollieren, damit nur die reinkommen, die ein tolles Fest feiern wollen.

Ist Klagenfurt nicht zu klein?

Ich war mehrmals vor Ort. Uns ist bewusst, dass es eng wird, wenn 90 000 Fans in einer Stadt von 90 000 Einwohnern feiern. Zumal sich in Klagenfurt alles in zwei, drei Gassen konzentriert. Wir müssen daher die Chaoten isolieren, damit alle friedlichen Fans nicht in Gefahr sind – die kommen mir nämlich in dieser Debatte zu kurz. Wir müssen aufhören, alle Fans immer nur schlecht zu machen. Das haben wir, auch der DFB, lange genug getan. Die allermeisten Fans wollen mit ihren Freunden ein kaltes Bier trinken, feiern, guten Fußball gucken.

Machen Ihnen die Ultras Sorgen?

Auch die Ultras sind in den allermeisten Fällen friedlich. Das sind junge Männer. Studenten, Auszubildende, normale Jungs. Sie basteln Choreografien, malen Plakate, sie reisen überall hin und stecken so viel Geld, Zeit und Liebe in ihren Verein, dass ich nur sagen kann: Respekt!

Aber sie schotten sich zunehmend vor Polizei und Verbänden ab.

Ultras sind gegen Kommerz und gegen zu viel Überwachung. Ihre Ideale ähneln denen der Linken in den 60er Jahren. Nie waren Teile der Kurven so politisch links wie heute. Nazis wurden teilweise verdrängt, das ist gut. Doch jetzt müssen wir aufpassen, dass wir keine radikalen Tendenzen bekommen. Ich will weder links noch rechts, ich will gar keine Radikalen.

Herr Spahn, in der abgelaufenen Bundesligasaison waren markante Bilder zu sehen: Es flogen Raketen in Nachbarblöcke, es brannten Plakate von verfeindeten Fans, Ordner wurden ins Krankenhaus geprügelt. Nürnberger Fans erzwangen fast den Abbruch eines Spiels, indem sie Knaller auf den Rasen warfen.

Knaller? Das klingt niedlich. Wissen Sie, wie laut die waren? Wir haben Wochen nach dem Spiel immer noch Opfer, die nicht richtig hören können. Sorry, das ist nicht witzig, das ist Körperverletzung! Ich will keinem den Spaß am Fußball verbieten, ich habe nichts dagegen, wenn energisch und emotional geschimpft wird. Aber Pyromaterial gehört nicht ins Stadion. Das ist extrem gefährlich. Und wer mit einer Seenotrakete in Menschenmengen schießt, ist ein Straftäter. Der gehört ins Gefängnis.

Der DFB bestraft aber die Vereine. Dabei kann kein Ordner jeden Fan so genau abtasten oder in jedes mitgebrachte Baguette gucken, ob darauf jetzt Salami liegt oder vielleicht doch eine Fackel.

Wir kennen diese Tricks. Und Vereine sollen ihre Fans ruhig mal in Regress nehmen. Ich will den Straftäter mal sehen, wenn er eine Rechnung über 50 000 Euro im Briefkasten findet. Im Übrigen haben die Urteile der Sportgerichtsbarkeit ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Selbstreinigungsprozess in den Kurven wurde merklich in Gang gesetzt.

Andererseits haben Sie die maximale Länge der Stadionverbotsstrafe von fünf auf drei Jahre gesenkt. Warum?

Wer ein Stadionverbot von drei Jahren locker in Kauf nimmt, den schrecken auch fünf nicht ab. Davon mal abgesehen: Es ist viel mehr ein Zugehen auf die Vernünftigen. Wir wurden massiv kritisiert, dass Stadionverbote zu schnell und beliebig verhängt würden.

Und?

Ich wollte das nicht wahrhaben, aber das System war wirklich nicht immer logisch. Es wurden Stadionverbote verhängt, obwohl der Beschuldigte längst von einem ordentlichen Gericht freigesprochen wurde. Das widerspricht jeglicher Rechtsauffassung. Die Fans solidarisierten sich und bauten ein gemeinsames Feindbild auf: Polizei, Vereine, DFB. Wir wollten einen Schritt auf die Fans zugehen und werden dies konsequent durchsetzen, aber dann auch nach einem Jahr prüfen und sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.

Ignorieren die bestraften Fans nicht sowieso Stadionverbote?

Nur wenige, aber die setzen sich still und brav auf die Tribüne, fernab von ihrer Gruppe, und verhalten sich somit in gewisser Weise regelkonform. Das ist ein Anfang. Aber wir haben unter den 3280 Personen auch einen, der fünf Stadionverbote hat, also immer wieder reingeht und erwischt wird. Diese Person ist verloren, zumindest für uns als DFB.

Sie haben keinen Erziehungssauftrag.

Doch, sonst würden wir es uns zu billig machen. Wir sind auch Streetworker. Ich will einen 17-Jährigen, der mal im Übermut einen Ordner beleidigt hat, nicht einfach aufgeben. Ich will keinem jungen Menschen sagen: Du darfst nie wieder ins Stadion, nie wieder zu deinen Freunden. Den reiße ich aus seinem sozialen Umfeld raus, der baut Wut auf und driftet mit Pech in eine Ecke ab, die viel schlimmer ist. Wir müssen eine Perspektive aufzeigen. Und die kann sein: Benimm dich, dann darfst du nach einer angemessenen Zeit zurück. Das ist Erziehung.

Das Gespräch führte André Görke.

Helmut Spahn, 47, war Sicherheitschef der Fußball-WM 2006 und ist es heute beim Deutschen Fußball- Bund. Spahn war früher SEK-Chef bei der Polizei in Frankfurt am Main.

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