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Guðni Jóhannesson, 52, wurde 2016 zum jüngsten Präsidenten Islands gewählt. Mit seiner Frau Eliza Reid (44) hat der gelernte Historiker vier Kinder. Die First Lady ist Autorin und Co-Gründerin des Iceland Writers Retreat. Am 27. Juni 2020 wurde Guðni mit 92 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

© Íslandsstofa

Islands Präsidentenpaar und der Sport: „Wir sollten auch heute einen positiven Patriotismus fördern“

Islands Präsidentenpaar spricht im Interview über die Bedeutung des Sports im eigenen Land, den Umgang mit Krisen und typische Insel-Klischees.

Herr Jóhannesson, nach Ihrer Wiederwahl zu Islands Staatspräsident vor drei Wochen machten Sie auch international Schlagzeilen, weil Sie Jürgen Klopp als Ihr Vorbild bezeichneten. Was fasziniert Sie an dem Fußballtrainer?
GUÐNI JÓHANNESSON: Ich bin ein großer Sportfan und in einer Sportlerfamilie aufgewachsen. Als erfolgreicher Athlet muss man viele Qualitäten haben, die ebenfalls in meinem Amt benötigt werden: Sie müssen unter Druck cool bleiben und eine starke Dosis gesundes Selbstvertrauen besitzen, aber gleichzeitig bescheiden sein und den Gegner sowie unterschiedliche Meinungen respektieren können. Jürgen Klopp repräsentiert all das für mich als Trainer – zuvor in Deutschland und nun bei Liverpool.

ELIZA REID: Es passte auch, weil einige Tage zuvor Liverpool zum ersten Mal seit 30 Jahren den Meistertitel gewonnen hatte.

JÓHANNESSON: Ja, ich wollte den Liverpool-Fans weltweit gratulieren, selbst wenn es nicht mein Team ist. Ich fiebere für den Verein Álftanes, dicht gefolgt von Stjarnan und anderen isländischen Vereinen.

Neben Fußball ist Handball der beliebteste Sport in Ihrer Heimat. Ihr Bruder Patrekur Jóhannesson war Nationalspieler und arbeitet nun als Trainer.
Ja, Patrekur spielte sogar einst in Deutschland für Essen und Minden. Er ist in der isländischen Nationalmannschaft einer der besten Torschützen aller Zeiten. Ich bin mit Handbällen in den Händen aufgewachsen und mein Traum war es, eines Tages für Island zu spielen.

In gewisser Weise treten Sie ja nun ebenfalls für Island an.
JÓHANNESSON: Stimmt. Ich erinnere mich, wie ich als Präsident zur „Spieler des Jahres“-Preisverleihung eingeladen wurde. In meiner Rede sagte ich, dass es mein Kindheitstraum war, einmal auf dieser Bühne zu stehen. Ich hatte nur nicht vorausgesehen, dass es in dieser Funktion sein würde.

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Frau Reid, wie haben Sie die familiäre Sportverbundenheit Ihres Mannes erlebt?
REID: Als ich 2003 nach Island zog, sagten viele zu ihm: „Ah, du bist Patrekurs Bruder. Oh wow!“ Wissen Sie, er ist hier wirklich so berühmt. Und jetzt sagt Guðni: Nun hat sich das Blatt ein bisschen gewendet.

Im Sport muss man wie in jeglichen Lebensbereichen ständig Krisen meistern. In Island kommen noch Vulkanausbrüche oder – wie gerade im Norden – Erdbeben hinzu. Sind die 360 000 Einwohner Islands besonders krisenerprobt? Und zeigt sich das auch in Corona-Zeiten?
REID: Auf jeden Fall. Ich sage das mit dem Blick einer Außenstehenden. Isländer sind vielleicht weniger bekannt dafür, einen Krisenfall zu planen. Doch wenn etwas passiert, gibt es keinen anderen Ort, an dem man besser mit einer Krisensituation ruhig, praktisch und rational umgeht als hier.

JÓHANNESSON: Ich denke, die geringe Größe unserer Gesellschaft war in diesem Fall unsere Stärke. Die Behörden beschlossen zudem klugerweise, die Experten und Spezialisten an vorderste Front zu stellen und sie erklären zu lassen, was wir tun müssen und warum. Die Nation beschloss, zusammenzuhalten. Darüber hinaus war unser Fokus, diejenigen zu schützen, die am stärksten gefährdet sind, also Menschen mit Vorerkrankungen und Ältere. Wir haben es geschafft, die Kurve abzuflachen, sodass unser Gesundheitssystem stets in der Lage war, die Kranken zu behandeln.

Als Historiker analysierten Sie diverse isländische Krisen. Sie schrieben unter anderem Bücher und Artikel über die Finanzkrise sowie über die Panama-Papers-Enthüllungen. Haben die Isländer Ihrer Meinung nach daraus gelernt?
JÓHANNESSON: Ich denke schon. Die Finanzkrise von 2008 war eine internationale Krise, hat uns jedoch schlimmer getroffen als viele andere Nationen. Wir haben uns dank einer Reihe von Faktoren ziemlich gut und schnell erholt: gute Fischsaisons, ein Touristenboom und der Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull, der Island weltweit in den Fokus rückte. Die Enthüllungen der Panama Papers führten zu einer Regierungskrise. Heute beschäftigen diese Ereignisse den durchschnittlichen Isländer nicht mehr so sehr. Wir haben uns weiterentwickelt und unsere Lektionen gelernt. Obwohl Sie natürlich Leute finden werden, die sagen, wir hätten nicht genug geändert. Aber so ist das wohl in jeder Gesellschaft. Zumindest die Idee, Island zu einem internationalen Finanzzentrum zu machen, wird nicht neu entfacht. (Eliza Reid lacht kurz auf).

Die isländischen Fußballfans sind in allen Stadien der Welt gern gesehen.
Die isländischen Fußballfans sind in allen Stadien der Welt gern gesehen.

© dpa

Sie beide haben sich während des Studiums an der Universität in Oxford kennengelernt. Zuvor studierten Sie, Herr Jóhannesson, ab 1991 ein Jahr in Bonn. Welches Bild hatten Ihre deutschen Kommilitonen von Island?
JÓHANNESSON: Ich erinnere mich, dass die Freunde meine Heimat exotisch fanden – Island war für sie eine entlegene Insel aus Feuer und Eis. Damals war der Walfang ein großes Thema, die Isländer wurden für ihre Haltung kritisiert. Und aus Island kam seinerzeit der stärkste Mann der Welt. Es fühlte sich gut an, dass die Ausländer insgesamt ein positives Bild von meiner Heimat hatten. Wir sollten auch heute einen positiven Patriotismus fördern, und ein Verständnis für unser gemeinsames Erbe, für unsere Kultur und Zukunft haben.

Sie sagen, dass Sie einen positiven Patriotismus fördern wollen. Wie sieht dieser aus?
JÓHANNESSON: Die nationale Identität sollte niemanden ausschließen. Unser Land steht für Inklusion, Vielfalt, Toleranz, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, die Freiheit der Liebe. In diesem Sinne kann man stolz darauf sein, Isländer zu sein. Und damit wir uns richtig verstehen: Isländer zu sein bedeutet nicht, dass man seine Herkunft auf erste Siedler wie Auður djúpúðga oder Egill Skallagrímsson zurückführen kann...
REID: ...oder in der Lage sein muss, diese Namen perfekt auszusprechen (beide lachen). Mittlerweile sind übrigens 13 Prozent unserer Bevölkerung im Ausland geboren.

Es gibt viele isländische Klischees. Im aktuellen Netflix-Film „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga" spielt US-Star Will Ferrell einen etwas naiven Isländer, der davon träumt, beim ESC mitzumachen – seine Bandkollegin sucht dabei Unterstützung von Elfen. Haben Sie den Film gesehen?
REID: Ich habe ihn mit den Kindern angeschaut, Guðni noch nicht.

JÓHANNESSON: Ich werde das nachholen, aber ich kenne den Song „Jaja Ding Dong“.

REID: Es gibt im Film mehrere Lieder. Die Hauptdarstellerin Rachel McAdams ist übrigens wie ich gebürtige Kanadierin, das macht mich besonders glücklich.

JÓHANNESSON: Ich denke, es ist ein Beispiel für unser gestiegenes Selbstbewusstsein als Nation. Denn Island ist in vielerlei Hinsicht ein junges Land. Wir haben erst 1944 die Unabhängigkeit von Dänemark erlangt. Damals fragten sich einige, ob Island auf eigenen Beinen stehen könne. Kann eine Nation von zu der Zeit weniger als 200.000 Menschen überhaupt ein unabhängiger Staat sein? In den ersten Jahrzehnten hatten wir fast einen Minderwertigkeitskomplex. Er manifestierte sich in einer Frage, die wir allen Besuchern stellten: Wie gefällt dir Island?

REID: Normalerweise meist direkt bei der Ankunft am Flughafen.

JÓHANNESSON: Wir sehnten uns so sehr nach einer positiven Antwort: „Ja, wir mögen euer Land und wir lieben die Menschen.“ Es war ein Ego-Booster, inzwischen stellen wir die Frage nicht mehr jedem Touristen. Zum einen gibt es davon viel zu viele; zum anderen brauchen wir nicht mehr die Bestätigung, wie großartig wir sind. (Seine Frau guckt ihn an und lacht.) Bist du anderer Meinung?

REID: Nun, ich komme auch aus einem ziemlich kleinen Land und kenne dieses Gefühl. Zum Beispiel konnte ich mich eben nicht zurückhalten, zu erwähnen, dass im Film eine Kanadierin mitspielt. Das ist eine typische „kleine Nationen“-Sache. Ich denke, sie ist in Island immer noch lebendig.

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Sie sagten, der Film sei ein Beispiel für das gestiegene Selbstbewusstsein der Isländer. Inwiefern?
JÓHANNESSON: In den frühen Vierzigern kam ein Film über Island heraus, der zwar nicht wirklich negativ war, aber dennoch ein abfälliges Bild der Bevölkerung zeigte. Die Isländer waren so wütend, dass die Behörden offiziell protestierten und mitteilten, dieser Hollywood-Film sei auf mehreren Ebenen falsch. Jetzt haben Sie einen Film, in dem die Hauptfiguren Lars und Sigrit heißen, was beides keine isländischen Namen sind, und mit schwedischem Akzent sprechen. Doch wir sind nicht beleidigt über dieses skurrile, seltsame und manchmal lächerliche Bild der Isländer, sondern freuen uns einfach, dass Island im Scheinwerferlicht steht.

Im Rampenlicht stand Ihre Heimat ebenfalls als kleinste Nation der Welt, die je an einer Fußball-EM und -WM teilgenommen hat und dies mit lautstarken „Hú, hú“-Rufen feierte. Kann man in Island seine Leidenschaften leichter ausleben?
JÓHANNESSON: Bei uns ist der Weg auf die nationale Bühne im Sport sicherlich kürzer. Wenn man als Kind davon träumt, Mitglied einer Nationalmannschaft zu werden, ist es wahrscheinlich, dass man in einer Nachbarschaft aufwächst, in der jemand aus einem Nationalteam gelebt hat oder lebt. Das spornt den Nachwuchs zusätzlich an. In diesem Sinne ist der Wunsch also näher, was ihn dann auch realistischer macht.

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