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Italiens Schreckgespenst. Pak Doo-Ik, Siegtorschütze, feiert die Sensation mit dem Team.

© imago/United Archives International

Italien-Nordkorea bei der WM 1966: Als ein Zahnarzt Rom untergehen ließ

Vor 50 Jahren scheiterte Italien bei der Fußball-Weltmeisterschaft in England an der Mannschaft Nordkoreas - dem größten anzunehmende Außenseiter. Ein Rückblick.

Es ist jetzt ein halbes Jahrhundert her, dass in Rom die Welt noch einmal unterging. „Unser Land weint“, sprach Vittorio Pozzo. „Der Zerfall des römischen Reiches war nichts gegen den Untergang der Nationalmannschaft.“ Signore Pozzo hatte Italien 1934 und 1938 zum Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft geführt, aber daran mochte niemand denken am 19. Juli 1966, einem kühlen Sonntag in Middlesbrough. Italien hatte gerade das Viertelfinale der Weltmeisterschaft verpasst, aber nicht etwa gegen Deutschland, Brasilien oder sonst irgendein Schwergewicht. Sondern gegen Nordkorea, dessen Existenz als Fußballnation vielen Italienern gar nicht bewusst war. Das Tor zum 1:0-Sieg schoss ein Zahnarzt. Porca miseria!

Die Teilnahme erfolgte eher zufällig

Die Nordkoreaner waren der größte anzunehmende Außenseiter bei der Weltmeisterschaft 1966 in England. Ihre Teilnahme erfolgte eher zufällig, weil die Afrikaner das Turnier boykottierten, Israel sich dem europäischen Verband angeschlossen hatte, die Südkoreaner aus Protest gegen die feindlichen Brüder aus dem Norden ihr Mitwirken an der Qualifikation verweigert hatten und sonst in Asien niemand Lust hatte. Weil nun aber ein Platz (!) für Afrika, Asien und Ozeanien in England dabei sein sollte, reichten Nordkorea zwei Siege über Australien.

Die Engländer waren darüber nicht gerade erfreut. Da das Vereinige Königreich keine Beziehungen zu Nordkorea unterhielt, wurde dem ungeliebten Gast zunächst die Einreise verweigert. Auf Druck der Fifa einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiss. Die Koreaner durften antreten, mussten aber auf das Abspielen ihrer Hymne und das Hissen ihrer Fahne verzichten, ihre Leibchen waren im schlichten Rot und ohne jedes Emblem gehalten. Aus britischer Sicht war das Gastspiel der kickenden Soldaten aus dem Reich des großen und geliebten Führers Kim Il-Sung ohnehin nur auf eine Woche angelegt. Nach dem ersten Spiel, einem 0:3 gegen die Sowjetunion, suchten die Reporter aus dem Westen Vergleiche mit einer Frauenhockey-Mannschaft. Aber dann gab es ein 1:1 gegen Chile und damit die Möglichkeit, durch einen Sieg im letzten Vorrundenspiel gegen Italien das Viertelfinale zu erreichen.

Ein Geschenk für den "Führer"

Die englischen Zuschauer hielten sich nicht an das Fahnenverbot. Sie schwenkten in Heimarbeit angefertigte blau-weiß- rote Stoffbahnen an brüllten „Korea! Korea!“ Das brachte ein bisschen Stimmung in den Ayresome Park von Middlesbrough, das kleinste WM-Stadion war immer noch überdimensioniert für die 18 000 Augenzeugen. Es ließ sich nicht gut an für Italien. Nach einer halben Stunde schied Giacomo Bulgarelli verletzt aus, und weil Auswechslungen noch nicht erlaubt waren, musste der Favorit zu zehnt weiterspielen. Der alles entscheidende Moment ereignete sich kurz vor der Pause. Ein italienischer Befreiungsschlag flog auf direktem Weg zurück Richtung Strafraum. Der Ball tippte einmal auf und noch einmal, dann schoss Pak Doo-Ik und trat dabei in den Rasen, worauf Aristide Guarneri ins Leere grätschte. Gleich darauf schoss Pak Doo-Ik dann wirklich, flach und scharf ins linke Eck.

„What a sensation!“, japste der englische Fernsehreporter. Zehn Italiener stürmten wütend, aber einfallslos – die besseren Chancen hatte Nordkorea. Pak Doo-Ik hat später erzählt, er sei lange nach dem Spiel noch einmal aus der Kabine auf die Tribüne geschlichen und habe dort eine Rede für Kim Il-Sung gehalten. Der Sieg sei ja schön und gut gewesen, „aber das Wichtige war, dass wir den großen Führer nicht enttäuscht haben“.

Hauptsache Korea

Die Erfolgssträhne hielt auch noch im Viertelfinale an, jedenfalls für eine halbe Stunde. Beim 3:0-Zwischenstand gegen Portugal wähnten sich Pak Doo-Ik und seine Genossen schon im Halbfinale, aber der große Eusebio schoss noch vier Tore und seine Mannschaft zum 5:3-Sieg. Die Nordkoreaner verschwanden, und es machten Gerüchte die Runde. Angeblich hatten die Spieler ihren Sieg über Italien mit reichlich Alkohol und zuvorkommenden Frauen gefeiert und waren daraufhin in ein Arbeitslager verbannt worden.

Stimmt alles nicht, sagte Pak Doo-Ik, als er im Oktober 2002 mit sieben anderen der 66er Mannschaft noch einmal nach Middlesbrough kam. Anlass war ein Dokumentarfilm über „Das Spiel ihres Lebens“. Pak Doo-Ik arbeitete immer noch als Zahnarzt und stellte seine Mitspieler mit der Weltläufigkeit eines CNN-Moderators vor. Ein paar Monate zuvor hatte Südkorea im Achtelfinale der WM 2002 2:1 über Italien gesiegt, 36 Jahre und einen Tag nach der Sensation von1966. Wem er bei diesem Achtelfinale die Daumen gedrückt habe, wurde Pak Doo-Ik gefragt. „Natürlich Südkorea!“

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