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Ausflug nach Italien. Das „Roma“ in Schöneberg wurde Mitte der Sechziger eröffnet - und wirbt damit älteste Pizzeria Berlins zu sein.

© Doris Spiekermann-Klaas

Italiener in der Hauptstadt: Berliner Tradizione

17.441 Italiener leben in Berlin, dazu kommen noch 2355 mit italienischem Migrationshintergrund. Vor dem heutigen EM-Halbfinale sind sie mal wieder "die Anderen". Dabei gehören sie längst hierher.

Stille. Absolute Stille. Die Bundesallee, Lärm und Hektik sind nur drei Fußminuten entfernt, aber an der riesigen Holzpforte der Heilig-Kreuz-Kirche prallen die Begleiterscheinungen der Großstadt ab wie Halbstarke an der Brust eines muskelbepackten Türstehers. Sie kommen nicht hinein in den Innenhof, auf dessen linker Seite sich im ersten Stock die „Missione Cattolica Italiana Berlino“ befindet. Einundzwanzig Stufen führen hinauf in die katholische Pfarrei Berlins, einundzwanzig Stufen, ehe Don Giuseppe die Tür öffnet. Er lächelt, seine Herzlichkeit ist ansteckend. Noch ehe man Platz genommen hat in dem hellen Büro mit den großen Fenstern, fühlt man sich zu Hause.

Sich zu Hause fühlen. Heimat. Herzlichkeit. All das vermissen viele, die das erste Mal zu Don Giuseppe kommen. Es sind Menschen, die neu in Berlin sind. Sie kommen aus Italien, haben ihre vertraute Umgebung, Freunde und Familie zurückgelassen, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. In ihren Träumen war das ganz einfach, die Realität sieht oft anders aus. Inzwischen leben zirka 650 000 Menschen italienischer Staatsangehörigkeit in Deutschland, in Berlin sind es 17 441. Dazu gibt es hier laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2355 Leute mit italienischem Migrationshintergrund. Sie alle tragen dazu bei, die Stadt bunter, vielfältiger und multikultureller zu machen. Italienische Restaurants und Bars gibt es in jedem Stadtteil, egal ob Reinickendorf, Köpenick oder Zehlendorf. Ein richtiges Zentrum italienischen Lebens aber gibt es nicht in Berlin. Ganz anders etwa als in New York, wo sich Einwander aus Mailand, Rom oder Neapel auf Little Italy konzentrieren.

Wer allein nach Berlin kommt, dem kann der fehlende Zentralismus die Eingewöhnung erschweren. Dann muss Don Giuseppe helfen. Er soll Rat geben und Trost spenden, Kontakte zu möglichen Arbeitgebern herstellen oder einfach nur zuhören.

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Don Giuseppe ist weit über fünfzig Jahre alt, seine Haare sind ergraut und zum Lesen braucht er inzwischen eine Brille. Vor drei Jahren ist er aus Brescia gekommen, einer Stadt im Norden Italiens. Cesare Prandelli, Italiens Nationaltrainer, stammt aus der gleichen Gegend, genau wie die Fußballspieler Andrea Pirlo und Mario Balotelli. Sie werden heute versuchen, durch einen Sieg gegen Deutschland das Finale der Europameisterschaft zu erreichen. Sollte ihnen das gelingen, werden tausende Italiener auf den Straßen Berlins feiern und die Stadt in ein grün-weiß-rotes Fahnenmeer versinken lassen. So wie nach dem WM-Halbfinale 2006.

Don Giuseppe mag Fußball. Weil der Sport Emotionen transportiert. Und Menschen zusammen bringt. Und weil sie während der 90 Minuten die gleichen Gefühle durchleben und durchleiden. In Deutschland ist Fußball Nationalsport. Die unangefochtene Nummer Eins. In Italien ist das nicht anders.

„Fußball, Familie, Essen und Religion“, sagt er. „Das sind die Dinge, die in Italien das Leben bestimmen.“ Wobei Religion seiner Meinung nach mit den drei anderen nicht mehr recht Schritt halten kann. Gerade den jungen Italienern ist sie nicht mehr so wichtig wie etwa ihren Großeltern. „Berlin ist für junge Italiener ein Paradies“, sagt Don Giuseppe. „Hier gibt es Vergnügen ohne Grenzen.“ Berlin, die ewige Partyhochburg.

Viele, die abends zum Feiern ausziehen, kommen vorher zu Sandro in die Pizzeria Roma. Das Restaurant wirbt damit, die älteste Pizzeria Berlins zu sein. Eröffnung wurde 1965 gefeiert. Draußen wehen zur Europameisterschaft zwei Fahnen: eine deutsche und eine italienische.

Als Gastarbeiter gekommen, für immer geblieben.

Viele Gastarbeiter waren nach dem zweiten Weltkrieg in die Stadt gekommen, es gab ein Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien. Im Zuge dessen kam auch Sandros Vater aus Neapel nach Berlin. Er ist hier geboren und aufgewachsen, sein Deutsch ist akzentfrei. Sein Italienisch auch. Italien kennt er nur aus den Ferien, trotzdem will er heute mit der „Squadra Azzura“ mitfiebern. So wird Italiens Team wegen seiner himmelblauen Trikots genannt. „Ist so ein Gefühl“, sagt Sandro.

Er hat sich in Berlin immer zu Hause gefühlt. Als Deutscher und als Italiener. Dass es in Berlin kein italienisches Zentrum gibt, hat ihn nie gestört. Vielleicht war es sogar besser. „Ich habe das Beste aus beiden Welten gezeigt bekommen.“

Sandro ist mit einer Deutschen verheiratet, sind haben einen Sohn. Der spricht wie seine Eltern beide Sprachen. Aber Sandro findet, dass es immer schwerer wird, Sprache und Kultur in dritter Generation beizubehalten. „Im Alltag wird Deutsch geredet, Italienisch tritt automatisch in den Hintergrund.“

Wenige Kilometer Luftlinie entfernt vom „Roma“ ist Zweisprachigkeit oberstes Gebot. In den Hintergrund soll hier keine Sprache oder Kultur treten. Im deutsch-italienischen Kindergarten „Asilo Italiano“ spielen, sprechen und lernen die Kinder auf Deutsch und Italienisch. Die deutschen Erzieherinnen sind angehalten, Deutsch mit ihnen zu sprechen, die Italienischen Italienisch. Feste Regeln, die sich im Spiel der Kinder untereinander auflösen. Etwa, wenn sie draußen über den Spielplatz toben. Dann ist die Schaukel mal Schaukel und mal altalena.

Während die Kleinen sich an der frischen Luft Appetit holen, steht Rafaela in der Küche. Sie ist eine Nonna, eine Oma. Im „Asilo Italiano“ sind die Eltern angehalten, fünf bis sechs Mal im Jahr für alle Kinder das Mittagessen zu kochen. Das soll dazu führen, dass deutsches und italienisches Essen gleichermaßen angeboten wird.

Manchmal, wenn die Eltern keine Zeit zum Kochen haben, weil sie arbeiten müssen, kommen die Großeltern vorbei. So wie Rafaela. Sie bereitet Salat und Hühnchen zu. Das fällt ihr leichter, als Deutsch zu sprechen, obwohl sie seit zwanzig Jahren in Berlin lebt. In Wittenau hat sie eine Wohnung, ihre Kinder leben in Schöneberg, nicht weit vom „Asilo Italiano“.

Eine der Erzieherinnen muss das Gespräch übersetzen. Mit ihrem Enkel, der jetzt draußen auf dem Spielplatz ist, redet sie nur Italienisch. Berlin war bei Rafaelas Ankunft längst italienisch genug, um auch ohne Deutsch durchzukommen. Arbeit in Restaurants gab es genug. Vor einigen Wochen war Rafaela in Neapel gewesen, ihrer alten Heimat. „Meine Wurzeln sind dort, aber ich gehöre jetzt nach Berlin“, sagt sie. „Dabei hat es mir zu Anfang hier gar nicht gefallen.“ Ist sie, Rafaela mit all den Jahren deutscher geworden oder Berliner italienischer? „Entrambe“, sagt Rafaela. Beides.

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