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Sport: Italienische Nationalmannschaft: Sie wird stärker und stärker - und der Ersatzmann Alessandro Del Piero könnte diesmal der Star werden

Wie gut ist Italien? Was kann diese Mannschaft bei der EM erreichen?

Wie gut ist Italien? Was kann diese Mannschaft bei der EM erreichen? Diese Fragen nerven ihn sichtlich, aber Trainer Dino Zoff, ein knorriger Bauernsohn aus der Gegend von Udine, zieht sich gut aus der Affäre und einen schönen Vergleich: "Es ist wie mit einem halb vollen Glas Wasser. Es ist gut, was wir haben, aber da ist noch Raum für mehr." Gut gesprochen, da nicken sogar die routinierten Feuilletonisten unter den italienischen Sportjournalisten anerkennend. Diejenigen, die mit besonders blumigen Worten Spieler und Trainer preisen und in die Pfanne hauen und die fast alle ihre grauen Haare mit jugendlichem Elan zu einem Pferdeschwanz gebunden haben. Halb voll? Halb leer? Alles Ansichtssache. Dass aber die italienische Nationalmannschaft ganz weit kommen kann, darüber gab es nach dem 2:0-Erfolg gegen Belgien in Brüssel keine unterschiedlichen Auffassungen. "Die Italiener waren heute so stark, die hätte wohl niemand geschlagen", sagte Belgiens Trainer Robert Waseige. Der Belgier in Schalker Diensten, Marc Wilmots, stimmte zu: "Wir haben zwar alles gegeben, aber keine Chance gehabt."

Konsequent, konzentriert, mit einem Schuss Esprit - so lässt sich die Vorstellung der italienischen Mannschaft im König-Baudouin-Stadion kurz beschreiben. "Wir bekommen immer mehr Selbstvertrauen", sagte Francesco Totti vom AS Rom, dem nach sechs Minuten mit einem Kopfball das 1:0 gelang. Immer mehr Selbstvertrauen, immer mehr Sicherheit, "wir machen das alles Schritt für Schritt" (Zoff). Erst ein 2:1 gegen die Türkei, jetzt der Erfolg gegen Belgien, der Einzug ins Viertelfinale ist so gut wie sicher. Und der Trainer sieht sich bestätigt. Was hatten die Medien und die Fans vor der EM auf ihn geschimpft. Keinen Plan habe er, die falsche Taktik gebe er aus, seine Personalauswahl sei wirr, die Mannschaft wirke grau wie Zoffs legendärer Torwartpullover. Und jetzt treibt es die "squadra azzurra" so bunt.

Die Abwehr steht fast immer gut gestaffelt, Disziplin hat Zoff als oberstes Gebot ausgegeben. Ist man selbst im Ballbesitz, wird auf kontrollierte Offensive gesetzt. Das sieht zwar oft zuerst ein wenig behäbig aus, ist aber außerordentlich effektiv. Manchmal wird das sogar Zoff zu viel, dann gestikuliert er wild am Spielfeldrand und fordert mehr Initiative nach vorn. Forza! Doch wenn ein Gegner Druck macht wie die Belgier am Mittwochabend, entfalten die Italiener im Sturm - auch ohne ihren verletzten Star Christian Vieri - erst ihre Stärke. Blitzschnell wird gekontert: mit Inzaghi, Totti, Fiore (ihm gelang in der 66. Minute der zweite Treffer), Conte - oder Alessandro Del Piero.

Mit diesem Del Piero von Juventus Turin, einer Mischung aus Mittelfeldregisseur und Stürmer, hat Zoff einen Mann im Team, der zum großen Star dieses Turniers werden könnte, auch wenn er bisher in zwei Spielen nur insgesamt 42 Minuten lang zum Einsatz gekommen ist. Gegen die Türkei kam der 25-Jährige, der nach langer Verletzungspause (Kreuzbandriss) in den letzten Monaten nicht überzeugen konnte, nach 75 Minuten für Fiore auf den Platz, gegen Belgien löste er Totti nach 63 Minuten ab. Seine Worte nach jeweils starken Kurzvorstellungen kann die Konkurrenz (nicht nur die Gegenspieler, sondern auch Mitspieler, die mit ihm um einen Platz im Team kämpfen) getrost als Drohung auffassen: "Ich fühle mich wieder in Hochform und will diesmal eine der Hauptfiguren dieser EM sein." Bisher enttäuschte er bei Turnieren nämlich jedes Mal: Bei der EM 1996 in England und der WM 1998 in Frankreich war er nur Mitläufer oder wurde von den Trainern Arrigo Sacchi und Cesare Maldini erst gar nicht eingesetzt.

In einer Kategorie ist Alessandro Del Piero allerdings bereits jetzt Spitze. Mit 20 Millionen Mark brutto Jahresgehalt gilt er als der bestbezahlte Fußballer der Welt. Bis zum Jahr 2003 hat "Juve" ihn noch unter Vertrag. Verlängert hatte man den laufenden Kontrakt, als er wegen seiner Knieverletzung nicht spielen konnte und seine Zukunft ungewiss war. "Dass der Verein so großes Vertrauen in mich hatte, werde ich nie vergessen", sagt Del Piero. Günter Netzer über den nur 1,73 m großen Italiener: "Del Piero ist Fußballkunst und Spektakel."

Und Alessandro Del Piero ist auch einer, der große Worte finden kann. Zwei Tage vor Italiens erstem EM-Spiel hielt er einen flammenden Appell an Medien und Fans: "Natürlich muss Kritik sein, aber sie tötet uns. Etwas mehr Unterstützung von allen würde uns sehr helfen." Wenn die Italiener weiter gewinnen und das Glas sich langsam füllt, wird es daran nicht mangeln.

Sebastian Arlt

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