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Italiens Trainer Prandelli: Vater der Revolution

Cesare Prandelli will offensiven, schönen und sauberen Fußball von seinen Spielern sehen. Doch der jüngste Wettskandal macht Italiens Nationaltrainer bei der EM schwer zu schaffen.

Es sind bemerkenswerte Sätze, speziell für einen italienischen Fußballtrainer. „Die italienische Schule hat lange den taktischen Aspekt gepriesen, auch zu Lasten der Spielqualität“, sagt Cesare Prandelli. Das habe Italien zwar vier WM- und einen EM-Titel beschert, aber „auch unseren Unterhaltungswert gemindert“, sagt der Trainer, der trotz oder gerade wegen dieser Ansichten die Squadra Azzurra betreuen darf.

Spielqualität, Unterhaltungswert – diese Kategorien schienen dem Mutterland des Catenaccio-Defensivfußballs lange so fremd wie wässriger Filterkaffee oder pünktliche Züge. Das muss man wissen, um zu verstehen, welch ein Revolutionär hinter der Fassade des gepflegten Gentleman mit den zurückgegelten Haaren und den gut sitzenden Anzügen steckt.

In der EM-Gruppe C lauert auch noch das alte italienische Sicherheitsdenken, rustikal verkörpert durch Giovanni Trapattonis Iren. Aber Prandelli, der mit seinen Vereinsteams keine Titel, aber viel Anerkennung für attraktiven Angriffsfußball gewann, schaut eher auf den ersten Gruppengegner. „Zur Zeit sind Spanien und vor allem Barcelona Bezugspunkt und Anreiz für alle“, sagt der 54-Jährige. Auch für ihn. „Ich versuche, meinen Spielern einen Plan mitzugeben, mit dem sie Resultate erzielen durch ein schön anzuschauendes Spiel, das auch ihnen Spaß macht.“ Das klappte vor einem Jahr, als sie den Welt- und Europameister mit 2:1 besiegten. Aber ob die Spanier, die sich in der Vergangenheit schwertaten mit der Italotaktiererei, heute in Danzig (18.00 Uhr, live im ZDF) vor spielfreudigen Italienern erzittern? Prandellis Team hat alle drei Tests vor der EM verloren.

Das ist jedoch nicht die größte Belastungsprobe für Prandellis neues Italien. Als er die Squadra Azzurra vor zwei Jahren übernahm, nach dem blamablen WM-Vorrundenaus als Titelverteidiger, musste er „alles auf Null stellen“. Prandelli wollte eine offenere, saubere, jüngere Nationalmannschaft. Zusammen mit dem neuen Jugendkoordinator Arrigo Sacchi, einem der wenigen Offensivdenker des Landes, reformierte er die Nachwuchsteams, um endlich wieder Talente zu entwickeln. Und hatte Vorgänger Marcello Lippi noch eine Wagenburgmentalität aufgebaut, forderte Prandelli neue Herzlichkeit. Die Spieler sollten auf die Fans zugehen, „Zeit mit ihnen zu verbringen, ist ihre Verantwortung“, sagt er. Dazu gab es einen neuen Ethik-Code: Wer etwa im Klub eine Rote Karte sieht, muss bei der Nationalelf aussetzen.

Der gläubige Katholik handelt in der Überzeugung, dass es wichtigere Dinge gibt als Fußball. Und folgt klaren Wertevorstellungen. So trat er 2004 nach nur zwei Monaten beim AS Rom zurück, um seine krebskranke Frau zu unterstützen. „Viele haben sich darüber gewundert“, sagte er einmal über seinen freiwilligen Rückzug, „obwohl das jeder gemacht hätte, dem es finanziell möglich gewesen wäre. Aber im Fußball herrscht nun mal keine Normalität.“ Seine Frau verstarb drei Jahre später.

Um im Calcio mehr Normalität einkehren zu lassen, kämpft er auch gegen die dunklen Schatten Italiens. Demonstrativ ließ er das Nationalteam in einem Stadion trainieren, das zuvor der kalabrischen Mafia gehörte. Ein Zweitligakicker kam zu einer Nominierung, weil er sich Wettpaten verweigert hatte.

Und dann das: Kurz vor der EM rollt eine neue Ermittlungswelle im heimischen Wettskandal an. Prandelli streicht den verdächtigten Domenico Criscito. Doch auch Leonardo Bonucci und Kapitän Gianluigi Buffon geraten ins Visier. Entnervt sagt Prandelli: „Wenn es unserem Fußball helfen würde, dass wir nicht zur EM fahren, dann wäre es kein Problem.“ Am Ende sind die Italiener doch gefahren. Und Prandelli sagt fast erleichtert: „Jetzt können wir nur noch Fußball spielen.“ Seinen Fußball, der so schön, sauber und offen sein sollte.

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