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Lächeln und boxen. Muhammad Ali bei einer Pressekonfrenz 1987 in Mexiko.

© REUTERS

Jan Philipp Reemtsma über Muhammad Ali: "Ali hat die Welt ein bisschen besser gemacht"

Wenn Gewalt plötzlich schön wird: Literat und Boxexperte Jan Philipp Reemtsma über den Jahrhundertsportler Muhammad Ali - von großen Kämpfen, Show und Politik.

Herr Reemtsma, was bedeutet Ihnen Muhammad Ali?

Er ist einer der interessantesten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, ein Ausnahmeboxer, wie es so keinen mehr gegeben hat und vielleicht so nicht mehr geben wird. Und eine Figur, die politisch hochinteressant war. Muhammad Ali hat die Welt ein bisschen besser gemacht. Und wenn man das von einem Menschen sagen kann, ist doch wohl alles in Ordnung.

Sie haben 1995 ein Buch über Ali geschrieben. Darin heißt es, es gebe nicht nur einen Ali, sondern mehrere. Welcher ist Ihr Lieblings-Ali?

Oh, das ist schwer. Sehr interessant ist natürlich die historische Figur, die man in ihrer politischen Bedeutung sehen kann bis hin zur Entzündung der Olympischen Flamme 1996 in Atlanta, das ist ja ein Echo auf diese öffentliche Rolle, in die er hineingewachsen ist. Aber mein Herz schlägt, wenn ich das so sagen darf, für den Virtuosen im Boxring, dem es gelungen ist, einem an sich nicht sehr diffizilen Sport eine so eigene Note zu geben, dass auch so gewalttätige Auseinandersetzungen auf einmal Schönheit gewinnen. Alis Kämpfe haben eine eigene Choreographie, und das habe ich immer mit großem Genuss gesehen. Ich zitiere Alexander Sutherland Neill, den Begründer der Summerhill-Pädagogik. Er sagt: „Boxen interessiert mich nicht, und wenn, dann bin ich für den Außenseiter. Mit Ausnahme von Muhammad Ali, dessen Stil ich nahezu poetisch finde.“

Was gefällt Ihnen an diesem Stil am besten?

Die Virtuosität und die Unberechenbarkeit. Die Fähigkeit, sich immer wieder neu auf eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Gegner einzustellen. Man kann ihn nicht auf einen bestimmten Stil einengen.

Wann haben Sie Ali das erste Mal bewusst wahrgenommen?

Das war zur Zeit seines ersten Weltmeisterschaftskampfes, 1964 in Miami gegen Sonny Liston. Da war ich elf Jahre alt, und die Kämpfe liefen noch nicht im Fernsehen, aber ich habe in den Zeitungen von ihm gelesen. Er ist mir aufgefallen als jemand, der aus dem Rahmen fiel. Der sich nicht so benahm, wie man das erwartete von einem Sportler, schon gar nicht von einem schwarzen Sportler. Seitdem war mein Interesse da.

Haben Sie einen Lieblingskampf?

Es gibt die drei großen Ali-Kämpfe. Der erste WM-Kampf gegen Sonny Liston, als er eine Runde lang nahezu blind war und trotzdem gewann. 1975 die Schlacht gegen Joe Frazier, den Thriller in Manila. Das war sicherlich der Kampf, der mich emotionell am meisten mitgenommen hat. Es ging ja für beide Boxer bis an die Grenzen des physisch Möglichen. Aber der spannendste war sicherlich der 1974 in Kinshasa, als er sich auf sehr eigenwillige Weise den WM-Gürtel zurückgeholt hat.

Ali lehnte mit dem Rücken in den Ringseilen und schützte sich ganze Runden über mit beiden Armen gegen Foremans Schläge. Irgendwann war der Weltmeister müde und Ali knockte ihn in der achten Runde aus. Ein taktisches Meisterstück, wie es Ali keiner zugetraut hätte.

Das Interessante war aber, dass er auch die deutlicheren Treffer setzte. Ich weiß heute noch, dass er diesen Kampf mit rechten Geraden begonnen hat. Das war sehr unüblich, denn Champions greifen Champions nicht mit einer rechten Geraden an, jedenfalls nicht in der ersten Runde, weil die Faust sehr lange unterwegs ist und der Gegner sofort mit einer Linken kontern kann. Ali ist dieses Risiko eingegangen. Und jede Runde beendete er damit, Foreman zu signalisieren, dass er völlig unbeeindruckt war von dessen Schlägen. Natürlich war das auch eine psychologische Auseinandersetzung.

Der deutsche Fernsehreporter hat davon wenig mitbekommen. Er sah Ali bis zuletzt auf dem Weg in eine sichere Niederlage.

Das hat mich schon ein wenig geärgert. Beim Schreiben meines Buches habe ich mir diesen Kampf noch einmal auf Video angeschaut, die Zeitlupe studiert und den amerikanischen Kommentar gehört. Der Unterschied war doch sehr stark. Ich hatte das Gefühl, dass die deutschen Reporter doch sehr herablassend waren gegenüber Ali – alias Cassius Clay, wie sie damals immer noch sagten. Eine Unverschämtheit. Da waren die Amerikaner mit ihrem Respekt vor der Leistung und der Person Alis schon sehr viel weiter.

Den Namen Cassius Clay trug Ali vor seinem Übertritt zu den Black Muslims. Damals befand sich das Profiboxen in einer schweren Krise. Kontrolliert von der Mafia, repräsentiert von Weltmeister Liston, der als verurteilter Gewaltverbrecher kaum Sympathien genoss. Hat Ali 1964 mit seinem Sieg über Liston das Schwergewichtsboxen gerettet?

Das kann man so sagen. Aber auch auf seine Person zentriert. Er war auch ein genialer Showman. Allein durch seine Präsenz hat er dem Ganzen eine Qualität gegeben, die es vorher nicht hatte und hinterher nicht mehr gewonnen hat.

War denn wirklich alles Show? Beim Wiegen vor dem Liston-Kampf, als er sich wie ein Wahnsinniger benahm und den Weltmeister mit bloßen Fäusten verprügeln wollte, da hatte Clay einen Puls, der doppelt so hoch war wie normal. Sein Arzt Ferdie Pacheco sagte, er habe sich in Lebensgefahr befunden.

Ach, niemand weiß, ob Pacheco nicht auch Teil der ganzen Inszenierung war. Clay hat gesagt: Wenn Liston mich für verrückt hält, ist das nur gut für mich. Denn Verrückte sind unberechenbar. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass er sich in so eine emotionale Situation hineinsteigern konnte – aber dann auch schnell wieder herauskam. Tatsache ist, dass sein Puls kurz nach dem Wiegen wieder normal war.

Ali und die Black Muslims

Über seinen italoamerikanischen Trainer Angelo Dundee hat Ali mal gesagt: „Ich mag ihn, weil er eine Menge Niggerblut in sich hat.“ Hätte es Ali ohne Dundee gegeben?

Er wäre sicher irgendwas im Boxen geworden, aber er kann dem Schicksal danken, dass er einen Trainer hatte, der ihn machen ließ und nicht in ein bestimmtes Schema pressen wollte. Da hat es zwei Personen gegeben, die perfekt aufeinander eingespielt waren. So etwas gibt es im Leben nicht häufig.

Beim ersten WM-Kampf gegen Liston hat Dundee verhindert, dass Clay – wie er damals noch hieß – aufgibt.

Es ist nie ganz geklärt worden, was damals genau passiert ist. Nur, dass Clay nahezu die gesamte fünfte Runde lang nichts sehen konnte. Und das gegen den härtesten Puncher der Welt. Dass er da durchgekommen ist, kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

Es heißt, Listons Betreuer habe die Handschuhe seines Boxers mit einer stechenden Lösung behandelt, um Clay zu blenden.

Ja, so hat es nach Listons Tod einer aus seinem Stab zugegeben. Clay wollte aufgeben, aber Dundee hat ihn in den Ring zurückgeschoben. Obwohl hinter ihm die Black Muslims tobten, weil sie eine Verschwörung der Weißen gegen ihren Mann witterten. Am nächsten Tag ist er dann offiziell zu den Muslims übergetreten und hat sich später Muhammad Ali genannt.

Was waren die Muslims für ihn – Fluch oder Segen?

Beides. Für ihn war die Zugehörigkeit zu den Muslims eine Chance, sich als öffentliche Person gegen den Mainstream aufzubauen. Und als Black Muslim positionierte er sich immerhin gegen das christliche Amerika. Das zeugte von großem Mut. Ob es von großer Vernunft zeugte, ist eine andere Frage. Die Black Muslims sind eine sehr merkwürdige Sekte, in mancherlei Hinsicht, auch mit sehr starken antisemitischen Affekten.

Malcolm X saß beim Kampf in Miami am Ring.

Ja, und er war auch Gast im Trainingscamp, und das sorgte natürlich für Gerüchte. Später hat Malcolm X sich von den Muslims distanziert, seine spätere Ermordung und welche Rolle die Muslims dabei spielten, ist immer noch nicht komplett aufgeklärt. Ali war für sie ein wichtiger finanzieller Faktor. Die Muslims hingen bis in seine späte Phase hinein an ihm und waren mit Sicherheit einer der treibenden Faktoren, dass er diese letzten Kämpfe noch gemacht hat, die er besser sein gelassen hätte. Aber er war eben ein Kassenmagnet.

Mit dem Argument, er sei islamischer Prediger, hat Ali sich 1967 geweigert, in den Vietnamkrieg zu ziehen. Das hat ihn den WM-Titel gekostet, viel Geld und gut drei Jahre seiner Karriere. Aber es hat ihn weit über die Grenzen des Sports berühmt gemacht. Wie wichtig war Ali für die Anti-Vietnamkrieg-Bewegung?

Sehr wichtig. In meinem Buch erwähne ich die Geschichte von Bertrand Russell…

… einem englischen Philosophen…

… der ihn anrief und zu seiner Standhaftigkeit gratulierte. Ali hat sich bedankt und wollte wissen, warum es ihn denn interessiere, was ein Boxer dazu sagt. Russell hat erwidert, einen Schwergewichtsweltmeister umgebe eine besondere Aura, und was der zu so einem Thema sagt, sei nie belanglos. Wenn das denn wirklich so stattfand, hatte Russell natürlich völlig Recht. Solche Bewegungen brauchen nicht nur eine Menschenmenge, sie brauchen auch auratische Figuren für ihre Existenz, und das war Muhammad Ali.

Gibt es auch etwas, das sie Ali übel nehmen?

Ich vermute, Sie spielen darauf an, dass er Joe Frazier in eine Ecke stellte, in die er nicht gehörte: als Onkel Tom, als einen, der sich bei den Weißen anbiedert. Das war Frazier nicht, und Ali wusste das auch. Bei Fraziers Beerdigung im vergangenen Jahr hat Ali sich am Sarg verbeugt. Das war auch ein bisschen so wie eine Entschuldigung. Eine bewegende Geste.

Das Gespräch führte Sven Goldmann.

Jan Philipp Reemtsma, 63, ist Autor und Professor für Deutsche Literatur. Er verfasste unter anderem das Buch „Mehr als ein Champion. Über den Stil des Boxers Muhammad Ali“. Das Gespräch wurde anlässlich des 70. Geburtstags von Muhammad Ali 2012 geführt.

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