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Aufbau Fernost. Vor zweieinhalb Jahren erschütterte ein Erdbeben und ein Tsunami die Region um Sendai. Die Fans blieben ihrem schwer angeschlagenen Klub treu und schrieben auf Banner: „Wir werden kein Spiel verlieren, bis wir unsere Heimatstadt wiederhaben.“

© AFP

Japans Fußballklub Vegalta Sendai: Den Trümmern zum Trotz

2011 wird Sendai durch den Tsunami verwüstet – doch beim japanischen Fußballklub Vegalta beginnt mit dem Glauben der Fans im Rücken eine einmalige Siegesserie und neuer Zusammenhalt für die ganze Stadt.

Es wird gesungen, laut und pausenlos. Aus dem gelben Meer in der Kurve ragen unzählige gelbblaue Fahnen und Banner. Phasenweise scheint es, als würden die Zuschauer gar nicht mitbekommen, wie einfallslos sich ihre Mannschaft heute über den Rasen bewegt. Ist diese bedingungslose Hingabe das eigentliche Wunder?

„Ich glaube schon“, sagt Sayaka Suzuki und greift mit der rechten Hand im Sekundentakt Stadionhefte vom Stapel auf der linken. „Nach all dem, was passiert ist, haben wir dieses unglaublich starke Gemeinschaftsgefühl.“ Suzuki ist freiwillige Helferin bei Vegalta Sendai, Japans Vizemeister, wo sie bei Heimspielen die Programme verteilt. An den 11. März 2011, als nicht weit von der Millionenstadt Sendai zuerst die Erde bebte und dann eine riesige Welle auf die Küste zustürmte, erinnert sie sich genau. Wie jeder hier.

„Ich war bei der Arbeit, so ein starkes Beben hatte ich noch nie erlebt. Sofort fuhr ich nach Hause und hörte dann im Radio, dass auch noch ein Tsunami kam. Es war schrecklich.“ 16 000 Tote, mehr als 2700 gelten bis heute als vermisst. 315 000 Menschen mussten umsiedeln, wie sich in den folgenden Wochen herausstellte. Suzuki hatte Glück, in ihrem Haus in Küstengegend wurde nur der Strom knapp, immerhin war nichts zerstört.

Doch ihr geliebtes Yurtec-Stadion von Vegalta Sendai nahm Schaden und musste später für 2,3 Millionen Euro notdürftig repariert werden. Aus Angst vor radioaktiver Strahlung vom havarierten Atomkraftwerk in Fukushima ergriff auch ein Spieler die Flucht. Der als Abstiegskandidat gehandelte Klub hatte plötzlich noch mehr Schwierigkeiten, seine Fußballer zu halten, geschweige denn neue zu verpflichten. Einst spielten Pierre Littbarski und Frank Ordenewitz für den Klub. Doch nun drohte Vegalta, nach den beiden Sternen Wega und Altair benannt, deren Zusammentreffen Japan jedes Jahr feiert, auseinanderzubrechen.

„Wir wussten nicht mehr, wie es weitergehen sollte“, erinnert sich Morishige Matsuba, der für die strategische Planung des Klubs verantwortlich ist. Vegaltas Saisonziel war der Klassenerhalt. „Als einer der finanziell schwächeren Vereine der Liga lag das sowieso nahe“, sagt Matsuba. Doch die neuen Realitäten ließen selbst dieses Ziel utopisch erscheinen. Die Pazifikküstenregion im Nordosten der Hauptinsel Honschu, in der Vegalta der beliebteste Verein ist, plagten Angst und Kummer. „Viele Fans hatten ihr Zuhause verloren oder waren ums Leben gekommen. Manche wissen bis heute nicht, wie sie mit der Lage umgehen sollen“, sagt Matsuba. Es gab Selbstmorde. Wie Morishige Matsuba kennen viele Vegalta-Fans solche Fälle aus dem eigenen Bekanntenkreis.

Zumindest im Stadion gab es Antworten. „Die Atmosphäre beim ersten Heimspiel danach war surreal“, erinnert sich Sayaka Suzuki. „Einige freuten sich, ihre Freunde wieder zu sehen, Andere weinten. Aber kurz vor Anpfiff wurde dann dieses riesige Banner ausgebreitet.“ Darauf stand: „Danke an all unsere Freunde. Wir werden kein Spiel verlieren, bis wir unsere Heimatstadt zurückhaben.“

Was wie der typische Übermut treuer Fans klang, schien sich Woche für Woche zu bewahrheiten. Elf Spiele in Folge blieb Vegalta ungeschlagen, im bald wiederaufgebauten Stadion gab es die ganze Saison über nur zwei Niederlagen. Die Spielzeit beendete Vegalta als Vierter, das Jahr darauf gar als Vizemeister. Der einstige Außenseiter der Liga qualifizierte sich für den höchsten Klubwettbewerb des Kontinents, die Asian Champions League.

„Die Spieler haben wie um ihr Leben gekämpft, und das für die ganze Region“, sagt Matsuba stolz. Bei Auswärtsspielen in Sendai fürchten Gegner seither die gelbblauen Fußballer, vor allem aber deren Fans. Denn der Mannschaftskader, der nur zwei Nationalspieler zählt, gehört bis heute nicht zu den stärksten. Die Anhänger dagegen sind landesweit berüchtigt. „Hier steht jeder hinter Vegalta, spätestens seit der Katastrophe. Und wir hören nicht mehr auf zu singen“, brüllt Sayaka Suzuki gegen den Lärm von den Rängen. Die Stadt Sendai hält knapp die Hälfte der Anteile am Verein, Sponsoren und Geschäftspartner kommen aus der Umgebung. Jeder in der Ein-Millionenstadt hat irgendein Verhältnis zum Klub, heißt es.

Seit Frühjahr ist die Realität zurück. In der Liga reicht es nur noch für Mittelmaß, aus der Asian Champions League flog man nach einer Pleite gegen Jiangsu Sainty aus China nach der Vorrunde raus. Die Sensation von Sendai schien doch nur vorübergehend, die Träume von Ruhm und Meisterschaft in weiter Ferne. Bei einem Heimspiel gegen den Abstiegskandidaten Sagan Tosu gerät die Truppe schon in der ersten Halbzeit in Rückstand. Den Fans scheint das egal zu sein, selbst in der Pause wird gesungen.

Am Ende reicht es für ein Unentschieden, nach Abpfiff laufen die Spieler zu ihren Unterstützern, um mit ihnen kurz über die Partie zu sprechen. Insofern geht das Wunder von Sendai weiter, auch in der Mittelklassigkeit des japanischen Fußballs. Morishige Matsuba glaubt, den Grund zu kennen: „Ohne die Fans wäre das unmöglich.“ Nicht undenkbar, schiebt er nach, dass Vegalta mit anderen Fans längst wieder zweitklassig wäre.

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