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Jenny Wolf, 35, wurde fünf Mal Weltmeisterin im Eisschnelllauf und holte 2010 in Vancouver Olympia-Silber. Am Wochenende beendete die Berlinerin ihre Karriere.

© AFP

Jenny Wolf nach Karriereende: „Der Verband muss sich neu aufstellen“

Jenny Wolf über die Krise im deutschen Eisschnelllauf, ihr Karriereende und ihre Vorfreude auf Kanada.

Frau Wolf, am Sonntag haben Sie Ihre Karriere beendet, jetzt wollen Sie erst einmal Urlaub machen. Stören wir beim Packen?

Ich hab nicht viel zu packen, ich bin ja kein Sportler mehr. Ich fahre auch nur zu meinem Mann, der nicht in Berlin arbeitet. Ich freue mich auf ein bisschen gemeinsame Zeit.

Ist die Erkenntnis, keine Sportlerin mehr zu sein, schon bei Ihnen angekommen?
Nein, noch nicht. Wir sind am Montag vom Weltcup aus Heerenveen zurückgekommen, da war noch alles wie immer. Beim Auspacken habe ich mir aber gedacht: Ich muss diese ganzen Sachen nicht griffbereit liegen lassen. Die brauche ich nie wieder. Da habe ich schon gemerkt, dass mir das ein bisschen nahe geht. Bei den Klamotten muss ich einiges aussortieren, da hat sich ganz schön was angehäuft.

Auch bei Titeln und Erfolgen ist einiges zusammengekommen. Sie waren fünf Mal Weltmeisterin, haben 61 Weltcup-Siege gefeiert und Olympia-Silber gewonnen. Was war das prägnanteste Erlebnis?
Der erste Weltmeistertitel in Salt Lake City 2007 mit Weltrekord war das Schönste, daran erinnere ich mich sehr gerne. Da ging es los mit meiner Karriere. Und überhaupt: Weltrekord zu laufen war ein Kindheitstraum für mich, der in Erfüllung gegangen ist.

Die wohl größte Enttäuschung Ihrer Karriere waren die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver, als Sie als Favoritin über 500 Meter Zweite wurden. Wie denken Sie heute über diese Silbermedaille?
Positiver als noch vor ein paar Wochen. Es war wirklich wichtig für mich, dass ich nach Vancouver noch einmal Winterspiele erlebt habe. Jetzt kann ich besser einschätzen, dass auch die Silbermedaille eine Leistung war, auf die ich sehr, sehr stolz sein kann. Ich hatte viel Freude in Sotschi, ich kann positiv auf das Kapitel Olympia zurückblicken.

Am Anfang Ihrer Karriere haben Sie gesagt, Sie seien am liebsten „unbeobachtet“. Das hat nicht so richtig funktioniert.
Mit der Aufmerksamkeit muss man klarkommen, wenn man erfolgreich ist. Ich denke, das habe ich ganz gut hinbekommen. Man arrangiert sich. Irgendwann hat es auch Spaß gemacht, mit den Medien zu sprechen. Aber ich bin generell nicht so der Typ, der aus sich herausgeht.

Was wird Ihnen jetzt fehlen?
Die konkreten Ziele, das tägliche Training. Die Vorbereitung auf die nächste Saison ist etwas sehr Greifbares. Jetzt muss ich erst mal gucken, ob ich wieder so etwas finde. Das wird schwer.

Was für Pläne haben Sie denn?
Konkret noch keine. Mein Mann geht bald für ein Jahr beruflich nach Toronto, da werde ich mitgehen. Ich werde genießen, dass ich wirklich nichts zu tun habe. Und mir überlegen, wie es weitergeht. Und was mich langfristig begeistern könnte.

Haben Sie sich schon erkundigt, ob es Eisschnelllaufhallen in Toronto gibt?
Es gibt zwei Shorttrack-Klubs. Das ist jetzt nicht ganz so mein Metier, ich werde aber irgendwo Eislaufen können. Die Schlittschuhe packe ich auf jeden Fall ein.

Und beruflich? Werden Sie jetzt Trainerin?
Nein, dafür fehlt mir komplett die Ausbildung. Ich kann mir aber schon vorstellen, im Verein oder im Verband zu arbeiten und dem Eisschnelllauf verbunden zu bleiben. Als Hobby oder beruflich.

Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft hat in Sotschi keine gute Figur abgegeben. Wie haben Sie den Streit innerhalb der deutschen Mannschaft erlebt?
Vom Streit haben wir gar nichts mitbekommen und waren sehr überrascht, als uns Journalisten darauf angesprochen haben. Die Stimmung war gut. Aber prinzipiell hat der Verband schon ein ordentliches Ding mitbekommen, allein durch die Leistungen. Ich hoffe schon, dass es jetzt Veränderungen gibt.

Wie hat sich das deutsche Eisschnelllaufen während Ihrer Karriere verändert?
Ich habe gesehen, dass wir Sportler in den Trainingslagern immer weniger wurden. Das ist ja ein Zeichen, dass einfach die Breite fehlt, um Erfolge zu erringen. Ich weiß nicht, wie man das konkret beheben kann. Aber ich denke schon, dass sich der Verband ganz neu aufstellen und deutlich professionalisieren muss.

Als studierte Germanistin haben Sie schon immer neben Ihrem Sport viel gelesen, jetzt haben Sie viel mehr Zeit dafür. Welche Bücher haben Sie sich vorgenommen?
Ich habe schon einen Stapel, den ich abarbeiten muss. Vielleicht traue ich mich jetzt auch mal an dickere Bücher, die ich ein paar Jahre aufgeschoben habe.

„Krieg und Frieden“ von Tolstoi?
Nein, das habe ich schon geschafft. Ich denke eher an „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust – das hat jetzt aber nichts zu bedeuten.

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